100-Tage-Bilanz für Merz: Renten-Versprechen eingelöst – doch beim Bürgergeld gescheitert

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Bei den Themen Rente und Bürgergeld ist Kanzler Friedrich Merz mit großen Wahlversprechen angetreten. Hier musste er neben einigen Erfolgen aber auch Rückschläge verbuchen.

Berlin – Das deutsche Sozialsystem ist dringend reformbedürftig. Doch die Ideen, wie die Reformen aussehen sollten, gehen weit auseinander. Auch innerhalb der schwarz-roten Koalition von Kanzler Friedrich Merz (CDU) gab es Zoff bei den Themen Rente und Bürgergeld. Dabei ergibt sich nach 100 Tagen unter seiner Regierung eine eher gemischte Bilanz.

Wahlversprechen eingelöst: Rentenniveau festgesetzt und Mütterrente verbessert

Immerhin konnten sowohl CDU/CSU als auch SPD ihre Wahlversprechen bei der Rente einlösen: Mit dem ersten Rentenpaket, das vorige Woche im Kabinett beschlossen wurde, wird das Rentenniveau von 48 Prozent bis 2031 festgeschrieben und die Mütterrente ausgeweitet. Ersteres ist ein Anliegen der SPD, letzteres ein Wahlversprechen der CSU.

Friedrich Merz schaut ernst – in einer Scheibe spiegelt er sich leicht.
Bei den Themen Rente und Bürgergeld ist Kanzler Friedrich Merz mit großen Wahlversprechen angetreten. Hier musste er neben einigen Erfolgen aber auch Rückschläge verbuchen. (Archivbild) © Sebastian Christoph Gollnow/dpa

Mit dem Festsetzen des Rentenniveaus werden die Renten weiter der Lohnentwicklung folgen und entsprechend steigen. Ohne das neue Gesetz wäre das anders: Das Rentenniveau würde im Vergleich zu den Löhnen sinken – bis 2031 um rund einen Prozentpunkt. Das Rentenniveau ist nur eine Rechengröße. Sie setzt Renten nach 45 Beitragsjahren mit Durchschnittsverdienst ins Verhältnis zum aktuellen Durchschnittslohn. Das sagt nichts über die eigene Rente, ist aber ein Orientierungswert.

Für die Reform müssen Milliardensummen zusätzlich in die Rentenkassen fließen. Das gilt auch für die Finanzierung der geplanten besseren Mütterrenten. Bisher werden für die Erziehung von ab 1992 geborenen Kindern drei volle Jahre bei der Rente angerechnet. Für Kinder, die davor geboren wurden, sind es bisher nur zweieinhalb Jahre. Das soll mit der Reform auf einheitlich drei Jahre angeglichen werden. Betroffen sind nach Regierungsangaben rund zehn Millionen Menschen, vor allem Frauen – daher der Name Mütterrente.

Die Aktivrente hat knapp die 100-Tage-Bilanz verfehlt

Allerdings war im 100-Tage-Programm von Merz auch die sogenannte Aktivrente vorgesehen. Diese Maßnahme könne man „relativ schnell und einfach“ umsetzen, sagte Merz damals noch Focus Online. Dazu legt Sozialministerin Bärbel Bas (SPD) aber erst nach der Sommerpause einen Gesetzesentwurf vor.

Den Plänen zufolge soll man bei der Aktivrente als Rentner oder Rentnerin bis zu 2000 Euro im Monat oder 24.000 Euro im Jahr steuerfrei dazuverdienen können. Das soll sowohl Menschen im Rentenalter dazu motivieren, länger zu arbeiten, als auch dem Fachkräftemangel entgegenwirken.

Koalitions-Zoff beim Thema Rente dürfte weiter wirken

Es dürfte zudem, spannend werden, was sonst noch kommt. Denn bei anderen Rententhemen gehen die Vorstellungen der schwarz-roten Koalition weit auseinander. So schlug Sozialministerin Bas wenige Tage nach Amtsantritt vor, auch Beamte und Selbstständige in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen. Der Aufschrei in der Union war groß.

Seitdem flammt die Debatte aber immer wieder auf. Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) reizte die SPD später mit der Forderung nach einem späteren Renteneintritt. Erst bis Anfang 2027 soll eine Expertenkommission Reformvorschläge unterbreiten – das Thema dürfte bis dahin ein Dauerbrenner in der Koalition bleiben.

Scheitern beim Bürgergeld: Einführung der Grundsicherung noch in weiter Ferne

Das Bürgergeld ist das zweite große sozialpolitische Thema der schwarz-roten Koalition. Hier kündigte Merz im Wahlkampf an: „Wir werden so schnell wie möglich dieses sogenannte Bürgergeld ersetzen durch eine neue Grundsicherung.“ Zudem wolle er einen zweistelligen Milliardenbetrag beim Bürgergeld einsparen. Das SPD-geführte Bundesfinanzministerium sieht für das kommende Jahr aber allenfalls 1,5 Milliarden Euro Einsparpotenzial.

Außerdem ist die neue Grundsicherung noch in weiter Ferne – möglicherweise könnte sie im Laufe des Jahres 2026 kommen. „Wir werden erst im Frühjahr diese Reform auf den Weg bringen können“, hatte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann im Stern eingeräumt. „Wenn sie sich anschauen, wie kompliziert das System ist, die Transferentzugsraten, die Schnittstellenproblematik mit anderen Systemen wie dem Wohngeld – dann wird eine Sozialstaatsreform ein Jahr dauern.“ Es dürfe keinen „Schnellschuss“ geben. Doch das Arbeitsministerium hält sich bedeckt darüber, wann ein Gesetzentwurf kommt.

Bas will erste Vorschläge für Bürgergeld-Reform im Herbst vorlegen – Grundrecht als Hürde

Ein Teil-Entwurf der Reform könnte jedoch bald kommen. „Wir wollen den Menschen helfen, dass sie aus dem System rauskommen“, sagte Bas im ARD-Sommerinterview. „Deshalb wird es die ersten Vorschläge zu Karenzzeiten, Vermögen, aber auch zu Mitwirkungspflichten jetzt schon im Herbst geben.“ Was etwa die Entzugsraten, also die Übergänge zu anderen Sozialleistungen und die Anrechnung des Einkommens angeht, kann es noch dauern. Das sei zustimmungspflichtig, die Bundesländer müssen im Bundesrat an der Gesetzgebung beteiligt werden. Dazu sei es Teil der Gespräche der Sozialstaatskommission.

Dass es dauert, bis ein kompletter Entwurf zur Grundsicherung kommt, ist nicht überraschend: Denn verfassungsrechtlich ist es nicht so einfach möglich, Bürgergeld-Beziehern die Leistungen zu streichen. 2019 hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt, dass der Staat Menschen nicht mehr als 30 Prozent der Leistungen kürzen darf – auch, wenn jemand Jobs bewusst ablehnt. Auch mit diesem Problem werden sich Merz und Bas noch herumschlagen müssen.

Kein Bürgergeld für Menschen aus der Ukraine – und auch keine Einsparungen

Immerhin – ein Gesetz hat die Koalition bereits auf den Weg gebracht: Nach dem 1. April dieses Jahres sollen aus der Ukraine Geflohene nur noch niedrigere Asylbewerberleistungen statt Bürgergeld erhalten. Nach einem Gesetzentwurf aus dem Arbeitsministerium dürfte das aber keine Einsparungen bringen: Demnach stehen 2026 Minderausgaben von 1,32 Milliarden Euro zusätzliche Kosten von rund 1,38 Milliarden Euro für Asylbewerberleistungen gegenüber. Große Einsparungen im sozialen Bereich bringt also auch das nicht.

CSU-Chef Markus Söder forderte dann – anders als im Koalitionsvertrag vereinbart – nun auch rückwirkend allen aus der Ukraine Geflüchteten das Bürgergeld streichen. Die SPD möchte davon aber nichts wissen. Partei-Chef und Finanzminister Lars Klingbeil kritisierte, solche Vorschläge trügen „nicht dazu bei, dass wir in der Koalition gemeinsam vorankommen“. Im Koalitionsvertrag sei verabredet, nur für die neu ankommenden Ukrainerinnen und Ukrainer das Bürgergeld abzuschaffen, betonte auch Sozialministerin Bas. Sie fügte hinzu: „Alles andere darüber hinaus halte ich nicht für richtig im Moment, weil es am Ende die Kommunen belastet.“

Entwurf: Neue Versorgung für Ukrainer nicht billiger (Foto Archiv)
Bärbel Bas (SPD) ist Bundesministerin für Arbeit und Soziales. Die Themen Bürgergeld und Rente liegen in ihrem Zuständigkeitsbereich. (Archivbild) © picture alliance/dpa | Soeren Stache

Koalitions-Zoff um Bürgergeld-Vorschläge von Kanzler Merz

Koalitions-Zoff gab es auch, als Merz sich im ARD-„Sommerinterview“ für spürbare Kürzungen bei Bezieherinnen und Beziehern von Bürgergeld aussprach. So seien laut dem Kanzler eine Deckelung bei den Mietkosten und eine Überprüfung der zugestandenen Wohnungsgröße denkbar.

Mit Blick auf die Wohnkosten sagte Merz: „Pauschalierung ist möglich, geringere Sätze sind möglich.“ Das stehe auf dem Prüfstand der Koalition. Die SPD sieht das aber ganz anders: Der Koalitionspartner lehnt den Vorstoß von Merz als „wenig ausgegoren“ ab. „Leistungskürzungen wird es mit uns nicht geben“, stellte die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion, Dagmar Schmidt klar.

Politikwissenschaftler: „Problematisch ist die Attitüde des Kanzlers“

Experten gehen nicht davon aus, dass sich der Zoff in der schwarz-roten Koalition bei diesen Themen bald legt: Differenzen hätten sich vor allem in der Sozialpolitik gezeigt, meint dazu der Politikwissenschaftler Uwe Jun von der Universität Trier. In Bereichen wie Rente oder Bürgergeld gebe es „immer wieder Spannungen, weil die Parteien unterschiedliche Vorstellungen haben“.

Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder von der Universität Kassel spricht vom „Sprengfass der Sozialpolitik“. Hier sei durch den Koalitionsvertrag lediglich „ein äußerer Friede gewährleistet“ worden. Der Druck sei aber so groß, „dass man nicht darauf verzichten möchte, die eigenen Positionen jenseits des Koalitionsvertrages offensiv öffentlich zu machen“.

Schroeder kritisiert dabei auch das Verhalten des Knazler: „Problematisch ist die Attitüde des Kanzlers: ‚Ich denke ganz groß, ich denke in langen Linien, ich denke in großen Bildern und das Kleingedruckte lösen andere‘.“ Doch die Konflikte steckten „im Kleingedruckten: bei der Richterwahl, beim Bürgergeld, beim Umgang mit den Ukrainern“. (lma mit dpa und AFP)

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