Schwedens Nato-Betritt drückt Russland in der Ostsee an den Rand – doch Putin bleibt für die Region gefährlich
Russland sorgt an der Ostsee trotz seiner begrenzten Zugänge zum Meer mit Nadelstichen gezielt für Unruhe. Die Nato-Anrainerstaaten fürchten zudem Sabotageakte auf kritische Untersee-Infrastruktur.
Der Weg Schwedens in die Nato ist nach der Zustimmung des ungarischen Parlaments vom Montag frei. Die Allianz wird damit endgültig zur dominierenden Macht in der Ostsee. An ihrer Küste liegen neben Schweden fast nur Mitglieder des Militärbündnisses – und Russland. Doch trotz seines nur begrenzten Zugangs zur Ostsee am nordöstlichsten Zipfel des Meeres und über die Exklave in Kaliningrad zwischen Polen und Litauen gelingt es Moskau, die Nervosität der Anrainer stetig hochzuhalten – durch gezielte Nadelstiche und Störungen. Das wird durch Schwedens Beitritt zwar mühsamer für Moskau, aber nicht unmöglich.
Ende Januar etwa tauchte eine russische Militärmaschine vor der Ostseeinsel Rügen auf, sodass zwei Eurofighter der Bundeswehr-Luftwaffe vom Fliegerhorst Rostock-Laage aufstiegen. Man habe das russische Flugzeug, das ohne Transpondersignal unterwegs gewesen sei, „kurzzeitig begleitet, bevor es wieder nach Osten abgedreht ist“, teilte die Luftwaffe mit. Auch vor der Küste des Baltikums treffen Nato-Patrouillen immer wieder auf russische Kampfjets ohne Transponder.
Zudem häufen sich im Ostseeraum vom Baltikum bis ins östliche Mecklenburg-Vorpommern seit Wochen Fälle gezielter Störungen des Satellitennavigationssystems GPS, des sogenannten GPS-Jamming. Dabei werden die von GPS-Satelliten auf die Erde ausgestrahlten Signale von einem anderen Sender am Boden gestört, was Schiffs- und Flugverkehr empfindlich trifft. Auch hier fällt der Verdacht der Anrainer auf Moskau.
Auffällige Störungen der GPS-Navigation im Ostseeraum
Anfang Februar gab es zweimal großflächige GPS-Störungen zwischen Polen, Vorpommern und Schweden. Seit Mitte Februar verzeichnet die Daten-Website www.gpsjam.org durchgehend hohe Störungsraten in Estland und vor dessen Küste. Die Störungen dort begannen nur wenige Tage, nachdem der estnische Auslandsgeheimdienst in seinem aktuellen Jahresbericht gewarnt hatte, dass Russland die Zahl seiner Truppen entlang der Nato-Grenze in den kommenden Jahren deutlich erhöhen werde. Zufall?
Zur selben Zeit fand sich zudem Estlands Premierministerin Kaja Kallas plötzlich auf einer Fahndungsliste Russlands wieder, angeblich wegen ihres Vorgehens gegen Denkmäler aus Sowjetzeiten. Doch vor allem gehört Kallas zu den entschiedensten europäischen Unterstützern der von Russland angegriffenen Ukraine. „Jemand verursacht das, und wir glauben, das ist Russland“, sagte General Martin Herem, Kommandeur der estnischen Streitkräfte, schon im Januar in Tallinn. Moskau teste wahrscheinlich die Fähigkeit zur Störung im Krieg, so Herem.
Der estnische Geheimdienst geht davon aus, dass Russland etwa drei bis fünf Jahre benötigen würde, um nach einem Ende des Ukraine-Kriegs seinen Militärapparat so weit wieder aufzubauen, dass er eine direkte Bedrohung für die Nato darstellen werde. Bis dahin könne Russlands Präsident Wladimir Putin seine Politik der hybriden Kriegführung auf den Ostseeraum ausweiten – durch Störungen und Provokationen im Meer oder Aktionen entlang der Ostgrenze Finnlands und der drei baltischen Staaten. So hat Russland nach Angaben aus Helsinki Tausende Geflüchtete aus Ländern wie Jemen, Somalia und Syrien an die Grenze zu Finnland bringen lassen, die seit November vollständig geschlossen ist.
Nato-Beitritt Schwedens macht die Ostsee sicherer
In dieser Lage ist der nahende Beitritt Schwedens definitiv von Vorteil. Er mache das Bündnis „stärker und sicherer“, schrieb Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg auf X. So verdoppelt sich knapp die Nato-U-Bootflotte in der Ostsee; die Streitkräfte gelten als schlagkräftig. Durch seine geografische Lage in der Mitte zwischen dem hohen Norden und dem Baltikum ist Schweden ideal positioniert, um Truppen und Nachschub in die Ostseeregion zu bringen. Die schwedische Insel Gotland etwa befindet sich nur 330 Kilometer nordwestlich von Kaliningrad. Sie liegt damit strategisch günstig als Außenposten für die Verteidigung des Baltikums – aber ist auch verletzlich, etwa durch russische Raketen aus der Exklave.

Der US-Sicherheitsexperte John R. Deni vom U.S. Army War College warnt: „Die Ostsee ist kein Nato-Meer – schon gar nicht, solange der Kreml die Region durch hybride Aktivitäten destabilisiert und Russland in Kaliningrad eine gewaltige, nuklear bewaffnete militärische Kapazität unterhält.“ Die Verbündeten verfügten in der Ostseeregion nur über begrenzte Fähigkeiten und noch begrenztere Kapazitäten.
Russland hat es auf westliche Untersee-Infrastruktur abgesehen
Russlands Marine sei zwar unterfinanziert und im Ostseeraum weder groß noch schlagkräftig, schreibt Deni. Doch es gebe eine Ausnahme: Russland habe sich gezielt die „Fähigkeit für Untersee-Aktivitäten erhalten, etwa das Durchtrennen von Kommunikationskabeln oder Energieverbindungen zwischen den baltischen Staaten und dem Rest der Region. Tatsächlich kartiert Russland bereits aktiv die unterseeische Infrastruktur.“
Die noch immer ungeklärten Explosionen der Gaspipelines Nordstream 1 und 2 vom September 2022 waren dabei ein Weckruf; die Anrainer verstärkten ihre Patrouillen. Doch im Oktober 2023 entdeckten Finnland und Schweden verdächtige Schäden an einem Unterseekabel nach Estland. In Verdacht geriet ein chinesisches Schiff, dessen schleifender Anker zumindest eine der Leitungen durchtrennt haben könnte – ob versehentlich oder bewusst, ist unklar. Der schwedische Ministerpräsident Ulf Kristersson warnte damals vor der Verwundbarkeit der „Spaghettischale aus Kabeln, Drähten und anderer Infrastruktur am Meeresgrund“. Demnächst kann Schweden im Nato-Rahmen zu einem gemeinsamen Schutz dieser Infrastruktur beitragen.