Vor Weltmeisterschaft: Weißwürscht statt Weltcup
Weltcup-Absage sorgt selbst im Athletenlager für reichlich Wirbel. Einige Stars wollen sich offenbar für die Weltmeisterschaft schonen.
Missmutig beißt Luis Vogt in seine Brezn. Vor ihm liegt ein Paar Weißwürscht auf einem Pappdeckel. Zwölf Uhr hat es zwar schon geläutet, das hält den deutschen Skifahrer aber nicht davon ab, wenigstens sein Essen am Samstag zu genießen. Eigentlich hätte sich der 22-Jährige gerade warmgemacht und wäre in ein paar Minuten bei seiner Heimweltcup-Premiere die Kandahar heruntergerast. Stattdessen sitzt er mit Simon Jocher und dem Amerikaner Sam Morse im Kreuzeckhaus. „Den ganzen Januar war es schön und pünktlich zu den Rennen regnet oder schneit es. Das ist sehr bitter“, sagt er frustriert.
Bereits am Freitag hatten sich die Athleten die Pistenbedingungen vor Ort angesehen, doch verkrochen sie sich unverrichteter Dinge bald zurück in ihre Hotels. Keine 24 Stunden später wiederholte sich das Spiel. Die Sportler stiegen in der Früh in ihre Vans und wurden zum Parkplatz am Kreuzeck kutschiert. Mit dem Kandahar-Express fuhren sie hoch zum Starthaus und machten sich ein Bild von der Strecke. „Die Piste war top, richtig eisig“, erzählt Vogt. Auch sonst sah alles nach einem perfekten Tag für sein Debüt aus. Der Nebel verzog sich und gab den Blick bis zum Zieleinlauf frei. Doch nur eine Stunde später sah alles wieder anders aus. „Da hat der Nebel dann reingedrückt.“ Und die Sicht wurde nicht mehr besser. An ein komplettes Training war nicht zu denken.
Amerikas Speed-Cheftrainer: „Was die Athleten hier gemacht haben, ist in meinen Augen Arbeitsverweigerung!“
Um das Heimrennen zu retten, heckten die Verantwortlichen einen neuen Plan aus. Mit einem verkürzten Training bis zur Einfahrt Hölle könnte man einen Großteil fahren. Der Rest der Strecke sollte am Sonntag vor dem Rennen absolviert werden. Keine optimale Lösung, aber wohl die einzige. Die Sportler beratschlagten sich, gegen 12.45 Uhr meldet sich Athletensprecher Justin Murisier und verkündet: „Die Sportler wollen kein halbes Training heute und ein halbes morgen.“ Zu viele seien die Piste noch nie gefahren, lieber verzichte man auf die Abfahrt, als sich bei einer geteilten kurz vor der Weltmeisterschaft in Gefahr zu begeben. 17 Minuten später wird das Training abgesagt – die Abfahrt 2025 somit beerdigt.
Doch im Athletenlager macht sich ein Sturm der Entrüstung breit. Die Entscheidung, nicht starten zu wollen, wurde wohl nicht im Kollektiv getroffen. Offenbar hatten sich nur die Top-20-Athleten zusammengetan. Amerikas Speed-Cheftrainer Burkhard Schaffer polterte im Anschluss: „Was die Athleten hier gemacht haben, ist in meinen Augen Arbeitsverweigerung!“ Auch Vogt kann den Entschluss nicht nachvollziehen. „Ich bin nicht gefragt worden. Ich hätte bis Einfahrt Eishang fahren wollen. Jedoch wollten das viele eben nicht.“
Odermatt will vor der Weltmeisterschaft nichts „halbschariges“
Zu den Verweigerern gehörte auch Marco Odermatt. Bereits im vergangenen Jahr hatte der Schweizer nach seinem vierten Platz über die Verhältnisse und die Kandahar gemosert. Dass die Abfahrt heuer ganz ausfiel, kam dem Dominator im Gesamt-Weltcup gelegen. „Keine Chance. Man sah nicht mal ein halbes Tor weit.“ Und auch im Hinblick auf die in dieser Woche startende WM wollte er kein Risiko eingehen. „Wir haben in letzter Zeit genug über verletzte Fahrer diskutiert“, sagt er dem Schweizer Fernsehen SRF. „Eine halbscharige Geschichte brauchen wir jetzt nicht.“
Das sahen die Lokalmatadoren anders. „Zweimal besichtigen und zweimal nicht runterfahren zu dürfen, ist beim Heimrennen doppelt bitter“, sagt Romed Baumann. Auch Simon Jocher wollte sich dieses Highlight nicht entgehen lassen und hätte sich trotz seines Bandscheibenvorfalls und seiner lädierten Ferse aus dem Starthaus gestemmt. Noch niedergeschlagener ist sein jüngerer Team- und Vereinskollege. Noch am Freitag hatte SCG-Chefin Martina Betz eine Nachricht an Vogt verschickt, ihm beste Wünsche für das Rennen mit auf den Weg gegeben und versichert, dass ihn 500 Helfer neben der Strecke anfeuern würden. Mehr Motivation gibt es für einen 22-Jährigen nicht. Doch der Antrieb wandelte sich schnell in Frust um. „Ich bin schon sehr geknickt“, räumt Vogt ein. „Das ist so eine coole Abfahrt, hoffentlich kriegt der SC Garmisch das Rennen nächstes Jahr nochmal.“
Einen kleinen Lichtblick gab es für die deutschen Abfahrer immerhin: Bei Kaiserwetter stürzten sie sich am Sonntag die Kandahar hinunter: Training für die WM in Saalbach nächste Woche. Denn die Abfahrt ist in bestem Zustand, es wäre eine Schande, würde man diese Gelegenheit nicht ergreifen. Vogt sagt: „Natürlich wäre es schöner gewesen, eine Weltcup-Abfahrt zu fahren, aber das ist auch eine gute Lösung.“ Im nächsten Winter will er den dritten Anlauf für seine Kandahar-Premiere wagen. Es hilft ja nichts.