Doku begleitet 3 Familien mit Transkindern - so fühlt es sich für die Eltern an

„Ich kann es mir nicht vorstellen, als Frau zu leben – also: gar nicht. Null!“ Wir leben in einer Zeit, in der jeder Mensch das Recht hat, sich für ein Geschlecht, sein Geschlecht zu entscheiden. Theoretisch. Tatsächlich ist es offensichtlich so wie immer: Freiheit macht auch Probleme. 

Der Fernsehsender Arte hat für seine Dokumentation „Mein Kind ist trans – was nun?“ drei Familien begleitet. Das Wort „Geschlecht“ klingt nach „schlecht“. Tatsächlich scheint es eher gut zu laufen. 

Nehmen wir Amelio. Er fühlt sich schon immer als Typ, wie er sagt. Sein Körper allerdings weiß das nicht und hat ihn von der Pubertät an mit Brüsten gequält. „Für ein elfjähriges Etwas ist das“, sagt er, „ein wenig viel.“

Transsexualität: „Das ist doch meine kleine Amelie!“ 

Die Mutter bricht in Tränen aus, als sie darüber erzählt – über den Moment, als er erklärt hat, nur mehr mit „Ami“ angesprochen werden zu wollen. Und dass von da an ihre Tochter Amelie geht. „Das war schwierig“, sagt sie und gesteht: „Eine Verlusterfahrung.“ 

TV-Kolumne
Auch bei der Mutter fließen Tränen - zumindest noch in der Erinnerung Arte

Es bleibt nicht der einzige Verlust. Ami ist vom Schulsport befreit, seit er als Junge leben will. „Für mich eine Katastrophe“, berichtet auch der getrennt lebende Vater, „weil das ist doch meine kleine Amelie! Ich kann nicht etwas unterstützen, das ich nicht empfinde.“ 

Später in der Dokumentation macht er noch deutlicher, wie schwer er sich damit tut. „Er hat sich ein interessantes Thema für sich aufgegriffen – und lässt sich schwer davon abbringen. Ich als Vater – alle 14 Tage oder einmal im Monat – habe da wenig Einfluss, wenn von einem Großteil der restlichen Welt der Regenbogen so vorangetrieben wird.“ Die Arte-Dokumentation stellt die Frage: „Wie ernst sollen Eltern derartige Wünsche ihrer Kinder nehmen?“

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"Für mich eine Katastrophe", sagt der Vater, "das ist doch meine Amelie!" Arte

Transsexualität: Was die Medizin sagt

Antworten soll Professor Georg Romer von der Uniklinik Münster geben. Er beschäftigt sich seit drei Jahrzenten mit dem Thema. „Die Ermutigung, sich auszuprobieren, ist nie falsch“, ist seine Antwort. 

Das ist die Theorie. Die Praxis? „Es ist furchtbar, wenn ich weiß, mein Kind lehnt seinen eigenen Körper ab, sein bei der Geburt zugewiesenes Geschlecht“, sagt seine Mutter.

Transsexualität: Social Media als eine Ursache?

Blake, 17, als Mädchen geboren, lebt seit zwei Jahren als Junge. Der Vater lacht, als er sich erinnert. „Ich dachte, es gibt nicht viel, mit dem er seine Eltern schocken könnte. Er hat etwas gefunden.“ 

Er hat sich gefragt, ob dieser Wunsch, die Identität zu wechseln, Teil einer Jugendkultur sei. „Diese Generation hat es auch durch Social Media, dass sie mit Identitäten spielt. Das war eine Option. Da hatte ich nicht das Gefühl, dass das ein Kippschalter war.“

In der Uniklinik Ulm beschäftigt sich Professor Marc Allroggen mit dem Thema. „Uns ist wichtig, dass sich die Kinder mit möglichen positiven und möglichen negativen Folgen auseinandergesetzt haben. Wichtig ist, dass es sich durchgängig stimmig anfühlt für die Jugendlichen.“ Ein Jahr sollen sie sich mit in der neuen Rolle erleben. Mit Medikamenten lassen sich die Reifungsvorgänge im Körper für ein, zwei Jahre aufhalten.

Wie Pubertätsblocker Zeit schenken können

Kira, 17, lebt seit fünf Jahren als Mädchen. „Es gibt ja jede Menge Jungs, die nicht dem Klischee entsprechen“, hat ihr Vater erst einmal gesagt. Aber auch: „Hätte sie die männliche Pubertät durchmachen müssen, dann wäre das für sie eine unglaubliche Belastung geworden, sie war völlig panisch.“ 

Die Medikamente haben ihr Zeit geschenkt. „Pubertätsblocker greifen in den natürlichen Prozess sein“, erklärt Professor Martin Wabitsch von der Uniklinik Ulm, „das hat sicher Nebenwirkungen – und viele dieser Nebenwirkungen sind nicht gut erforscht. Ich kann nicht sagen, was in 20 Jahren sein wird.“ Auswirkungen sind möglich auf Leber, auf Knochen und aufs Gehirn. Kira hat bisher nichts davon gespürt.

Ist es Gruppendruck, der trans macht?

Die Arte-Dokumentation bleibt durchaus kritisch: Kann man sich die Ablehnung des bei der Geburt zugewiesenen Geschlechts einreden lassen, kann ein Gruppendruck entstehen? 

Um eine Antwort bemüht sich Professor Romer. „Wir können natürlich beobachten, dass in einer allgemein bunten, queeren Jugendkultur die Geschlechtsrollen vielleicht radikaler herausgefordert werden, als in allen vergangenen Generationen. Das ermutigt junge Menschen, sich auszuprobieren und vielleicht vorübergehend mit der Idee auseinanderzusetzen: Hallo, ich bin trans! Das hat aber nichts mit dem zu tun, was wir in unseren Sprechzimmern haben. Verführungsnarrative sind abwegig.“

Ein wenig Wissenschaft zum Schluss. 1,2 bis 2,7 Prozent aller Jugendlichen gelten als transident. Von denen, die medizinische Eingriffe vornehmen, bereuen später etwa ein bis zwei Prozent diese Entscheidung. Die meisten Forschenden gehen davon aus, so heißt es in der Dokumentation, dass transidente Menschen keine Wahl haben. 

Wie sagt es Professor Allroggen deutlich: „Da habe ich keine Ursachen. Das ist die Varianz des menschlichen Lebens.“