Von Deutschlandticket bis Kindergrundsicherung: Diese Projekte bleiben nach Ampel-Aus auf der Strecke
Nach dem Ampel-Aus stehen viele Gesetzesentwürfe auf der Kippe. Vier Projekte will Olaf Scholz retten, andere Vorhaben könnten scheitern.
Berlin – Als Bundeskanzler Olaf Scholz am Mittwoch das Ampel-Aus verkündete, redete er auch über Inhalte. Er versicherte, bis Weihnachten folgende vier Gesetzesentwürfe noch zur Abstimmung in den Bundestag zu bringen, die seiner Meinung nach keinen Aufschub dulden: den Ausgleich bei der kalten Progression als Teil des Steuerfortentwicklungsgesetzes, die Stabilisierung der gesetzlichen Rente, die Umsetzung der Regeln des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) und Sofortmaßnahmen für die Industrie.
Ob diese vier Hauptanliegen von Scholz im Parlament angenommen werden? Selbst das ist fraglich. FDP und CDU/CSU lehnen etwa das Rentenpaket 2 ab und werden eine Mehrheit im Bundestag wohl verhindern. Zudem hat CDU-Vorsitzender Friedrich Merz eine Zustimmung zur Asylrechtsreform davon abhängig gemacht, dass der Kanzler die Vertrauensfrage vor dem 15. Januar stellt – obwohl es in seiner Fraktion Unterstützung dafür gibt.
Diese Gesetzesvorhaben könnten nach Ampel-Aus auf der Strecke bleiben
Zahlreiche Gesetzesvorhaben werden es nach dem Bruch der Ampel-Koalition allerdings gar nicht mehr in den Bundestag schaffen. Mühsame Arbeit und Ambitionen politischer Arbeit, die abseits großer öffentlicher Sichtbarkeit ausgearbeitet wurden, drohen damit im Nirwana zu versinken. Hier eine Auswahl von Gesetzesentwürfen der Ampel-Koalition, die jetzt auf der Strecke bleiben könnten, da SPD und Grüne ohne die FDP keine Mehrheit im Bundestag haben.
- Bundeshaushalt 2025: Gibt es keine Einigung über den Etat für das kommende Jahr, startet 2025 mit einer vorläufigen Haushaltsführung. Das heißt, dass alle Projekte, die noch nicht gesetzlich verankert, sind auf Eis liegen. Dazu gehört etwa das Deutschlandticket, öffentliche Bauvorhaben oder die Arbeitsverträge tausender Angestellter mit Projektverträgen. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin, sagte gegenüber ntv dazu: „Die vordringlichste Aufgabe in den kommenden Monaten wird die Verabschiedung des Bundeshaushalts 2025 sein, sonst wird der Schaden für Wirtschaft und Gesellschaft noch größer.“
- Kindergrundsicherung: Das Herzensprojekt der Grünen-Familienministerin Lisa Paus sollte Leistungen wie Kindergeld oder Kinderzuschlag für einkommensschwache Familien zusammenfassen und deren Beantragung vereinfachen. FDP und Union lehnten den Gesetzesentwurf von Anfang an ab, die Chancen, dass die Kindergrundsicherung eine Mehrheit im Parlament findet, laufen nach dem Ampel-Aus gegen null. Auch die Anhebung des Kindergeldes steht auf der Kippe.
- Tariftreuegesetz: Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat geplant, staatliche Aufträge nur noch an Firmen gehen dürfen, die ihren Beschäftigten tarifvertragliche Löhne und Arbeitsbedingungen gewähren. FDP und Union lehnen die Idee ab.
- CO₂-Speicherung: Der Regierungsentwurf des Kohlendioxidspeichergesetzes (KSpG) soll die Abscheidung und unterirdische Speicherung von Kohlendioxid möglich machen. Für manche Branchen mit nicht oder nur sehr schwer vermeidbaren CO₂-Emissionen – etwa Zement- und Kalkindustrie – ist die Technologie der einzige Weg, im Klimaschutz voranzukommen. Laut Handelsblatt hat bereits eine Reihe von Unternehmen in der Hoffnung auf das Gesetz erhebliche Investitionen angekündigt. Jetzt steht das Gesetz auf der Kippe, da SPD und Grüne ohnehin zurückhaltend gegenüber dem Gesetz sind. Union und FDP geht der Entwurf hingegen nicht weit genug.
- Kraftwerkssicherheitsgesetz: Mit diesem Gesetzesentwurf wollte die Ampel-Koalition durch den Bau von Gaskraftwerken Deutschlands Stromversorgung langfristig sichern, sollten die Quellen Erneuerbarer Energien nicht ausreichen. Laut Süddeutscher Zeitung sieht Wirtschaftsminister Robert Habeck für diesen Entwurf noch eine Chance durch den Bundestag zu kommen, da die Energieversorgung des Landes im Interesse aller Parteien sein sollte.
- Aufstiegs-Bafög:
- Bürgergeldreform: Die FDP hatte immer wieder auf Verschärfungen beim Bürgergeld gedrängt und wollte etwa Einschränkungen beim Schonvermögen, strengere Regeln bei der Zumutbarkeit von Arbeit oder schärfere Sanktionen durchsetzen. SPD und Grüne dürften nun wenig Interesse haben, diese Änderung voranzutreiben.
- Presseauskunftsrecht und Journalismusförderung: Der Untergang der Ampel-Koalition bedeutet auch den Untergang von zwei Gesetzesentwürfen zur Stärkung des unabhängigen Journalismus, darüber informiert der Deutsche Journalistenverband.
- Apothekenreform: Auch im Gesundheitssektor bedeutet das Ampel-Aus Unsicherheit. Etwa die Apothekenreform, die vorsieht, dass PTA (Pharmazeutisch-technische Assistenten) zunehmend Aufgaben übernehmen sollen, die bisher von Apothekern erledigt wurden, scheint ohne die FDP zu scheitern. Die Liberalen halten die fachliche Kompetenz von Apothekern laut Handelsblatt generell für unverzichtbar. Auch die Krankenhausreform steht einem Ärzteblatt-Bericht auf der Kippe.
- Vorratsdatenspeicherung: Innenministerin Nancy Faeser (SPD) will im Gegensatz zu Ex-Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) eine strengere Vorratsdatenspeicherung aller IP-Adressen. Buschmanns Gesetzesentwurf, der eine richterliche Anordnung dafür vorsieht, dürfte nun unter den Tisch fallen.
Das Ampel-Aus ist auch ein Rückschlag für die deutsche Wirtschaft. Für 2024 wird das zweite Rezessionsjahr hintereinander erwartet. Deutschland hinkt anderen großen Wirtschaftsnationen hinterher. Bei Unternehmen und auch privaten Haushalten herrscht Unsicherheit. Firmen halten sich mit Investitionen zurück, Bürgerinnen und Bürger legen ihr Geld auf die hohe Kante. Das dürfte sich nun erst einmal nicht ändern. (lm)