„Bin bei der Geburt fast gestorben“ - 5 Fehlgeburten, Not-OP, Intensivstation: Stefanies harter Weg zum Wunschkind

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Stefanie Kempcke Baby Tom kam drei Monate zu früh zur Welt.

Stefanie Kempcke und David Barkow versuchen zwei Jahre lang, ein Baby zu bekommen. Als sie es schon aufgegeben haben, klappt es. Doch die Schwangerschaft verläuft problematisch. Ihr Sohn Tom kommt drei Monate zu früh zu Welt. Mit einem Gewicht von nur 940 Gramm.

Obwohl der zugezogene weiße Lamellenvorhang das Sonnenlicht an diesem milden Nachmittag aussperrt, ist es hell und ungewöhnlich warm in Zimmer 7 auf der Frühchenstation in der Südstadtklinik Rostock. Stefanie Kempcke, 39 Jahre alt, Friseurin, das dunkelblonde, gesträhnte Haar zum Zopf gebunden, sitzt mit dem Rücken zum Fenster auf einem Stuhl. Sie trägt ein rosafarbenes Oberteil und eine schwarze Stoffhose, ein Blumentattoo ziert ihren rechten Oberarm.

Auf ihrem Schoß schlummert Tom in einem blau-weiß-gestreiften Strampler, gebettet auf eine geblümte Decke. Dass er so friedlich atmet, kann Kempcke immer noch kaum glauben.

Paar aus Schwerin hatte Kinderwunsch schon fast aufgegeben

In der Südstadtklinik Rostock werden jedes Jahr zwischen 2100 und 2500 Babys geboren. Jedes zehnte von ihnen kommt zu früh zur Welt. Für gewöhnlich dauert eine Schwangerschaft rund 40 Wochen. Ab der 24. Schwangerschaftswoche gilt ein Baby als überlebensfähig.

Tom war ein Wunschkind. Kempcke und ihr Partner hatten zwei Jahre lang versucht, schwanger zu werden. Es klappte nicht, das Paar fand sich damit ab. Im vergangenen Oktober sollte Kempcke dann am Arm operiert werden. Ein Tag zuvor nahmen die Ärzte ihr Blut ab. Bei der Blutanalyse dann die Überraschung: Kempcke war schwanger, sie und ihr Lebensgefährte erwarten nach jeweils einem Kind aus vorherigen Beziehungen ihr erstes gemeinsames Baby.

Eine Gebärmutterhalsschwäche und fünf Fehlgeburten

Hoffnungen machte sich Kempcke jedoch nicht. Sie hat eine Gebärmutterhalsschwäche. „Wir wussten von Anfang an, dass die Schwangerschaft nicht einfach wird“, sagt sie mit ruhiger, gedämpfter Stimme. Fünf Kinder hatte sie in den letzten 18 Jahren bereits verloren; zwei in der neunten Schwangerschaftswoche, zwei zu Beginn des sechsten Schwangerschaftsmonats. Ihr Sohn Finn starb in der 28. Woche.

Auch in ihrer Schwangerschaft mit Tom folgte bald der erste Schock. In der zehnten Woche bekam Kempcke starke Blutungen. „Da habe ich gedacht, dass ich ihn verloren habe“, erzählt sie. „Gott sei Dank ist das nicht passiert.“ Die Ärzte hätten daraufhin in der 13. Schwangerschaftswoche ihren Muttermund operativ verschlossen, um eine Frühgeburt zu verhindern. Doch drei Wochen später habe sich der innere Muttermund wieder geöffnet.

„Ich bin bei der Geburt fast gestorben“

In den folgenden Monaten lag Kempcke nur, alle 14 Tage fuhr sie zur Kontrolle in die Klinik. Bis sich in der 25. Schwangerschaftswoche auch der äußere Muttermund öffnete. Kempcke kam ins Krankenhaus, war eigentlich stabil. Dann plötzlich die starken Blutungen, die sie mitten in der Nacht in ihrem Krankenbett aus dem Schlaf reißen. Es war die 27. Schwangerschaftswoche.

Während Stefanie Kempcke ihre Geschichte erzählt, bleibt sie konzentriert. Nur selten schweifen ihre braunen Augen durch das weiß-beige Zimmer mit den beiden nebeneinanderstehenden Babybetten. Dass ihre Zimmernachbarin nebenbei ihr Baby wickelt und mit ihrer Mutter kichert, lenkt sie nicht ab. Das, was geschehen ist, hat sie glasklar vor Augen.

Nach seiner Geburt kam das Baby in einen Brutkasten, auch Inkubator genannt.
Stefanie Kempcke Nach seiner Geburt kam das Baby in einen Brutkasten, auch Inkubator genannt.

Aber als sie berichtet, was in jener Nacht passiert ist, bricht ihre Stimme. Sie wischt sich die Tränen aus den Augenwinkeln. „Es war schlimm. Ich bin bei der Geburt fast gestorben“, sagt sie mit tränenerstickter Stimme. „Und ich hatte natürlich Angst um ihn, weil ich schon zwei Kinder ganz spät verloren habe. Und hatte immer nur gehofft, dass es das Kind schafft.“

Kind kommt per Not-Kaiserschnitt zur Welt

Wegen ihrer starken Blutungen kam Kempcke sofort in den Kreißsaal. Da sich die Herztöne ihres Sohnes verschlechterten – wie sich später herausstellte, hatte sich die Plazenta vollständig abgelöst – holten die Ärzte ihn per Not-Kaiserschnitt.

Mit einem Gewicht von 940 Gramm und einer Größe von 34 Zentimetern erblickte Tom am 19. Februar 2024 um 01.12 Uhr das Licht der Welt – drei Monate und sechs Tage vor seinem errechneten Geburtstermin. Am 25. Mai hätte er geboren werden sollen.

Vater des Kindes musste arbeiten, als sein Sohn geboren wurde

Kempcke braucht einen Moment. Auch ihr Partner weint stumm, sein Körper zuckt mehrmals. Er streichelt seine Lebensgefährtin liebevoll am Arm, dann streicht er seinem Sohn sanft mit der Hand über den Bauch.

David Barkow ist ein Mann mit freundlichen blauen Augen, 38 Jahre, Berufskraftfahrer. Auf seinem linken Arm prangt ein Tattoo mit dem Schriftzug „C’est la vie“. Für Tom will er sich ein neues stechen lassen.

In der Nacht in der sein Sohn geboren wurde, musste er arbeiten. „Ich konnte nicht herkommen, wurde aber gegen vier Uhr vom Chefarzt angerufen. Er hat gesagt, dass meine Freundin auf der Intensivstation ist und dass er trotzdem regelt, dass ich kommen kann.“ In den frühen Morgenstunden eilte Barkow zu seiner Familie ins Krankenhaus.

„Es sind viele Tränen geflossen“

„Den Lütten haben wir uns zusammen angesehen“, berichtet Barkow. Das Wort „zusammen“ sagt er mit Nachdruck. Erst am Abend konnten sie ihren Sohn das erste Mal besuchen. Er lag im Brutkasten und trug eine winzige CPAP-Maske, die beim Atmen hilft. Tom habe erst wie ein Greis ausgesehen, sagt Kempcke schmunzelnd.

In der Frühchenklinik ist Tom der Stations-Opa - das Baby, das dort am längsten behandelt wurde.
Stefanie Kempcke In der Frühchenklinik war Tom der "Stations-Opa" - das Baby, das dort am längsten behandelt wurde.

Am zweiten Tag durfte Barkow seinen Sohn auf seine nackte Brust legen und mit ihm kuscheln. Bei Kempcke, die zu diesem Zeitpunkt wegen ihres Kaiserschnitts noch nicht sitzen kann, ist es einen Tag später so weit. Weil sie noch sehr starke Schmerzen hat, währt die Kuscheleinheit nur kurz. Aber: „Es war ein unglaubliches Gefühl. Es sind viele Tränen geflossen“, sagt sie.

Kurz nach der Geburt bekam das Frühgeborene eine Sepsis

An der Wand hinter Toms Bettchen hängen zwei Glückwunschkarten von der Klinik. „Das erste Mal mit Mama gekuschelt“, „Das erste Mal mit Papa gekuschelt“ steht in geschwungener, goldener Schrift auf rosa und blauem Hintergrund.

Auch ein paar Luftballons hängen am Bett. Die gab es, wenn Tom eine Gewichtsmarke geknackt hatte. „Hurra! Tom wiegt am 27.03.2024 1500 g“, hatten die Stationsschwestern mit Filzstift auf einen mittlerweile zusammengeschrumpelten, blauen Ballon geschrieben.

Knapp fünf Wochen nach seiner Geburt wog das Frühgeborene 1500 Gramm.
Stefanie Kempcke Knapp fünf Wochen nach seiner Geburt wog das Frühgeborene 1500 Gramm.
Doch hinter den Meilensteilen liegen auch Rückschläge. Einige Tage nach der Geburt erkrankte Tom an einer Blutvergiftung – eine lebensbedrohliche Infektionskrankheit, die fast jedes fünfte Frühgeborene trifft. „Es war ganz, ganz schlimm. Er musste vier oder fünf Tage beatmet werden und wir wussten nicht, ob er das überlebt“, sagt die Mutter und ihre Stimme bricht unter den aufsteigenden Tränen erneut. Doch Tom meistert auch diese Herausforderung in seinen frühen Lebenswochen.

Tom ist in der Frühchenklinik mittlerweile der „Stations-Opa“

In Zimmer 7 ist es inzwischen noch schwüler geworden. Kempcke hält ihr Baby das ganze Gespräch über fest. Tom ist mittlerweile der „Stations-Opa“ – das Baby, das hier am längsten behandelt wird. Weder die Großeltern noch seine 14 und 19 Jahren alten Geschwister, auf die Oma und Opa mit aufpassen, konnten Tom bisher kennenlernen.

Im Vergleich: links eine Windel, die Termingeborene bekommen. Rechts das Windelnformat, das Tom als Frühgeborener trug.
FOL Im Vergleich: links eine Windel, die Termingeborene bekommen. Rechts das Windelnformat, das Tom als Frühgeborener trug.
Bald soll er entlassen werden. Nach fast drei Monaten. Vorher kommt Tom noch einmal ins Schlaflabor der Frühchenklinik. Und dann, endlich, nach Hause.