„Längst überfällig“: Stadt Regensburg lässt eigene Rolle im Nationalsozialismus erforschen

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Die beiden Professoren Daniel Draschek (li.) und Bernhard Löffler bei der Unterzeichnung der Vereinbarung für das Forschungsprojekt. Im Hintergrund (v.l.): Bildungsreferentin Sabine Kellner-Mayrhofer, Martina Köglmeier (Stabsstelle Erinnerungskultur), Kulturrefent Wolfgang Dersch, Archivchef Lorenz Baibl und OB Gertrud Maltz-Schwarzfischer. © Stefan Aigner

In einem auf mehrere Jahre angelegten Forschungsprojekt will die Stadt Regensburg die Rolle ihrer Verwaltung und der politischen Entscheider im NS-Regime aufarbeiten lassen.

Regensburg – Fast 80 Jahre nach dem Ende des II. Weltkriegs soll nun aufgearbeitet werden, welche Rolle die Stadtverwaltung in Regensburg im NS-Regime gespielt hat. Eine entsprechende Vereinbarung unterzeichneten kürzlich Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer (SPD) und Vertreterinnen der Universität Regensburg am Grünen Tisch im Kurfürstenzimmer des Alten Rathauses.

Zentrum für Erinnerungskultur erforscht Rolle der Stadt im NS-Regime

Dort, an der Universität, wird das Zentrum für Erinnerungskultur verschiedene Schwertpunkte genauer unter die Lupe nehmen, unter anderem im Rahmen von Promotionsarbeiten. Angelehnt an ein ähnliches Vorgehen in München sollen acht Einzelstudien erstellt werden.

In den kommenden drei Jahren wird das Forschungsteam unter Leitung des Historikers Professor Bernhard Löffler, des Kulturwissenschaftlers Professor Daniel Draschek und des Wirtschafts- und Sozialhistoriker Professor Mark Spoerer zunächst die Bereiche „Kulturverwaltung und -politik“ sowie das Thema Wirtschaft mit Schwerpunkt auf den Flugzeugbauer Messerschmitt vornehmen. Weitere Themen werden die städtische Finanzverwaltung, das Bildungswesen sowie die Stadtspitze sein, inklusive der Stadträtinnen und Stadträte.

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Oberbürgermeisterin über Forschungsprojekt: „Längst überfällig“

Die Stadt fördert das Projekt jährlich mit 190.000 Euro, um die entsprechenden Stellen zu schaffen.

Maltz-Schwarzfischer bezeichnet die nun besiegelte Kooperation zwischen Stadt und Universität als „längst überfällig“. Dass es so lange gedauert habe, ehe man sich der Aufarbeitung dieser weißen Flecken in der Regensburger Stadtgeschichte nun widmet, macht die OB unter anderem daran fest, dass so ein Thema „immer wieder in Wellen hochkommt“.

Als Beispiel nennt Maltz-Schwarzfischer die punktuellen Debatten um Straßennamen. Oder auch die Umsetzung eines städtischen Konzepts zur Erinnerungskultur, das der Stadtrat 2018/19 aufs Gleis brachte, zusammen mit der Einrichtung einer entsprechenden Stabsstelle, angesiedelt beim Bildungsreferat. Erwähnen könnte man auch die Debatte, um das KZ-Außenlager Colosseum in Stadtamhof, bei dem man städtischerseits erst vor wenigen Jahren zu einem würdigen Umgang gefunden hat.

Forschungsprojekt kommt spät: „Es bedarf einer gewissen personellen und institutionellen Konstellation“

„Es braucht immer das Engagement der Handelnden“, so die OB. Professor Löffler wird noch etwas deutlicher: „Es bedarf einer gewissen personellen und institutionellen Konstellation.“ Sprich: die handelnden Personen sind heute andere und auch die Schwerpunkte, die sie in ihrer Funktion setzen.

Bei der Regensburger Stadtverwaltung wurde beispielsweise vor fünf Jahren Kulturreferent Klemens Unger durch Wolfgang Dersch abgelöst. Während als Ungers „Steckenpferde“ vor allem die Themen Kirche, König und Antinapoleonismus galten, legt Dersch verstärktes Interesse als auch Engagement bei den NS-Verwicklungen der Stadtverwaltung an den Tag.

Neuer Kulturreferent setzt neue Schwerpunkte

So hatte der 2019 ins Amt gewählte neue Kulturreferent beispielsweise vor ziemlich genau zwei Jahren rund 30 Wissenschaftler und Vertreter der Stadtverwaltung zu einem zunächst internen Kolloquium geladen, um über die Rolle des NS-Kreiskulturwarts, Museumsdirektors und nach dem Krieg noch lange Jahre einflussreichen Kulturdezernenten und Archivchefs Walter Boll zu sprechen.

Die Debatte um dessen Person, Studien wie jene des Regensburger Autors Robert Werner, sei sicher „Katalysator“ gewesen, um die nun beschlossene wissenschaftliche Kooperation mit der Universität zu beschleunigen, so Löffler.

Regensburg gehöre „sicher nicht zur Avantgarde bei der Aufarbeitung“ des Nationalsozialismus, konstatiert der Historiker. Doch das können sogar ein Vorteil sein. „Was sich in den letzten Jahren im Bereich der Täterforschung getan hat, ist bemerkenswert“, sagt Löffler. Entsprechend werde es beispielsweise bei Walter Boll nicht nur um ihn als Individuum und seine lokale Rolle gehen, sondern auch um Boll als Typus. „Solche Bolls hat es woanders auch gegeben.“ Auch der Umgang der Stadt Regensburg selbst mit ihrer jüngeren Geschichte werde Forschungsgegenstand sein.

Forschungsprojekt zum Nationalsozialismus: Grundlegende Arbeit ist über 30 Jahre alt

Dass das Thema auch fast 80 Jahre nach dem Ende des II. Weltkriegs nach wie vor aktuell ist und der weiteren Erforschung bedarf, betonen sowohl die Oberbürgermeisterin wie auch Universitätspräsident Professor Udo Hebel, der krankheitsbedingt über einen Laptop auf dem Grünen Tisch zugeschaltet ist.

Bislang sei bei der Erforschung von Regensburg in der Zeit des Nationalsozialismus nach wie vor die Studie von Helmut Halter, „Stadt unterm Hakenkreuz“ aus dem Jahr 1993 die wichtigste grundlegende Arbeit. Diese habe aber längst nicht alle Bereiche beleuchten können und sei in Teilen mittlerweile überholt, so Maltz-Schwarzfischer. Die Fragen von gesellschaftlicher Spaltung, von Radikalisierung und wie man damit umgehe, dass sich immer mehr Menschen den politischen Rändern zuwenden, sei ohnehin hochaktuell. „Das interessiert uns.“

Hebel verweist darauf, dass man der grassierenden „Geschichtsvergessenheit und dem Geschichtsrevisionismus“ etwas entgegenhalten müsse. Außerdem gelte es Forschungslücken zu schließen, „damit die Zukunft wissensbasiert vor uns liegt“.

Kooperation zwischen Universität und Stadt Regensburg: Es war nicht immer so

Allseits wird betont, in wie vielen Bereichen Stadt und Universität Regensburg mittlerweile zusammenarbeiten und die universitäre Arbeit auch in die Stadtgesellschaft hineinwirkt. Und tatsächlich hat sich, gerade was das Institut für Geschichte betrifft, in den letzten Jahren Einiges getan. Erwähnt sei nur die historische Aufarbeitung des Missbrauchsskandals bei den Regensburger Domspatzen und die 2019 veröffentlichte kritische Studie „Der Chor zuerst“ von Bernhard Löffler und Bernhard Frings mit über 400 Seiten, die dieses Thema in der breit geführten Debatte auf fundiertes Fundament gestellt hat.

Dass sich Regensburger Historiker oben auf dem universitären Hügel nicht immer bemüßigt fühlten, sich in entsprechende Debatten in der Stadt Regensburg einzuschalten, zeigt hingegen der Fall des Theologen Fall Josef Engert. Bis 2013 verlieh die Stadt Regensburg einen nach Engert benannten Preis an junge Nachwuchswissenschaftlerinnen, die von der Universität dafür vorgeschlagen wurden. Auch eine Straße war nach Engert benannt.

Städtischer Preis für Uni-Absolventen war nach Kriegstreiber benannt

Als 2014 Robert Werner in einer langen Recherche nachwies, dass es sich bei Engert um einen völkischen Antisemiten, Kriegstreiber und aktiven Unterstützer des NS-Regimes handelte und in der Folge überregional berichtet wurde, erklärte die Universität lediglich gegenüber dem Spiegel, dass all dies „seit langem bekannt“ und von Mitarbeitern der Uni angeblich öffentlich aufgearbeitet worden sei. Für eventuelle Umbenennungen – die Josef-Engert-Straße verlief direkt hinter der Universität (heute: Am Biopark) – sei aber die Stadt zuständig. Offenbar wollte man nicht immer in die Stadtgesellschaft hineinwirken.

Doch nicht nur dort, auch an der Universität Regensburg scheinen sich „gewisse personelle und institutionellen Konstellationen“ und das Engagement der Handelnden mittlerweile geändert zu haben.

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