Elīna Garanča: „Ich bin eine zynische Realistin“
Im Mezzo-Fach ist sie eine der amtierenden Regentinnen. Auch weil Elīna Garanča mit ihrer Mischung aus Selbstbewusstsein und Reflexion eine kluge und logische Karriere entwickelt hat. Vor einigen Wochen wurde die Lettin für ihre Eboli im „Don Carlo“ an der Scala bejubelt, gerade tourt sie mit einem Arien- und Lieder-Programm.
Was kostet mehr Nerven? Ein Arien-Abend wie jetzt oder drei große Szenen als Eboli wie kürzlich im „Don Carlo“ an der Mailänder Scala?
Puh. Jedes Mal, wenn man vor das Publikum tritt, egal in welcher Form, zittern mir die Knie. Am schlimmsten sind kleinere Räume mit weniger Publikum. Je größer der Raum, desto besser für mich.
Sie sprechen gern davon, dass Sie sich Achttausender als Ziel setzen. Da haben Sie einige bestiegen – Amneris, Eboli, Kundry, Judith in „Blaubarts Burg“. Muss man jetzt lernen, auf den Gipfeln dauerhaft zurechtzukommen?
Genau. Die Aussicht genießen. Und auch wieder runterzusteigen, um neue Achttausender vorzubereiten. Mich reizt zum Beispiel die Ortrud im „Lohengrin“. Allein, weil so viele sagen, das mache meine Stimme kaputt. Ich will beweisen, dass sie sich irren. Außerdem: 2023 war so intensiv mit den Debüts, den Saisoneröffnungen, noch dazu wurde mir im Knie ein neues Kreuzband eingesetzt. Ich genieße es jetzt, dass es 2024 nicht auf dieser Extra-Turbostufe weitergeht.
Apropos Ortrud oder Kundry – viele Ihrer Kolleginnen singen solche Partien drastisch und hyperdramatisch, Sie nicht.
Ich habe viele unterschiedliche Partien gesungen, auch sehr technisch orientierte wie im Belcanto. Und wenn man im Belcanto einiges gelernt hat, macht das zum Beispiel Wagner leichter. Man muss nur die Ausdauer trainieren und wie man Farben anders einsetzt.
Wie definieren Sie für sich Dramatik?
Ich glaube, es dreht sich dabei um Akzente, um Aussprache, um Körperspannung, um Phrasierung. Viele verwechseln Dramatik mit Lautstärke. Bei Wagner oder in Verismo-Partien wie in der Santuzza aus „Cavalleria rusticana“ gibt es genug leisere Stellen, an denen man sich zurücknehmen könnte – wenn das Orchester mitspielt. Wenn man all das beachtet, ist eine Explosion mit einem hohen Ton oder einer langen Phrase viel wirkungsvoller, als wenn man den ganzen Abend durchbrüllt.
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Haben Sie sich mal stimmlich wehgetan?
Jede Vorbereitung ist tricky. Es ist wie im Fitnesscenter. Das Training dauert, und es gibt regelmäßig Muskelkater bei neuen Übungen. Bauch, Hintern und Beine tun weh. Genauso muss man jede Partie in die Kehle hineinkriegen – bis ich weiß, wo es gefährlich sein könnte. Es ist wie ein Spiel, ein Puzzle mit vielen kleinen, beweglichen Teilen, die im richtigen Moment zusammenkommen müssen.
Im Jahr 2005 haben Sie mir in einem Interview gesagt: „Nach oben zu kommen ist einfacher, als dort zu bleiben. Die Entwicklung hält nicht immer stand mit dem, was der Ruhm vorgaukelt.“ Hatten Sie hier einiges zu lernen?
Ich glaube, ich bin eine leicht zynische Realistin, die auch mit Ironie sehr gut umgehen kann. Da ich bodenständig bin, 2011 und 2014 außerdem Mutter geworden bin und 2015 meine eigene Mutter verloren habe, war ich nie die Getriebene meines Berufs. Sicher gab es Momente, in denen man sich selbst verloren hat. Irgendwann merkt man, wie vergänglich Ruhm sein und wie schnell man sich verbrennen kann. Ich habe immer Ohren und Augen offen gehalten. Keiner hat mich irgendwo hingezwungen, mein Ehrgeiz war groß genug. Außerdem: Ich habe, ob das damals in Meiningen war, später in Frankfurt, dann in Wien, immer wieder von klein an angefangen. Das hat mir gezeigt: Du kommst nach oben, musst aber im Zweifelsfall neu beginnen. Jetzt denke ich mir, gerade nach dem tollen Jahr 2023: Was kann ich noch groß verlieren außer meine Stimme?
Müssen Frauen auf den Opernbühnen mehr mit Klischees kämpfen als Männer?
Mit den Äußerlichkeiten, die von der Gesellschaft gefordert werden, müssen Frauen mehr kämpfen. Männer dürfen pummelig sein, Pickel im Gesicht oder eine rote Nase haben. Aber das Thema ist auch abhängig von der Stimmlage. Wir Mezzosoprane sind besser dran als die Soprane. Wir haben eine viel größere Bandbreite an Partien, da spielt die Körperlichkeit keine so extreme Rolle. Außerdem will ich nicht diesen Druck der Sopran-Primadonna haben. Ich bin wahnsinnig zufrieden damit, dass ich als Nummer zwei oder drei auf der Bühne herumlaufe und die eine oder andere Figur verunsichern darf.
Und wie ist es mit den Rollenklischees? Alle glauben zu wissen, wie Carmen zu sein hat.
Ach wissen Sie, diese Besserwisser gibt es überall. Sie glauben, alles zu wissen, können es aber gar nicht genau benennen. Natürlich gibt es Klischees. Andererseits kommt ständig ein Regisseur daher und glaubt, Amerika neu entdeckt zu haben.
Christian Gerhaher meint, er versuche während der Probenzeit mit einem schlechten Regisseur alles zu akzeptieren oder zumindest zu tolerieren, weil die Sache sonst zu viele Nerven kostet.
Wir sind alle dem Stockholm-Syndrom ausgesetzt. Wir kommen zum tausendsten Konzeptionsgespräch, haben die Partie aber schon gelernt und uns Gedanken gemacht. Und dann hat man zwei Chancen: Skandal machen, abhauen, Geld verlieren und dem Theater damit große Probleme bereiten. Oder man macht mit. Pro Probentag kriegt man ja zehn Stunden lang die Meinung des Regisseurs tropfenweise injiziert. Am Ende glaubt man, dass alles toll ist.
Und man nimmt die Gage als Schmerzensgeld.
Auch das. Vor zehn, 15 Jahren war ich viel kämpferischer. Jetzt stehe ich auf der Bühne und denke mir: Es reicht doch, dass ich dem Publikum zeige, was ich auf meine Weise und mit meiner Stimme zu sagen habe. Nach 25 Jahren auf der Bühne weiß man, wann es sich lohnt, gegen etwas aufzubegehren. Außerdem sind wir als Künstler erschöpfbar. Ich hatte das Glück, mich über Mozart und Belcanto bis zum Dramatischen entwickeln zu dürfen. Ich habe keine Rolle mehr als 50 Mal gesungen. Irgendwann langweilt es doch, das ist jetzt nicht arrogant gemeint. Du kannst eine Phrase mal laut, mal leise singen, dort eine Pause machen oder durchsingen, dabei aufstehen oder sitzen bleiben. Ich will mich einfach nicht auf Dauer wiederholen. Und bevor ich das Publikum mit Routine belüge, suche ich mir lieber eine neue Aufgabe.
Das Gespräch führte Markus Thiel.