Neue Konkurrenz - Der irre Grund, aus dem Frankreich und Spanien jetzt ihre AKWs abschalten

Gefressene Marktwerte

Tatsächlich belasteten die erzeugten Strommengen die französischen Netze so sehr, dass sich der staatliche Energieversorger EDF zu einem radikalen Schritt entschloss - und ganze Atomkraftwerke vom Netz nahm. Insgesamt sechs Meiler wurden über das Wochenende angehalten, vereinzelt mussten auch Windparks im Atlantik nach Angaben von Branchenmedien vorübergehend ihre Produktion einstellen. Der AKW-Stopp ist für die Betreiber zwar teuer, aber ein Weiterbetrieb ergibt in solchen Fällen ökonomisch noch weniger Sinn. Denn preislich betrachtet kann der Kernkraft-Strom an den Börsen nicht mit Solar und Wind mithalten.

Ein Phänomen, das immer öfter zu beobachten ist, und das in ganz Europa. Der rasante Ausbau der Erneuerbaren Energien frisst die Marktanteile etablierter Kraftwerke auf. Die EU baute im abgelaufenen Jahr insgesamt 17 Gigawatt an Windkraft-Kapazitäten zu, ein absoluter Rekordwert. Auch die Solar-Ausbauzahlen eilen in fast allen Mitgliedsländern von Bestmarke zu Bestmarke, seit 2020 hat sich der Solar-Anteil im Strommix der EU verdoppelt, auf jetzt zehn Prozent. 

„Dann müssten wir uns das sehr genau ansehen“

Die Betreiber traditioneller Kraftwerke stellt das vor Herausforderungen. In Spanien musste die Produktion des Kernkraftwerkes Asco westlich von Barcelona im Frühjahr mehrmals gedrosselt werden, weil vor allem der Solar-Sektor des Landes mittlerweile Strom in Mengen liefert, die lange als undenkbar galten. Nach Daten der Europäischen Übertragungsnetzbetreiber kamen in diesem Jahr knapp 65 Prozent des spanischen Stroms aus erneuerbaren Quellen - im selben Vorjahreszeitraum waren es nur 52 Prozent. 

Norwegen musste in diesem Jahr bereits mehrmals Windparks abschalten, weil deren Produktion die Netze zu überlasten drohte. In Deutschland sorgen die Erneuerbaren Energien dafür, dass die Kohle rasend schnell aus dem deutschen Stromnetz verschwindet, im Jahr 2023 war die Stromerzeugung aus der Kohle so niedrig wie seit den 1960er-Jahren nicht mehr. Für Klima und Gesundheit sind die deutschen Kohle-Kolosse wesentlich schlimmer als die sauberen französischen Atom-Meiler, sie haben jedoch einen Vorteil: Sie lassen sich schnell an- und abschalten. 

Die Reaktoren von EDF seien zwar flexibel und die Produktionsmenge lasse sich anpassen, sagte EDF-Vizepräsident Cédric Lewandowski bei einer Anhörung vor dem französischen Senat Anfang April. „Was wir am meisten fürchten, ist wenn wir die Reaktoren stoppen müssen“, fügte Lewandowski jedoch hinzu. „Falls wir häufigere Stopps einlegen müssen wegen der Erneuerbaren oder wegen des Klimawandels und so weiter, dann müssten wir uns das sehr genau ansehen.“ EDF müsse für seinen Atomstrom ungefähr 22 Euro pro Megawattstunde bekommen, um profitabel arbeiten zu können, sagte die Energieanalystin Sabrina Kernbichler im April der Nachrichtenagentur Bloomberg. An vielen Tagen ist das jedoch mittlerweile eine utopische Vorstellung. 

Das Kannibalen-Problem

Doch auch für die Erneuerbaren Energien sind die rasanten Strompreis-Crashs ein Problem. Negative Börsenpreise deuten auf ein Marktversagen hin, das unter anderem Investoren abschreckt. Niemand will in einen Windpark investieren und dann kein Geld für seinen Strom bekommen. In der Branche ist diesen Phänomen als „Kannibalisierung“ bekannt: Je mehr Erneuerbare an den Markt drängen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass niemand mehr Geld für seinen grünen Strom bekommt. 

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In einem perfekten Markt würde sich das Problem von alleine lösen. An wind- oder sonnenstarken Tagen speichern die Erzeuger und die Händler den überproduzierten Strom einfach zwischen - und verkaufen ihn erst dann, wenn das Angebot niedriger und die Nachfrage höher ist. Denn auch diese Tage gibt es natürlich: Windstill, bewölkt, die Produktion aus erneuerbaren Quellen geht spürbar zurück. 

Die dafür nötige Infrastruktur ist europaweit im Entstehen. In Deutschland etwa bauen sich große Solarparks mittlerweile selbstverständlich gleich eine Batterie zum Speichern von Strom hinzu, begünstigt durch kollabierende Batteriepreise. Sogenannte dynamische Stromtarife versuchen, die Spitzenzeiten im Strombedarf zu glätten. Große Stromtrassen-Projekte sollen darüber hinaus den innereuropäischen Handel mit Strom erleichtern. Die Lösungen sind auf dem Weg, aber noch ist Geduld gefragt: Nach einer Analyse der britischen Speicher-Spezialisten von Modo Energy wird das Phänomen der negativen Strompreise erst in den 2030ern wieder zurückgehen.