Fan-Unterstützung für DFB-Team „unter Vorbehalt“: Experte bemerkt bezeichnende Szene beim EM-Start
„In Deutschland steht der Support, solange die Mannschaft Erfolg hat.“ Fanforscher Harald Lange sieht trotz des erfolgreichen EM-Auftakts viel Arbeit für den DFB.
München – Was passiert, wenn das deutsche Team bei der EM erstmals taumelt? Harald Lange ist sich sicher: Viele Anhänger werden sich abwenden. Im Interview spricht der Fanforscher vom Institut für Sportwissenschaft an der Uni Würzburg über seine Beobachtungen zum Turnierstart und nimmt den DFB in die Pflicht. Das Gespräch fand vor dem zweiten Spiel der Nagelsmann-Elf gegen Ungarn statt.
Der Start in die EM ist geglückt. Viele Deutschland-Fans träumen vom Titel. Sind die Enttäuschungen der letzten Turniere bereits vergessen?
Harald Lange: Noch steht die Unterstützung der DFB-Anhänger auf tönernen Füßen. Es war ein Riesenglück, dass Julian Nagelsmann bei den Testspielen im März viele richtige Entscheidungen getroffen hat. Unter anderem durch die Rückholaktion von Toni Kroos. Die Kehrtwende ist geschafft, aber das läuft alles noch unter Vorbehalt.
Experte kritisiert Fantum bei DFB-Team: „Man hat entsprechende Leute angezogen“
Warum?
Man hat sich beim DFB insbesondere in den letzten zehn Jahren eine Fankultur quasi selbst aufgebaut. Die funktioniert durch den Event-Charakter. Durch die „Bierhoffisierung” (Oliver Bierhoff arbeitete bis 2022 beim DFB unter anderem als Teammanager, d. Red.) des Nationalmannschaftsfußballs ist das ganze mehr und mehr ein Produkt geworden. Dadurch hat man entsprechende Leute angezogen. Nämlich Anhänger, die nur bei großen Turnieren ihr Fantum als solches entdecken. Sie bilden inzwischen den Kern der Fanszene der Nationalmannschaft.
Beim EM-Eröffnung in München: Fanforscher lobt Leidenschaft der Schotten
Wie äußert sich das?
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In München konnte man das beim Spiel gegen Schottland ganz gut sehen. Da liegt der Gastgeber 4:1 vorne und die Schotten stimmen gemeinsam ein imposantes Lied an. Für ihr Team, das ganz sicher verlieren wird. Die Deutschen hatten keine Chance im Support-Battle gegen die Schotten. Obwohl das Verhältnis ungefähr 6:1 war. Das ist schon ein Ausrufezeichen, das uns zeigt, woran wir arbeiten sollten.
Was haben die schottischen den DFB-Fans voraus?
Die Schotten sind bei Welt- und Europameisterschaften noch nie über die Vorrunde hinausgekommen. Und dennoch nehmen so viele Menschen den weiten Weg auf sich, unterstützen ihr Team mit großer Leidenschaft. Davon sind wir in Deutschland Lichtjahre entfernt. In Deutschland steht der Support, solange die Mannschaft Erfolg hat. So wie die Mannschaft ausscheidet, ist das Turnier für die meisten gegessen.
EM-Nominierung in Deutschland: „Wunderbarer Klamauk, wirkt aber nicht nachhaltig“
Was hat der DFB in den letzten Jahren falsch gemacht?
Als Erstes fällt mir da die EM-Nominierung der Nationalspieler ein, die unter anderem über Influencer gelaufen ist. Das ist wunderbarer Klamauk, bietet Unterhaltungswert, wirkt aber nicht nachhaltig. Was man braucht, ist Identifikationsfläche. Mit meinem Institut mache ich seit vielen Jahren Studien, auch zum DFB. Da ist die Stimmungslage bezüglich der Identifikation denkbar schlecht. Das liegt beispielsweise an der Unfähigkeit des Verbandes, die Geschehnisse rund um das „Sommermärchen” 2006 kritisch aufzuarbeiten.

Auf Vereinsebene haben viele deutsche Fans kein Identifikationsproblem. Warum springt der Funke bei der Nationalmannschaft nicht über?
Der Verband hat in der Spitze das Image, das die großen Fußball-Verbände auch haben. Bei Fans entsteht der Eindruck, es gehe nur um Persönliches und Geldvorteile, weniger um die Weiterentwicklung. Das kombiniert mit dem „Fan Club Nationalmannschaft“ und seinem Exklusiv-Partner Coca-Cola stellt eine europaweit nicht vergleichbare Kommerzialisierung dar. Und dann fällt es denjenigen, die für ihren Klub wahre Leidenschaft empfinden, schwer, umzuswitchen. Von der Treue, die sie ihrem Heimatklub gegenüber aufbringen, zu diesem Kunstprodukt Nationalmannschaft.
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Inzwischen hat sich der DFB auch für private Fanklubs geöffnet. Ein Hoffnungsschimmer?
Nachdem die Bierhoff-Ära zu Ende gegangen ist, machen sich schon zarte Pflänzchen bemerkbar. Man löst das Monopol des „Fan Club Nationalmannschaft“ ein Stück weit auf. Aber das kam viel zu spät. Meint der Verband es ernst, dass er auch innerhalb des DFB eine ernstzunehmende Opposition zulassen möchte? Es ist wohl noch zu früh, das zu beurteilen. Wenn man Fans emotional an die Mannschaft binden will, kann man das nicht über die PR-Abteilung lösen. Da braucht es strukturelle Veränderungen auf Verbandsebene. Man muss als fußballliebender Verband auftreten. Nicht nur als Kontrollinstanz, die drakonische Strafen ausspricht, wenn Fans mal wieder ein bisschen Pyro gezündet haben.