Kommentar von Hugo Müller-Vogg - Er lässt sich Zeit! Was Scholz jetzt vorhat, ist an Dreistigkeit nicht zu überbieten
Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dem Land einen Dienst tun und für Klarheit sorgen wollte, könnte er noch in dieser Woche die Vertrauensfrage stellen. Dazu braucht es nach Artikel 67 (2) Grundgesetz nur 48 Stunden Vorlauf.
Würde er die Vertrauensfrage, wie geplant, verlieren, könnte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Bundestag innerhalb von 21 Tagen auflösen; er könnte auch ganz schnell entscheiden. In jedem Fall könnten die vorgezogenen Bundestagswahlen innerhalb von 60 Tagen stattfinden. Dann wären Neuwahlen bereits im Februar möglich.
Scholz will den Tag seiner Abwahl hinauszögern - aus zwei Gründen
Das will der mit seiner „Fortschrittskoalition“ gescheiterte Kanzler aber nicht. Er will die Vertrauensfrage erst am 15. Januar stellen. Der Effekt: Es würde den Tag seiner zu erwartenden Abwahl bis in den März hinauszögern.
Dafür gibt es zwei Gründe, einen eher kleinkarierten und einen strategischen. Die SPD erhofft sich von der Bürgerschaftswahl am 2. März in Hamburg ein Ergebnis, das wenigstens etwas Hoffnung für die Bundestagswahl macht.
Was aber noch wichtiger ist: Scholz möchte bis Januar noch einige Gesetze mit Hilfe der CDU/CSU-Opposition durch Parlament bringen. Jedenfalls behauptet er das.
In Wirklichkeit wäre es ihm wohl lieber, die Opposition verweigerte ihm die Zustimmung. Dann könnte er Friedrich Merz und die Union im Wahlkampf als unverantwortliche Zeitgenossen diffamieren.
Ein durchsichtiges Manöver des Noch-Kanzlers
Ohnehin war das Ganze ein durchsichtiges Manöver. Kaum war der Koalitionsausschuss am Mittwochabend zu Ende, trat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vor die Medien , erklärt den Rauswurf von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und kündigt vorgezogene Bundestagswahlen für den März an.
Der Auftritt war typisch Scholz: von der eigenen Unfehlbarkeit überzeugt, die Schuld für das Scheitern der Ampel allein bei den Freien Demokraten suchend, die CDU/CSU in die Mitverantwortung zu zwingen bemüht.
Eines war ebenfalls klar: Da trat nicht ein überraschend gescheiterter Kanzler vor die Kameras. Das Manuskript für seine Äußerungen lag wohl schon vor, als der Koalitionsausschuss am Abend zusammen kam.
Erst die Partei, dann das Land
Scholz hatte den Bruch genau vorbereitet. Eine Beendigung der als „Fortschrittskoalition“ gestarteten Ampel war ihm lieber, als sich wirtschaftspolitisch von der eigenen Linken zu emanzipieren: erst die Partei, dann das Land.
Lindner hat hoch gepokert - und gewonnen. Nicht er läuft vor der Verantwortung davon. Scholz und die SPD wollen an ihrer „Allen wohl und niemand weh“-Politik unbedingt festhalten.
Scholz ist nicht bereit anzuerkennen, dass eine Fortsetzung der derzeitigen Wirtschaft- und Sozialpolitik das Land immer tiefer in die Krise führt. Der uralte sozialdemokratische Glaubenssatz, wonach hohe Schulden der kürzeste Weg zum Wohlstand wären, sind ihm heilig.
Es sind nicht die Freien Demokraten, die ein zum Scheitern verurteiltes Experiment vorzeitig beenden. Lindner hat Scholz und die SPD vor die Alternative gestellt, den wirtschaftlichen Niedergang des Landes fortzusetzen oder zu beenden versuchen. Letzteres wollte Scholz den eigenen Linken nicht zumuten.
Plötzlich spielt Scholz den am Gemeinwohl orientierten Staatsmann
Die Scholzsche Chuzpe, jetzt die CDU/CSU zur Zusammenarbeit aufzufordern, ist an Dreistigkeit nicht zu überbieten. Bisher hat Scholz alle Kooperationsangebote des Oppositionsführers Friedrich Merz mit der ihm eigenen Überheblichkeit abgelehnt.
Jetzt spielt Scholz plötzlich den am Gemeinwohl orientierten Staatsmann. Dieses Manöver ist so durchsichtig, dass peinlich ein zu milder Begriff dafür ist.
Deutschland wird seit Dezember 2021 von einer rot-grün-gelben Koalition regiert, in der zusammen agiert, was nicht zusammenpasst - von der Cannabis-Freigabe und der Möglichkeit zum jährlichen Wechsel des Geschlechts mal abgesehen.
Das Ergebnis ist dementsprechend: Die Koalitionspartner sind heillos zerstritten, die Wirtschaft schmiert ab, SPD und Grüne verweigern sich einer nüchternen Analyse.
Lindner ist jetzt das ungleich größere Risiko eingegangen
Die FDP hat lang - zu lange - bei diesem Treiben mitgemacht. Jetzt hat Christian Lindner dem Kanzler klargemacht, dass die FDP ein bequemes „Weiter so“ nicht mitträgt.
Lindner hat dabei mehr Mut bewiesen als die FDP-Granden Hans-Dietrich Genscher und Otto Graf Lambsdorff. Als die 1982 die rot-gelbe Koalition aufkündigten, wussten sie, dass sie mit der CDU/CSU sofort eine neue Mehrheit formen konnten.
Lindner ist jetzt das ungleich größere Risiko eingegangen. Aber ein Ende dieses rot-grün-gelben Trauerspiels ist allemal besser als ein Festklammern an Pfründen und Privilegien. Im Übrigen ist die FDP gut beraten, sich an die Bremer Stadtmusikanten zu halten: „Etwas Besseres als den Tod findet Du überall.“