Oberstdorf: Der Wald kommt zu kurz
Das Phänomen ist nicht neu: Oberstdorf wird „sein“ Rotwildproblem nicht los. Seit Jahren stehen die Revierinhaber und Jagdpächter im Raum Oberstdorf in der Kritik wegen der hohen Rotwildbestände und Wildschäden im Bergwald. Die Untere Jagdbehörde macht zwar Druck, fordert mehr Engagement, sah sich aber in diesem Jahr letztlich zu Abschussplan-Festsetzungen gezwungen; der Durchbruch gelang bislang nicht. Fachliche und politische Appelle scheinen regelmäßig zu verhallen. Doch immer weniger Waldbesitzer wollen das hinnehmen.
Oberstdorf – Ein düsteres Bild zeichnet Florian Pecher aus Oberstdorf: Sein Bergwald leide unter dem massiven Verbiss durch Rotwild. Vor allem die für einen stabilen und dem Klimawandel gewachsenen Wald wesentliche Weißtanne komme nicht mehr auf. Er könne pflanzen soviel er wolle, am Ende finde er kaum Jungbäume, die durchkämen, beschreibt er das Szenario.
Und anlässlich von Schadenserhebungen bei Waldbegehungen tue man das Problem ab, schreibe 80 Prozent des Verbisses Nagetieren wie Hasen und Mäusen zu. Typischer Rotwildverbiss sei offenbar nicht zu erkennen. Dass etwa ein vom Jagdpächter angeheuerter – und bezahlter – Gutachter keine nennenswerten Wildschäden ausmache, sei nur allzu gut nachvollziehbar, schüttelt Pecher den Kopf.
Kapitalschwund im Wald
Er sieht sein „Kapital Wald“ dahinschwinden, weil er langfristig keinen Zuwachs und Ertrag im künftigen Holzeinschlag erwarten könne. „Da muss sich was ändern!“ fordert Florian Pecher. Unter solchen Verhältnissen könne er und andere Waldbesitzer die Arbeiten für den gewünschten Waldumbau gleich einstellen.
Allein ist Waldbesitzer Pecher nicht. Auch die „Rechtler“ als Wald- und Weidegenossenschaft in Oberstdorf, stellen in ihrem Wald regelmäßig Schäden durch Rotwild fest – Verbiss oder Fegeschäden seien an der Tagesordnung, sagt Forst-Betriebsleiterin Franziska Gleißner. Der Wald, vor allem Schutzwald, erfülle eine Vielzahl von wichtigen Funktionen und solle darüber hinaus natürlich auch einen Holzertrag abwerfen. Die Zusammensetzung eines Waldes sei ein entscheidender Faktor. „Die Mischung macht‘s. Das bringt eine Risikostreuung, macht den Wald stabil und fit.“
Einigkeit ist schwer zu erreichen
G e n a u s o sieht es Agnes Hussek, Wildökologin am Landratsamt Oberallgäu. Altbestände seien wichtig, um Naturverjüngung zu ermöglichen. Auch das Wild profitiere von einem arten- und strukturreicheren Wald. Die Tatsache eines hohen Rotwildbestandes in den Oberstdorfer Hegeringen räumt der Geschäftsführer der Hochwildhegegemeinschaft Sonthofen, Werner Sill, ebenfalls ein. Die Situation sei aber nicht überall gleich. Im Oytal funktioniere es offenbar, stellt er fest.
Bei der jüngsten Sitzung des Beirats der Bergwaldoffensive BWO hatte Sill von einer „Uneinigkeit der Beteiligten“ gesprochen, als die Sprache auf die Oberstdorfer Projektgebiete in der Warteschleife kam. Eine Lösung kann er nur in einer Einigkeit von Waldbesitzern und Jagdpächtern erkennen. „Alle müssen dabei sein.“ Und genau diese Einigkeit ist offenbar schwer zu erreichen. Zum einen seien „viele Leute im Boot“ – sowohl im Lager der Grundeigentümer als auch auf Seite der Jagd.
„Wald vor Wild“
Attraktive Hochwildreviere mit „starken Hirschen“ lassen sich besser und einträglicher verpachten. Um solche „Zugpferde“ sicher vorweisen zu können, setzt am gerne auf zahlenmäßig starken Nachwuchses – also viele sogenannte „Zuwachsträger“. Der so erzielte jagdliche Wert von Revieren bestimmt letztlich deren Ertrag für die Jagdgenossenschaft und die Waldbesitzer. Oft zu Lasten des Waldes.
Försterin Franziska Gleißner hofft auf ein waldbauliches Umdenken der Waldbesitzer und mahnt mehr „Mut zu Eigentümerstolz“ an. Wie Werner Sill setzt sie auf Aufklärung über jagdliche und forstliche Zielsetzungen. „Alle müssen an einem Strang ziehen, wenn es klappen soll“, betont Sill. Wild und Wald könne funktionieren, ist er sicher. „Wald vor Wild“ funktioniere, ergänzt Gleißner überzeugt. „Das Werkzeug ist die Jagd.“
„Klarer Nachholbedarf“ für Oberstdorf
Hier sieht Wildökologin Hussek klaren Nachholbedarf in Oberstdorf. Es sei eine Reduzierung des Rotwildbestandes vereinbart worden auf Basis von Zählungen. „In den vergangenen Jahren wurden zu wenige Zuwachsträger – weibliche Tiere – erlegt“, stellt sie fest. Die hohen Wilddichten hätten aufgrund des damit verbundenen Jagddrucks und erhöhter Gefahr von Wildseuchen auch für das Wild selbst negative Folgen, gibt Hussek zu bedenken.
„Die Unzufriedenheit der Waldbesitzer in Oberstdorf steigt.“ Die Festsetzung des Abschusses durch die Behörde sei nicht willkürlich, betont die Wildökologin. Sie orientiere sich vielmehr an den Bedingungen vor Ort, rechtlichen Vorgaben und fachlichen Feststellungen: Passen Wildbestand und Lebensraum zusammen? Tierwohl und Waldwohl? Und die Stellschraube Jagdkonzept.