Bürgergeld-Studie zeigt negative Entwicklung: Experte würde „länger sanktionieren“, aber „Positivanreize“ setzen
Langzeitarbeitslosigkeit bereitet derzeit dem deutschen Arbeitsmarkt Probleme. Ein Experte fordert Bürgergeld-Anpassungen, mahnt aber vor zu viel Druck.
Bremen – Das Thema Bürgergeld polarisiert. Mit der staatlichen Sozialleistung sollen Menschen, die in existenzielle Not geraten sind, abgesichert werden. Viele Bürgergeldempfänger sehen sich Vorurteilen ausgesetzt, werden teils als faul oder arbeitsunwillig stigmatisiert. Derweil werden immer wieder Rufe nach härteren Sanktionen gegen Bürgergeldempfänger, die zumutbare Jobs ablehnen, laut. Ein Experte hat sich nun für längere Sanktionierungen ausgesprochen, um Langzeitarbeitslose zur Rückkehr auf den Arbeitsmarkt zu bewegen – allerdings mit Einschränkungen.
Neue Bürgergeld-Studie zeigt negative Entwicklung: „Rund 30.000 Arbeitsaufnahmen weniger“
Eine aktuelle Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) fand heraus: Seit Einführung des Bürgergelds haben 5,7 Prozent weniger Menschen in der Grundsicherung einen Job aufgenommen. Insgesamt sind die Arbeitsaufnahmen aber auch um 20 Prozent nach unten gegangen. Das zeigt laut Enzo Weber, dass andere Gründe – wie etwa der Wirtschaftsabschwung – eine größere Rolle spielten. Der Leiter des Forschungsbereichs „Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen“ am IAB war als einer der Autoren an der Studie beteiligt. Dennoch sieht der Arbeitsmarktforscher Änderungsbedarf beim Bürgergeld.

„Das Bürgergeld hat eine richtige Grundidee, aber die Jobaufnahmen sind bisher zu schwach“, wurde Weber von der Süddeutschen Zeitung zitiert. Weber erklärte im Interview mit RTL, dass die besagten 5,7 Prozent weniger Bürgergeldempfänger, die einen Job angenommen haben, umgerechnet „rund 30.000 Arbeitsaufnahmen weniger“ bedeuten. Um dem entgegenzuwirken, brauche es Veränderungen, so der Arbeitsmarktforscher in der TV-Sendung „Nachtjournal“. Zwar sei es richtig, „auf mehr Qualifizierung, mehr berufliche Entwicklung und Kooperation auf Augenhöhe“ zu setzen, so der Experte. Doch es brauche „wieder mehr Verbindlichkeit“.
Arbeitsmarkt-Experte würde beim Bürgergeld „länger sanktionieren“ – aber auch „bessere Positivanreize“ schaffen
Weber ist der Meinung, dass das Jobcenter „bei Sanktionen nicht überziehen“ sollte und „nicht immer gleich auf die 100 Prozent“ gehen sollte. Der Experte denkt aber auch, man müsse „vielleicht länger sanktionieren“, um „dann eine solche Sanktion jederzeit wieder aufheben zu können“. Aus Sicht des Fachmanns sind zudem „bessere Positivanreize“ eine Möglichkeit, den oft beschwerlichen Weg weg vom Bürgergeld und hin zur Rückkehr auf den Arbeitsmarkt zu ebnen. Der SZ sagte Weber: „Je länger jemand raus ist, desto schwerer wird der Weg zurück in den Job. Die Qualifikationen entwerten sich. Die Motivation sinkt.“

Weber forderte diesbezüglich „bessere Hinzuverdienstmöglichkeiten im Bürgergeld, im Wohngeld, von rund 30 Prozent Selbstbehalt durchgängig“. Das würde nach Schätzung des Berufsforschers „zusätzliche Arbeitsaufnahmen im unteren Hunderttausender Bereich“ einbringen. Kombiniert mit einer Anschubhilfe im ersten Jahr des Bürgergeldempfangs sei es möglich, Impulse zu setzen, „damit sich Arbeitslosigkeit nicht verfestigt“, ergänzte Weber.
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Bürgergeld-Experte sicher: Zu viel Druck geht nach hinten los – 100-Prozent-Sanktion „überhart“
In der Diskussion um das Bürgergeld und mögliche Sanktionen für potenzielle Arbeitsverweigerer mahnte der Experte zu weitsichtigem Handeln. Druck müsse aufgebaut werden, aber im richtigen Maße. „Jetzt geht die Diskussion immer gleich auf die 100-Prozent-Sanktion“, meinte Weber, „die sehr stark in die Lebensverhältnisse der Menschen eingreift und den Druck sehr stark erhöht.“
Wissenschaftliche Studien hätten gezeigt, dass Menschen „unter solchem Druck auch schlechte Jobs annehmen, mit wenig Perspektive“. Manche „wenden sich sogar ganz vom Arbeitsmarkt ab, weil sie das Vertrauen verlieren“. Die 100-Prozent-Sanktion ist nach Einschätzung des Wissenschaftlers „überhart“.
Seit Ende März ist es Jobcentern möglich, Bürgergeldempfängern, welche die Aufnahme einer zumutbaren Arbeit beharrlich verweigern, für bis zu zwei Monate den Regelsatz komplett zu streichen. (kh)