So geht es Russlands Konjunktur - Putin verfeuert Milliarden in Ukraine – wie er das finanziert und wann es gefährlich wird

3,6 Prozent Wachstum in diesem Jahr – derartige Raten wünschen sich sicher auch manche Politiker hierzulande. Denn Deutschlands Wirtschaft befindet sich in der absoluten Stagnation, so die Prognosen des Internationalen Währungsfonds (IWF). Russlands Wirtschaft indes soll 2024 kräftig wachsen, so stark wie schon im vergangenen Jahr.

Russlands eigene Statistik verweist ebenfalls einen deutlichen Aufwärtstrend. Den offiziellen Daten zufolge stieg das Bruttoinlandsprodukt, in Rubeln, zwischen dem ersten Quartal 2022 und dem zweiten Quartal 2024 von 36,9 Billionen auf 46,2 Billionen Rubel – ein kräftiger Sprung um über 25 Prozent.

Zahlen des IWF unterstreichen Russlands Volldampf-Konjunktur, während Deutschlands Wirtschaft hinkt. Im kommenden Jahr dürfte das hiesige Wachstum zwar auf 0,8 Prozent steigen, damit aber weiter hinter Russlands projiziertem Konjunkturplus (1,3 Prozent) bleiben – obwohl der Westen den Staat weiterhin massiv sanktioniert.

Der Kreml will die Militärausgaben nochmal deutlich hochschrauben

Das Geheimnis – und der große Nachteil – dieses Wachstums: die vom Kreml initiierte Kriegswirtschaft. Nur dadurch kann Wladimir Putin seinen Krieg überhaupt noch fortführen. Doch der wird immer teurer. Und auf Öl und Gas will sich der Kreml bei der Finanzierung weniger verlassen.

Das zeigen neue Pläne zum Haushalt, über welche das unabhängige russische Wirtschaftsmagazin „The Bell“ berichtet. So sollen die Regierungsausgaben für das Militär in diesem Jahr um 25 Prozent auf rund 140 Milliarden US-Dollar steigen – und auf diesem Rekordniveau auch für mindestens drei Jahre bleiben, so das Magazin.

Gleichzeitig will der Kreml ein Haushaltsdefizit von weniger als einem Prozent des BIPs erreichen, „und sich dabei nicht auf unverhoffte Einnahmen durch Erdöl verlassen“, wie die Pläne zeigen. Tatsächlich soll dieser finanzielle Kraftakt nicht durch Rohstoffe, sondern durch Steuern gestemmt werden.

Russland exportiert weiter kräftig Öl - doch die Prognosen sind gespalten

Laut „The Bell“ rechnet Moskau für das kommende Jahr nur noch mit Einnahmen von knapp elf Billionen Rubeln (115 Milliarden Dollar) durch Öl- und Gasexporte, 370 Milliarden Rubel weniger als in diesem Jahr. 2027 sollen die Einnahmen unter die Marke von zehn Billionen Rubel fallen.

Das Wirtschaftsministerium hingegen erwartet mehr Einnahmen durch das Geschäft mit den Energieträgern, wie eine Projektion aus dem September zeigt, die der Nachrichtenagentur Reuters vorliegt. Einerseits will Russland etwas mehr Öl exportieren als zuvor, auf der anderen Seite kommt dem Kreml der global steigende Rohölpreis zugute.

Zwar gibt es einen Preisdeckel von 60 Dollar je Barrel durch die Sanktionen, das Ministerium erwartet aber einen durchschnittlichen Absatzpreis von 70 Dollar je Barrel. Momentan notiert der Ölpreis bei etwa 74 Dollar.

Moskau kann sich noch stark verschulden, aber nur im Inland

Dennoch will sich der Kreml offenbar lieber auf deutlich höhere Steuereinnahmen verlassen. Laut „The Bell“ sollen die Einnahmen im kommenden Jahr um 18,4 Prozent steigen, in den zwei Jahren danach immerhin nochmal um jeweils mehr als 6,5 Prozent. Die höheren Steuereinnahmen resultieren aus dem soliden Wirtschaftswachstum, aber auch an gestiegenen Steuersätzen insgesamt.

Zudem, erklärt das Magazin, habe Putins Regime auch weiterhin die Option, sich stärker zu verschulden. Die Quote der Verschuldung zum BIP liegt bei gerade mal 18 Prozent. Dafür sind allerdings auch die Sanktionen verantwortlich. Russland kann sich also nur im Inland verschulden, unter anderem bei den staatlichen Banken selbst.

Doch die möglichen Kapitalgeber innerhalb Russlands sind nicht unbedingt gewillt, Moskau neue Schulden zu gewähren. Bei der bisherigen Schuldenaufnahme in diesem Jahr hinke das Finanzministerium dem Soll hinterher, schreibt das Magazin.

Der schwache Rubel treibt Inflation und Leitzinsen in die Höhe

Ein Problem dabei: der schwache Rubel. Mit Ausnahme der Wochen direkt nach der Invasion der Ukraine war Russlands Währung nie schwächer. Derzeit kostet ein Euro satte 108 Rubel. Noch vor dem Krieg belief sich der Kurs auf rund 80 Rubel je Euro.

Auch zu Währungen wie dem chinesischen Renminbi wird der Rubel immer schwächer – weshalb auch Exporte dahin zumindest in der Landeswährung gerechnet immer weniger einbringen. Zugleich verteuern sich durch den Kurs Importe, was die Inflation anfacht. Deswegen hob die russische Zentralbank den Leitzins jüngst auf enorme 21 Prozent.

Genau deshalb, erklärt „The Bell“, seien russische Investoren nicht besonders erpicht darauf, Moskau weitere Schulden zu gewähren. Zudem lastet durch das hohe Zinsniveau der Schuldendienst selbst stärker auf dem Finanzministerium.

Experten erwarten „erhebliche Engpässe“ an Material - trotz Kriegswirtschaft

Doch selbst, wenn die Finanzierung des Konflikts an sich kein Problem wäre, hat Putins Kriegswirtschaft Grenzen, wie eine detaillierte Analyse des Fachblatts „Foreign Policy“ erklärt.

„Wie viele Arbeiter er auch in die Rüstungsindustrie verschiebt, der Kreml kann seine Produktion nicht so stark ausweiten, um die Waffen zu ersetzen, die auf dem Schlachtfeld verloren gehen“, schreiben die Autoren Marc DeVore und Alexander Mertens, die beide an Universitäten lehren und zudem in Denkfabriken für Verteidigungsstrategie tätig sind.

Schon jetzt stamme die Hälfte der genutzten Artilleriegranaten aus nordkoreanischer Produktion. „An einem Punkt in der zweiten Hälfte 2025 wird Russland bei mehreren Waffenkategorien erhebliche Engpässe haben“, prognostizieren die Experten.

Am ehesten werde das bei Großkalibergeschützen der Fall sein. Russland verliere im Monat durchschnittlich 100 Panzer und rund 220 Artilleriegeschütze. Dabei hat das Land nur zwei sogenannte Radialschmieden, mit welchen die Geschützrohre überhaupt hergestellt werden können. Monatlicher Ausstoß je Schmiede: gerade mal zehn Läufe.

Marktführer solcher Schmieden ist die österreichische Firma GFM, weshalb Russland nicht einfach weitere bestellen kann. Auch die Verbündeten Iran und Nordkorea verfügen nicht über die nötigen Geschütze. Einzig China könnte Russland über diesen Mangel, sobald er da ist, hinweghelfen.

Wegen seines „militärischem Keynesianismus“ kann Putin nicht einfach Frieden schließen

Ähnliche Engpässe kommen auf Russland auch bei Schützenpanzern und Artilleriegranaten zu – und auch bei Arbeitskräften selbst, was den Aufbau weiterer Kapazitäten ebenfalls hemmt. „Weil Russlands Wirtschaft praktisch schon in der Vollbeschäftigung ist, kämpfen die Rüstungskonzerne damit, überhaupt noch Arbeitskräfte zu bekommen“, schreiben DeVore und Mertens.

Das wiederum treibt die Löhne in der Industrie des Landes, und dadurch die Teuerung nur noch weiter. „Paradoxerweise“, erklären die Experten, „sind es die gleichen Faktoren, die Russlands Kriegswirtschaft einschränken, und ebenso verhindern, dass das Land nicht einfach Frieden schließen kann.“

Russlands wirtschaftliche Performance sei „ein Produkt von militärischem Keynesianismus“. Gigantische, aber nicht nachhaltige Ausgaben für die Rüstungsindustrie stützen Beschäftigung und Wachstum, sagen die Experten. Das gehe jedoch zu Lasten der privaten Wirtschaft, die durch die hohen Zinsen keine Investments finanzieren kann und immer weniger Fachkräfte findet.

Kriegstreiber Putin hat eigentlich nur eine Option

Wenn der Krieg zu Ende ist, werden bei der Demobilisierung Hunderttausende von Arbeitskräften freigesetzt, die weder von der darniederliegenden Privatwirtschaft noch von der plötzlich auftragslosen Militärindustrie gebraucht werden – ein Rezept für politische Instabilität, so DeVore und Mertens. Den Krieg mit der Ukraine aber kann Russland nicht dauerhaft führen.

Um am Ende keine Rezession zu riskieren, hat Putin nur eine Option, erklären die Experten: „Statt zu demobilisieren und in den Bankrott zu rutschen, könnte die russische Führung stattdessen ihre militärische Macht nutzen, sich die nötigen ökonomischen Ressourcen zu sichern – mit anderen Worten, weitere Eroberungen oder zumindest die Drohung derselben.“

Historische Präzedenzfälle dafür gebe es, wie etwa bei Napoleon im Jahr 1803 oder Saddam Husseins Angriff auf das Nachbarland Kuwait in den 1990ern. In beiden Fällen wollten die Autokraten so verhindern, ihre hochgezüchteten Armeen demobilisieren zu müssen. In jedem Falle steckt Putin nun in seiner Kriegswirtschaft fest – und wird daher voraussichtlich politisch alles versuchen, um sie am Laufen zu halten.

Was es braucht, sind „endlich wasserdichte“ Sanktionen

Das alles heißt indes nicht, dass Sanktionen nicht wirken. Davon zeugt etwa der drohende Mangel an Geschützen. Zugleich müssen die Strafmaßnahmen „endlich wasserdicht“ gemacht werden, wie beispielsweise LBBW-Chefökonom Moritz Krämer jüngst forderte.

“Russlands Wirtschaft erwies sich resilienter als viele dachten, mich eingeschlossen. Das liegt teilweise an den porösen Sanktionen. Kirgisistan insbesondere hat sich als Drehscheibe für Ausweichmöglichkeiten erwiesen“, schreibt Krämer. Davon würden die gerade explodierenden Exporte Deutschlands in das Land zeugen.

Es sei daher höchste Zeit, diese Schlupflöcher zu schließen und das Land ebenfalls auf die Sanktionsliste der EU zu setzen. „Das wird Russlands Wirtschaft nicht zerstören, könnte aber das Regime destabilisieren, wenn der Nachschub an deutschen Autos und französischen Handtaschen abnimmt.“