Neujahrsempfang in Peißenberg: Grüne verteidigen „Ampel“

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Sprachen beim Neujahrsempfang: Annette Daiber und Michael Sendl. © ruder

Weniger die Kommunalpolitik, sondern mehr die bundespolitischen und gesellschaftlichen Entwicklungen standen im Fokus der Reden beim Neujahrsempfang des Peißenberger Ortsverband von Bündnis 90/Die Grünen. Zu ernüchternden Ergebnissen kam zudem eine Talkrunde zum Thema „Verkehrswende“.

Peißenberg – Wenn sich Michael Sendl in Rage redet, dann gehören Punkt und Komma nicht zu seinen Stilmitteln. Eine Kostprobe der Sendl‘schen Redegeschwindigkeit bekamen die rund 40 Besucher beim Neujahrsempfang der Peißenberger Grünen präsentiert. Der Bio-Landwirt und Grünen-Ortsverbandssprecher kommentierte die Bauernproteste gegen die Kürzungen der Agrardiesel-Subventionen. „Ich fahre am Wochenende selbst zum Demonstrieren nach Berlin“, ließ Sendl die grüne Basis im Bürgerhaus „Flöz“ aufhorchen. Doch Sendls Berlin-Fahrt hatte eine andere Intention: „Wir brauchen eine ökologischere Landwirtschaft“, betonte er mit unmissverständlicher Rhetorik: „Wenn nur noch Großkonzerne die Patente haben, und wir Bauern von denen das Saatgut kaufen müssen, dann sind wir im Arsch.“ Die Artenvielfalt lasse dramatisch nach. Klimaschutz und artgerechte Tierhaltung seien evident wichtig, müssten für die Bauern aber auch bezahlbar sein – „und dann demonstriert man wegen dem Agrardiesel“.

Bauern-Lobby zur Brust genommen

Für Sendl ist der Wegfall der Treibstoffsubventionen eben nicht das Kernproblem der Landwirtschaft. Im Durchschnitt würden kleineren Betrieben durch die Kürzungen gerade einmal 1700 Euro wegfallen. Sendls Problemanalyse ist deshalb eine andere: „Das System in der Landwirtschaft ist krank.“ Obwohl sie beim Bürokratieabbau und der Einführung des Tierwohlcents „zu lahmarschig“ agieren würde, wie Sendl kritisierte, sei an der Lage der Bauern nicht die Ampel-Koalition schuld. In der Geschichte der Bundesrepublik sei immerhin 51 Jahre lang das Landwirtschaftsministerium von Unionsleuten besetzt worden. „Wenn Markus Söder auf die Ampel schimpft, dann ist das also pure Heuchelei.“ Und auch die mächtige Bauern-Lobby nahm sich Sendl zur Brust: „Es ist immer wieder erstaunlich, wie es der Bauernverband schafft, kleine Landwirte auf die Straße zu bringen, um für den Erhalt von großen Betrieben zu demonstrieren.“

Vor Sendls Ausführungen zur Agrarpolitik hatte Co-Ortssprecherin Annette Daiber bereits die scharfe Kritik an der Leistungsbilanz der Bundesregierung als „schlichtweg ungerecht“ bezeichnet – insbesondere in Anbetracht des Ausbaus erneuerbarer Energien und der Auflage „gigantischer Hilfsprogramme“ im Zuge der Corona- und Ukraine-Krise. Vizekanzler Robert Habeck würde eine „pragmatische Wirtschaftspolitik“ betreiben – und zwar ohne ideologische Scheuklappen, wie der Besuch in Katar bezüglich benötigter Flüssiggaslieferungen gezeigt habe. „Doch die Mehrheit der Deutschen will das nicht hören“, so Daiber: „Populismus verweigert die Realität.“

Bichlmayr warnte vor einer Spaltung der Gesellschaft

Auch Matthias Bichlmayr, der Fraktionssprecher der Grünen im Marktrat, attestierte der Bundesregierung, „viele sinnvolle Dinge aufs Gleis gebracht“ zu haben. „Aber sie werden schlecht kommuniziert und erklärt.“ Bichlmayr warnte vor einer Spaltung der Gesellschaft und der demokratischen Parteien. Davon würde nur die AfD profitieren. „Ich wünsche mir weniger Zerrissenheit und mehr Zusammenhalt“, so Bichlmayr. Die Umwelt- und Klimakatastrophe würde neben all den Diskussionen „ungebremst voranschreiten“. Aber die Thematik sei in den Hintergrund geraten. Dem Klimawandel entgegenzutreten, sei aber nicht nur Aufgabe der Grünen, „sondern von uns allen“. Ein „Trugschluss“ sei es, die Verkehrswende allein durch E-Mobilität zu lösen: „Wir werden nicht nur eine veränderte, sondern auch eine reduziertere Mobilität brauchen.“

Mit dem Begriff „Mobilität“ gab Bichlmayr bereits das Stichwort für die abschließende Diskussionsrunde zum Thema „Chancen der Verkehrswende? Mit dem Auto aufs Abstellgleis? Utopie oder Realität?“. Der Tenor des Talks: Oft fehle es am politischen Willen und der finanziellen Ausstattung, ÖPNV-Angebote auszubauen und attraktiv zu gestalten. Im ländlichen Raum werde deshalb auch in Zukunft nicht auf das Auto verzichtet werden können. Norbert Moy vom Fahrgastverband Pro Bahn sprach bezüglich des Zuständigkeitswirrwarrs beim Bahnverkehr zwischen DB-Netz, Bayerischer Eisenbahngesellschaft und Streckenbetreiber von einer „gut organisierten Verantwortungslosigkeit“.

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