Komödie mit Pausentaste: „La fille du régiment“ an der Bayerischen Staatsoper
Darf man „La fille du régiment“ in Kriegszeiten spielen? Klar doch, wenn man eine solche Besetzung wie die Bayerische Staatsoper hat. Nur vielleicht nicht als Komödien-Hybrid wie hier.
Gleich ein paar Stiche versetzt es einem. „Vaterland und Sieg sind meine Losung“, zum Triumph werde sie marschieren, selbstverständlich „ohne Furcht“. Und dann wird auf der Bühne auch noch eine Soldatenpuppe der gegnerischen Franzosen aufgespießt und zerrissen. Ist gar nicht bös‘ gemeint, humpftatat und walzt die Musik. Und das stimmt ja auch: Gaetano Donizettis „La fille du regiment“ lässt sich auch Anno 2024 locker spielen, weil es dieser Regimentstochter gar nicht um Blut und Rache geht. Die liebt nicht die Schlacht, sondern ihre uniformierten Ziehväter, am Ende sogar einen Feind, vor allem aber Töne jenseits des Notensystems (Handlung am Ende des Textes).
Legitimation für eine Neuproduktion ist also weniger der Inhalt, sondern die Besetzung. Und da hat die Bayerische Staatsoper (fast) alle Argumente auf ihrer Seite. Wobei es in dieser Premiere weniger um die Titelrolle geht. Pretty Yende hat seit Jahren ein Auftritts-Abo auf die Marie. Noch immer legt sie sich lustvoll in die Koloraturkurven, produziert Sopranspitzen, die – man ist ja im Krieg – auch mal in den bewussten Schrei driften. Doch am schönsten sind in dieser Premiere die lyrischen Passagen der zweiten Arie, wo sich der Zauber der Stimme entfalten kann. Auch weil die Südafrikanerin nicht (mehr?) über die natürliche Brillanz anderer Fachkolleginnen verfügt. Die Stimme ist gehaltvoll, gedeckt, nicht immer optimal zentriert und legt den Verdacht nahe: Pretty Yende ist etwas über die Rolle hinaus.
Star des Abends ist Xabier Anduaga
Ganz am Anfang dagegen ist der Star des Abends. Xabier Anduaga steht die Tenorwelt offen. Keine typische Belcanto-Trompete führt er ins Feld, da ist viel Substanz, eine umwerfende Klangpräsenz und eine verblüffende Lockerheit. Die vielen hohen Cs in „Ah! Mes amis“ riskiert er mit Vokalvollschwingung. Nichts ist forciert, immer hat diese Stimme Raum – schon jetzt hört man bei dem 29-Jährigen Offenbachs Hoffmann, Verdis Herzog oder Massenets Werther heraus. Auf diesem Steilflug wird er sich gewiss noch einige Farben und Nuancen, vielleicht auch ein klangliches Lächeln erarbeiten: Den Tonio, so war es jedenfalls in der Premiere, nimmt Anduaga eine Spur zu ernst. Kein Da Capo der Arie wie oft üblich. Das Publikum in den Folgevorstellungen müsste dafür schon etwas mehr lärmen.
Apropos: Mit den Knalleffekten der Ouvertüre macht einem Dirigent Stefano Montanari noch Angst. Doch mit der Zeit finden Grandezza und Feintuning zueinander. Das Staatsorchester offeriert Detailfunkeln und ein hochflexibles Spiel. Montanari, an der Staatsoper bereits mit „Le nozze di Figaro“ betraut, ist bei Donizetti wesentlich weniger diffus und egozentrisch unterwegs als im Mozart-Fall.
Die übrige Besetzung ist dem Musterbuch der musikalischen Komödie entsprungen. Dorothea Röschmann (Marquise de Berkenfield) hat im Spätsommer der Karriere Spaß am Fach der bizarren Seniorin, Misha Kiria führt als Sergeant Sulpice vor: Auch Bass-Kraftprotze können singdarstellerisch durch den Abend flanken. Sie alle müssen freilich den Mund halten, wenn eine grande Dame auf die Bühne rauscht. Eigentlich spielt die Bayerische Staatsoper die Erstfassung der „Fille du régiment“. Doch alle Dialoge wurden gestrichen zugunsten von Sunnyi Melles. Die hätte als Duchesse de Crakentorp eigentlich eine Mini-Partie, hier führt sie als Domina-Erzählerin durchs Geschehen.

Die Texte stammen von Mattia Palma (fürs koproduzierende Teatro San Carlo in Neapel), wurden von Saskia Kruse übersetzt und mit Sunnyi Melles „weiterentwickelt“, wie es im Programmheft vielsagend heißt. Einhegen lässt sich dieser Theaterstar schon lange nicht mehr. Manches funktioniert als exzentrisches Intermezzo, anderes ist Ego-Show. Und beweist: So ganz einfach ist es doch nicht mit „La fille du régiment“ im Opernheute.
Regisseur Damiano Michieletto, stets der Mann für gediegene Ambition, hat da einen merkwürdigen Komödien-Hybrid erschaffen. Das Setting von Paolo Fantin sieht aus, als werde ein barocker Kostümschinken gedreht. Tirols Natur existiert per Hintergrundprospekt nur als Fantasiekulisse. Viel Weißraum gibt es für Stereotypes vom rhythmischen Marschieren übers Rampensingen bis zum Nervenzusammenbruch. Dass Marie und Tonio wirklich für einander entflammt sind, kauft man der heruntergekühlten bis aseptischen Produktion kaum ab.
Die Sunnyi-Sause sorgt für gelegentliche Erheiterung, doch meist drückt ihre Duchesse die Pausentaste der Aufführung. Der Abend hebt nicht ab, ruckelt so dahin, findet zu keinem rechten Timing. Am Ende werden (sehr erwartbar) die Kulissen eingerissen und fahren ins Off. Michieletto will Distanz, Brechung, gleichzeitig alles in die Groteske treiben. Doch damit überfordert er den Zweiakter. Der möchte ja keine subversive Satire sein, sondern einfach nur eine kleine, freche Farce. Und muss daher in Krisenzeiten nicht von den Bühnen verbannt werden. Allerdings: Eine Frau wie Marie funktioniert nur als Kerl? Darüber, caro Signor Donizetti, müsste man sich eher mal unterhalten.
Die Handlung
Marie ist ein Findelkind und Liebling des 21. Regiments. Sie liebt den jungen Tiroler Tonio, der ihretwegen Soldat wird. Als die Marquise von Berkenfield in der jungen Frau ihre Tochter erkennt, behält sie das für sich. Sie will Marie standesgemäß verheiraten. Doch Marie und Tonio können einander nicht vergessen. Er offenbart der adeligen Gesellschaft Maries Vergangenheit und erobert seine Soldatenbraut zurück.