Erkrankte an Zungenkrebs - Als Julia (32) Tumor zum ersten Mal spürt, „fühlt er sich wie Popcorn an“

Als Julia Kiener den Tumor zum ersten Mal spürt, fühlt es sich an wie ein leeres Popcorn-Röschen, das sich unter ihrer Zunge verfangen hat. „Ungewohnt, aber nicht störend“, erinnert sie sich im Gespräch mit FOCUS online. Trotzdem geht sie zum Arzt. Erstmal zum Zahnarzt, dann zum Facharzt, lieber einmal mehr hin als einmal zu wenig.

Entwarnung heißt es in beiden Praxen, wahrscheinlich nur eine Verkapselung. Sie sei ja jung, gesund, keine Raucherin, trinke kaum Alkohol. Auch in ihrer Familie sind keinerlei Krebsfälle bekannt.

Einige Wochen später ist der vermeintliche Popcorn-Rest noch immer da. Lebensmittel mit harten Kanten wie Brot bereiten der 32-Jährigen inzwischen beim Essen Schmerzen. Sie vereinbart erneut einen Arzttermin. Dieses Mal direkt beim Mund-Kiefer-Chirurgen. Auch weil ihre Mutter darauf drängt. Es ist Dezember, Weihnachten steht vor der Tür. Die meisten Praxen sind über die Feiertage geschlossen.

Wie ihr Zahnarzt tippt der Spezialist beim ersten Mal auf eine wahrscheinlich mit Fett und Hautzellen gefüllte Zyste. Doch als er sich die vermeintliche Verkapselung zum zweiten Mal ansieht, wird er schlagartig blass – und schickt Kiener sofort in die Uniklinik.

„Zuerst war ich noch entspannt, weil ich ja so jung war“

Dort verordnen ihr die Mediziner das volle Programm: CT, Magenspiegelung, Aufklärung über eine mögliche Ernährung über eine Sonde, wie sie nach Operationen im Mund-Rachen-Trakt oft notwendig wird.

„Zuerst war ich noch entspannt, weil ich ja so jung war und nicht zur Risikogruppe für Krebs in der Mundhöhle gehörte“, erzählt die Geschäftsführerin einer Kommunikationsberatung. Vielleicht habe sie auch nicht damit rechnen wollen, dass es etwas Ernsthaftes sein könnte.

Weil es dann heißt, die Untersuchungen seien dringlich, müssten noch in dieser Woche stattfinden, wird Kiener allerdings bewusst: Vermutlich ist das, was sich da an den unteren Rand ihrer Zunge schmiegt, doch keine einfache Verkapselung. „Auch wenn der Arzt betonte, dass wir erst die Untersuchungsergebnisse abwarten müssten.“

Als diese am nächsten Tag da sind, ist klar: Es ist Krebs. Der Tumor ist bösartig, aggressiv und muss sofort entfernt werden. Nur eineinhalb Wochen vergehen von der Diagnose bis zur OP. Sie dauert elf statt wie geplant vier Stunden, da der Tumor größer ist als gedacht. Zwei Drittel der Zunge und die Lymphknoten am Hals müssen die Mediziner entfernen, setzen Kiener noch während der Operation ein Transplantat als Ersatz ein, geformt aus Gewerbe ihres Oberarms.

Bestrahlung war ein „Höllenritt“

Auf eine weitere OP, in der nochmals potenziell befallenes Gewebe abgetragen werden muss, folgen fünf Wochen Bestrahlung. Sechs Einheiten, jede Woche. Als „Höllenritt“ beschreibt Kiener die Therapie rückblickend.

„Mir ging es teilweise so dreckig. Zuerst konnte ich nicht reden, meine Zunge war total angeschwollen. Ich musste wieder lernen zu schlucken und zu essen. Mein Mund war oft staubtrocken, weil die Therapie einen Großteil meiner Speicheldrüsen zerstörte.“

Der trockene Mund sei eine der Nachwirkungen, die sie bis heute spüre, sagt Kiener. Fast genau ein Jahr ist vergangen seit ihrer OP. Weiterhin gehe sie regelmäßig zur Physiotherapie, zur Lymphdrainage, zur Logopädie. Ihre Tumor-Marker werden engmaschig kontrolliert. Insgesamt gehe es ihr gut, sagt sie. Ihr Leben könne sie größtenteils wieder so führen, wie sie es vor der Krankheit getan habe.

Warum sie offen über ihre Krebs-Erkrankung spricht

Trotzdem habe sie der Krebs verändert, meint Kiener. Sie lasse sich nicht mehr so schnell aus der Ruhe bringen, sei konsequenter mit ihren Grenzen und ihrer Zeit, versuche, achtsamer zu leben. „Was nicht heißt, dass ich nicht auch mal eine Stunde bei Instagram verplempere“, scherzt sie. 

Es ist ihr wichtig, offen über die Zumutungen der Krebstherapie zu sprechen. Aber auch darüber, dass Krebs kein Todesurteil sein müsse. „Die Bestrahlung war die härteste Zeit meines Lebens“, sagt Kiener. Endlos hätten sich die Wochen Anfang des Jahres angefühlt. Gerade den Jüngeren wolle sie Mut machen, dass es oft dennoch eine Zeit danach gebe, für die es sich lohne, nicht die Hoffnung aufzugeben. „Es ist nicht mehr wie vorher, aber es ist auch gut.“