Gastbeitrag von Gabor Steingart - Deutsche Bahn ist ein Trauerspiel unserer verdammten Staatsgläubigkeit

Der Staat ist ein deutscher Mythos, den wir von Reichskanzler Bismarck und seinem Kaiser Wilhelm geerbt haben. Der Adel ist geflohen, Bismarck gestorben, Preußen von der Landkarte verschwunden, aber die Staatsgläubigkeit lebt.

Der Freundesverein der Staatsjünger führt in werblicher Absicht gerade in diesen Tagen wieder große Worte im Munde. In seinem Namen will man „die Transformation der Volkswirtschaft“ vorantreiben und mit „Zukunftsinvestitionen“ jenes Land modernisieren, das man eben erst hat verfallen lassen.

Alles klingt so vielversprechend wie das Weihnachtsglöckchen an Heiligabend. Man freut sich schon auf die Bescherung.

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Doch wann immer es konkret wird, wird aus der Bescherung eine böse Überraschung. Der Staat, dessen Notwendigkeit für das Zusammenleben der Menschen hier nicht bestritten werden soll, wird den hohen Erwartungen nicht gerecht, nicht in der Vergangenheit, nicht in der Gegenwart, nicht in Deutschland.

Überall da, wo er zähneknirschend Wettbewerb zugelassen hat, bei der Post und in der Telekommunikation, erleben wir Prosperität. Das Beste am Staat – diesen Eindruck kann man gewinnen – ist sein geordneter Rückzug. Unterm Asphalt liegt der Strand.

Sein größtes Debakel hingegen erlebt der Staat da, wo er zu 100 Prozent das Sagen hat, zum Beispiel bei der Deutschen Bahn AG. Diese Firma, die sich gar nicht als Firma, sondern als Staat auf Schienen versteht, ist auch in 2024 in allen Disziplinen gescheitert. Und ausnahmsweise sind nicht Putin, nicht Trump und auch nicht die Hisbollah verantwortlich, sondern wir und unsere verdammte Staatsgläubigkeit.

Das Scheitern betrifft, das wird in wenigen Wochen öffentlich werden, auch die Bilanz der Bahn. Die versprochenen schwarzen Zahlen wird es am Ende dieses Jahres nicht geben. Wieder nicht. Vielleicht nie.

Hier die sechs Schwächen der Deutschen Bahn AG, die eben keine Bahn-Spezialität sind und uns daher als Warnung vor dem Staate dienen sollten:

1. Die Schuldenbahn

Wo der Staat den Manager spielt, sind die Schulden nicht weit. Das gilt auch bei der Bahn. Aktuell betragen die Schulden bei der Deutschen Bahn rund 34 Milliarden Euro (2023). Ende 2022 lag die Verschuldung noch bei knapp 29 Milliarden und 2013 war sie sogar weniger als halb so groß (16,4 Milliarden Euro).

Nicht rentabel: Der Schuldenberg kann schon deshalb nicht verkleinert werden, da man seit 2020 jedes Jahr ein Minus eingefahren hat. Im vergangenen Jahr schlug ein Nettoverlust von 2,4 Milliarden Euro zu Buche, was damit seit 2005 – abzüglich des Corona-Jahres 2020 – das schlechteste Ergebnis war.

Für das laufende Jahr kündigte die Deutsche Bahn auf einer Bilanzpressekonferenz im März an: „Für 2024 rechnet die DB wieder mit einem positiven bereinigten EBIT von über einer Milliarde Euro.“ Auch diese Ankündigung wird, so eine zuverlässige Information aus der Führung der Bahn AG, in Kürze kassiert werden. Begründung: Streiks und Extremwetter haben den Plan vereitelt.               

2. Die Erosion der Infrastruktur

Niemand lässt so ungeniert die Infrastruktur verfallen wie der Staat. Man fährt Deutschlands größtes Transport- und Logistikunternehmen auf Verschleiß. Im heutigen Pioneer-Podcast benennt der Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschen Bahn AG, Werner Gatzer, den Investitionsstau der Deutschen Bahn in seiner gewaltigen Dimension:

„Die Bahn hat ausgerechnet, dass bis 2030 ein Investitionsbedarf von 90 bis 100 Milliarden Euro besteht, bis 2027 besteht ein Bedarf von bis zu 45 Milliarden Euro. Es ist ein enormer Investitionsstau, der sich in den vergangenen Jahrzehnten aufgestaut hat.“                

Gatzers Erklärung ist nicht beruhigend, aber präzise:

„Die Schienen oder Stellwerke stammen teilweise noch aus der Kaiserzeit. Das hat man gewusst und die Belastbarkeit falsch eingeschätzt.“

3. Im Dauerkonflikt mit der Belegschaft

Es gibt keinen großen Arbeitgeber im Lande, der mit seiner Belegschaft so permanent und so vorsätzlich über Kreuz liegt. Die Streiktage bei der Bahn übertreffen viele andere große Unternehmen.

Der Streikrekord der GDL lag 2014/15 bei rund 350 Stunden allein im Personenverkehr (plus über 400 Stunden im Güterverkehr) in einem Jahr der fast permanenten Verhandlungen. Aber auch 2024 addierten sich die vier Streikquellen (siehe Grafik) auf 259 Stunden im Personenverkehr.

4. Bereicherung auf der Führungsetage

Derweil privatisierte Firmen wie die Post mit Frank Appel (von 2008 bis 2023) und die Telekom mit Tim Höttges (von 2014 bis heute) international respektierte Wirtschaftsführer hervorgebracht haben, kann Bahn-Vorstandschef Richard Lutz sich in seinen eigenen Zügen nicht blicken lassen. Die Belegschaft macht ihn für die Reputationsschäden und das schlechte Betriebsklima verantwortlich.

Einerseits: Der ehemalige Gewerkschaftschef Claus Weselsky sagte im August gegenüber The Pioneer über das Führungsteam:

„Es gibt eine Riege, die nenne ich die Führungskräfte, Konzernführungskräfte, obere Führungskräfte, leitende Führungskräfte. Das sind 3.500 Führungskräfte. Wenn man die isoliert betrachtet, wird einem schwindlig. Denen geht es nicht bloß gut. Die leben wie die Made im Speck, die versorgen sich selbst.“

Gatzer ist erst seit September 2022 Aufsichtsratschef und einsichtig. Er würde die Vorstandsgehälter gern transparenter gestalten. In den Pünktlichkeitsstatistiken, von denen ein Teil des Gehalts abhängig ist, tauchen Züge, die ausfallen, gar nicht erst auf. Gatzer räumt ein, „wenn wir die Züge dann reinnehmen, dann wären die Quoten andere.“

5. Die Politisierung der Betriebswirtschaft

Statt sich auf die Beförderung seiner Gäste und damit auf Kriterien wie Pünktlichkeit und Freundlichkeit zu konzentrieren, hat man die Vorstandsgehälter politisiert und mit immer neuen gesellschaftlichen Aufgabenstellungen überfrachtet. So wurde das Ziel der Pünktlichkeit bei der Incentivierung der Führungskräfte zurückgestuft, um Ziele für ökologische Nachhaltigkeit und Frauenförderung in die Verträge hinein zu schreiben.

Das Ergebnis: Die Pünktlichkeit ging weiter zurück. Während im Januar 2023 die Pünktlichkeit – das heißt bei der ambitionslosen Bahn, dass ein Zug nicht später als 5:59 Minuten nach der annoncierten Zeit ankommen darf – im Fernverkehr noch bei 73,2 Prozent lag, liegt der Wert heute bei knapp 63 Prozent.

Gatzer arbeitet hinter den Kulissen daran, die politischen Vorgaben in ihrer Bedeutung zu reduzieren und dem eigentlichen Betriebsziel, einer pünktlichen Beförderung, wieder Geltung zu verschaffen. Die Widerstände sind nicht unerheblich.               

6. Einmal Welt AG und zurück

Die Idee war: Die Bahn wird ein Global Player, eine Welt AG der Logistik. Also wurde die Logistikfirma Schenker gekauft, die britische Nahverkehrstochter Arriva und hunderte weitere Beteiligungen überall auf dem Globus.

Außer Spesen nichts gewesen. Anders als bei Post/DHL und Telekom ist der Ausflug in die große Welt der Bahn nicht gut bekommen. Das Management in Berlin, das schon mit dem Wechsel vom Winter- zum Sommerfahrplan überfordert ist, bekam die Komplexität nicht in den Griff.

Die Private-Equity-Gesellschaft Squared Capital aus Florida hat die DB-Tochter Arriva im Oktober vergangenen Jahres für rund 1,6 Milliarden von der Bahn erworben. Die Bahn zahlte für Arriva 2010 rund 2,7 Milliarden Euro.

Nochmal Weselsky:

„Unsere Weltkonzernlenker haben nie richtig Gewinn gemacht.“

Aufsichtsratschef Gatzer bestätigt den Kurswechsel:

„Es hat ein Umdenken in den Köpfen stattgefunden, auch beim Eigentümer, dass man eben jetzt sagt, wir wollen nicht als Welt AG unterwegs sein, sondern wir wollen eine Bahn haben, die den Menschen in Deutschland die Mobilität sichert zu hoher Qualität.“

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Fazit: Der Volksmund sagt: Gefahr erkannt, Gefahr gebannt. Bei der Bahn kann man sich da nicht sicher sein. Hier fällt der eine Volksmund dem anderen ins Wort. Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.