Bei der Weltklimakonferenz in Baku kämpfen Menschen aus dem globalen Süden darum, endlich gehört zu werden. Ihre Lebensgeschichten zeigen, wie brutal die Klimakrise bereits heute im Alltag zuschlägt.
Wenn die Staatschefs und Verhandler auf der COP29 in Baku über Billionen, Paragraf 6.4, Fonds oder Kohlenstoffmarkt-Mechanismen sprechen, wirkt die Klimakrise manchmal wie ein abstraktes Problem, das bürokratisch wegorganisiert werden soll. Doch nur wenige Meter von den Plenarsälen und großen Bühnen entfernt warten auf den Fluren und in den Hallen Menschen aus jenen Ländern, die am stärksten unter der Klimakrise leiden, auf die dringend benötigten Einigungen.
Auch wenn sich auf dem COP-Gelände mehr Lobbyisten der fossilen Energieträger tummeln als Vertreter der verletzlichsten Länder, versuchen Menschen aus dem globalen Süden, sich Gehör zu verschaffen und für ihre Heimat zu kämpfen. FOCUS online Earth hat mit vier Menschen gesprochen, die die Klimakrise täglich am eigenen Leib spüren. Das sind ihre Geschichten.
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„Die Klimakrise ist keine Zukunftsangst, sie ist heute schon da“
Anand Ethirajalu, ein 42-jähriger regenerativer Landwirt aus Indien
Er heißt Anand Ethirajalu. Der 42-jährige Inder ist regenerativer Landwirt und Teil der „Save Soil“-Bewegung in Südindien. Mit seinem Team hat er bereits 250.000 indischen Landwirten bei der Umstellung auf eine regenerative Landwirtschaft geholfen, um sie aus der Armut zu befreien und die umliegenden Böden zu schützen.
„Ich bin am Ufer des Flusses Cauvery aufgewachsen, der seit Jahrtausenden das Leben von Millionen Menschen in Südindien prägt. Als Kind erlebte ich, wie dieser Fluss das ganze Jahr über Wasser führte. Aber als ich mein Studium beendete, war der Fluss bereits drei Monate im Jahr trocken. Heute ist er acht Monate trocken. Acht Monate! Dieser Fluss ernährt 84 Millionen Menschen. Die fruchtbaren Böden an seinen Ufern ermöglichten den Bauern früher vier Ernten im Jahr. Heute schaffen sie nur noch eine. Das Einkommen der Bauern ist auf ein Viertel geschrumpft - und die Verzweiflung wächst.
Viele Menschen in meiner Heimat haben nur noch eine Wahl: aufgeben. In Indien begehen mehr Bauern Selbstmord als Menschen in allen Kriegen unseres Landes gestorben sind. Sie verlieren ihr Land, ihre Existenz - und am Ende ihr Leben. Die Klimakrise ist keine Zukunftsangst, sie ist heute schon da. Und wenn wir jetzt nicht handeln, wird sie noch schlimmer.
Die Städte können die Millionen von Menschen, die durch die Klimakrise vertrieben werden, nicht aufnehmen. Frauen und Kinder, die fliehen müssen, werden oft ausgebeutet. Die Situation ist unmenschlich. Die Krise beginnt auf unseren Böden. Wenn der Boden das Wasser nicht mehr speichern kann, fließen die Regenmassen einfach ab. Früher gab es bei uns an 120 Tagen im Jahr Regen - heute fällt er an 30 oder 40 Tagen. Unsere Böden können diese Regenmengen nicht speichern, weil sie zu wenig Kohlenstoff enthalten.
Aber das können wir ändern! Regenerative Landwirtschaft ist der Schlüssel dazu. Sie erhöht den Kohlenstoffgehalt im Boden und macht ihn widerstandsfähiger gegen Dürren und Überschwemmungen. Ich habe gesehen, wie Bauern, die auf regenerative Methoden umgestiegen sind, ihre Erträge um 300 bis 800 Prozent gesteigert haben - innerhalb weniger Jahre!
Wir müssen in natürliche Lösungen investieren, nicht nur in technische. Technologien wie die CO2-Abscheidung sind gut, aber sie reichen nicht aus, um die Emissionen der Vergangenheit zu beseitigen. Das kann nur die Natur - Bäume, Pflanzen, lebendige Böden. Und das Schöne ist: Es funktioniert. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie Bauern, die diese Methoden anwenden, nicht nur überleben, sondern aufblühen.
Wir sollten diese Krise nicht als düsteren Kampf sehen, sondern als Chance für ein Fest der Lösungen. Es gibt so viele Kinder, die Briefe schreiben und ihre Politiker auffordern, den Boden zu schützen. Das gibt mir Hoffnung. Es geht nicht nur darum, den Planeten zu retten - die Erde wird überleben, das hat sie immer. Es geht um uns Menschen.
Hier auf der COP 29 kämpfe ich dafür, dass mehr Klimafinanzierung in die Landwirtschaft und unsere Ernährungssysteme fließt. Weil unsere Böden die Grundlage unseres Überlebens sind - und sie sterben.“
„In Neu-Delhi verstecken wir uns vor der Sonne“
Ihr Name ist Zainab Bie. Sie ist erst 21 Jahre alt. Aus Neu-Delhi ist die junge Inderin nach Baku gereist. Mit ihrer Organisation Equal-Right kämpft sie für ein universelles Grundeinkommen für die Menschen, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind. Der Grund: Oft ist es die finanzielle Not, die die Menschen zu klimaschädlichem Verhalten treibt - zum Beispiel bei den illegalen Rodungen im Amazonas.
„Der globale Süden leidet massiv unter der Klimakrise. Allein im Jahr 2023 waren in Asien mehr als 8 Millionen Menschen direkt von Überschwemmungen, Dürren und Wirbelstürmen betroffen. Asien ist zu einer der am stärksten betroffenen Regionen der Welt geworden. Indonesien. Die Philippinen. Indien. Wir leiden jeden Tag.
In meiner Heimat gibt es immer wieder Überschwemmungen und Wirbelstürme, sogar Erdrutsche durch Abholzung. Die Hitzewellen werden immer unerträglicher. Die Sonne brennt mit 50 Grad auf uns herunter. Das Komische ist, dass die Mehrheit der Bevölkerung in Delhi an Vitamin-D-Mangel leidet“, sagt Zainab mit einem verzweifelten Lächeln und schüttelt den Kopf. „Warum? Weil niemand mehr vor die Tür geht. Es ist so heiß, dass sich die Leute nicht mehr vor die Tür trauen. Es brennt einem förmlich auf der Haut. Nur verschleiert traut man sich an den heißen Sommertagen raus.“
Zanaib erzählt weiter: „Wir verstecken uns vor der Sonne. Wir bleiben lieber drinnen. Klimaanlagen sind so unentbehrlich geworden, dass selbst die Ärmsten der Armen sie kaufen müssen. Sei es auf Kredit oder als teures Mietmodell. Ohne Klimaanlage ist die Hitze im Sommer unerträglich. Unsere Gesundheit leidet darunter - und wir haben sowieso schon Probleme, denn Delhi ist eine der am stärksten luftverschmutzten Städte der Welt. So viele Todesfälle sind darauf zurückzuführen. Ich habe das Glück, zu Hause einen Luftreiniger zu haben. Aber es gibt so viele Menschen, die dieses Privileg nicht haben. Das macht mich oft sprachlos.“
Gleiches gilt für die Verdrängung der Klimakrise. Deutlich weniger G20-Staatschefs sind in diesem Jahr zur COP nach Baku gekommen. Kriege erschweren den internationalen Kampf gegen die Klimakrise. Zainab fordert: „Wir müssen über den Kern des Problems reden, statt nur über dummes Zeug zu reden, immer und immer wieder über das Gleiche zu debattieren. Die Welt muss endlich handeln, nicht nur darüber reden“.
„Wie eine Klima-Depression; manche halten es nicht aus und ziehen weg“
Er heißt Malamine Badiane. Der 25-Jährige kommt aus dem Senegal und arbeitet für Corps of Africa. Malamine will in Baku die verletzlichen Gemeinschaften - vor allem die Jugend - Afrikas vertreten, ihnen Gehör verschaffen und eine bessere Zukunft ermöglichen.
„Unser größtes Klimaproblem, mit dem nicht nur die Menschen im Senegal, sondern in ganz Afrika zu kämpfen haben, ist der unregelmäßige Regen. Die Bauern brauchen den Regen zum Überleben. Und wir brauchen die Landwirtschaft, um zu überleben. Im Moment kämpfen wir mit unregelmäßigem Regen, unfruchtbaren Böden und Wüstenbildung. Es wird immer schwieriger, Nahrungsmittel anzubauen. Das macht das Leben der Bauern noch schwieriger, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch, wenn es darum geht, ihren Kindern den Schulbesuch zu ermöglichen. Wegen der anhaltenden Dürre gibt es oft nichts zu essen, das bekomme ich bei meiner Arbeit in der Gemeinde oft zu spüren“, sagt Malamine. Die Angst, wie schlimm die Zukunft durch den Klimawandel noch werden könnte, sei allgegenwärtig.
„Wir versuchen in den Gemeinden zu helfen, aber wir sind alle mit der gleichen Realität konfrontiert, wenn es um den Klimawandel vor Ort geht. Es ist wie eine Klimadepression. Wir denken jeden Tag darüber nach, was wir tun können, um den Bauern zu helfen. Jeden Tag muss sich meine Gemeinde anstrengen, um dem Klimawandel zu trotzen. Einige halten es nicht mehr aus und geben auf. Sie ziehen weg. Fliehen aus ihrer Heimat, die unbewohnbar geworden ist, wo sie keine Einkommensquelle mehr haben. Viele junge Menschen gehen in die Großstädte - mit Kriminalität tun sie das ihre, um ihre Familien auf dem Land zu unterstützen.“
Die Weltgemeinschaft müsse endlich einen Schritt nach vorne machen, fordert Malamine. Denjenigen zuhören, die am meisten unter der Krise leiden, und die Probleme lösen, die sie in den letzten hundert Jahren verursacht hat. Es brauche dringend Geld, um die Länder des globalen Südens klimaresistenter zu machen und ihnen beim Klimaschutz zu helfen. Das Geld muss schneller fließen - und es muss an der Basis ankommen. Malamine legt sich die Hand auf die Brust und bedankt sich, dass er gehört wird.
„Sie kämpfen jeden Tag darum, überhaupt über die Runden zu kommen“
Nguyen Bao Ngoc Le (24) aus Vietnam.
Sie heißt Nguyen Bao Ngoc Le. Die 24-Jährige kommt aus dem Süden Vietnams, aus dem Mekong-Delta. Als Mitglied der vietnamesischen Delegation setzt sie sich für ihre Heimatstadt ein. Denn die Mekong-Region ist eine der gefährdetsten Regionen Vietnams - und eine der wichtigsten.
„Wir sind die Reisschüssel des Landes. Wir produzieren 50 Prozent des Reisbedarfs des ganzen Landes - ernähren also die Hälfte der Gesamtbevölkerung. Außerdem liefern wir 90 Prozent des Reisexports. Was ich damit sagen will: Die Landwirtschaft war schon immer ein wichtiger Wirtschaftszweig für uns. Aber unser Land ist anfällig für den Klimawandel: Die Böden versalzen, die Dürren dauern länger, die Ernten fallen immer schlechter aus. Manche Städte und Provinzen haben bis zu 80 Prozent ihrer Reisernte verloren. Vor allem die Frauen in den Familien müssen ihre Ausbildung abbrechen, weil sie mithelfen müssen, die Felder zu bestellen. Was aber, wenn die Felder nichts mehr hergeben? Sie kämpfen jeden Tag darum, überhaupt über die Runden zu kommen.
Deshalb bin ich hier. Ich will dafür sorgen, dass die Stimmen derer gehört werden, die am meisten betroffen sind. Es geht nicht nur um uns im Mekong-Delta, sondern um Millionen von Menschen in anderen gefährdeten Regionen. Es frustriert mich, dass es bei den Verhandlungen oft kaum Fortschritte gibt. Entwicklungsländer wie meines haben es schwer, sich Gehör zu verschaffen. Sie brauchen Finanzierung, sie brauchen Anpassungsmaßnahmen und internationale Zusammenarbeit.
Aber hierher zu kommen und zu sehen, dass es in den letzten Tagen kaum Fortschritte gegeben hat, hat mich demotiviert. Deshalb habe ich gerade meinem Professor geschrieben, der sich auch für das Mekong-Delta einsetzt und schon so lange mit den Flüssen arbeitet. Er ist jetzt 94 Jahre alt und engagiert sich immer noch. Er hat gesagt, wir müssen weitermachen und uns zusammentun, denn unsere einzelnen Stimmen können natürlich nicht gehört werden.“