Gen Z auf der Straße: ZDF-Report offenbart Schicksal von 40.000 jungen Leuten

Es ist einer der ersten Sätze, die in der „37 Grad“-Reportage fallen, und er tut weh. „Viele sagen, unsere jungen Menschen sind heutzutage einfach verloren“, konstatiert Streetworkerin Trucy. Ihr Job ist, die Verlorenen aufzusammeln, aufzupäppeln und wieder auf den Weg zu bringen.

Doch zugleich beschäftigt sich die Sozialarbeiterin lange genug mit obdachlosen Jugendlichen, um zu wissen, dass viele dieser Verlorenen gar nicht gefunden werden wollen. Oder sich bald wieder verlieren werden. Längst orientiert sie sich an einem Minimalziel: „Dass es einfach nicht schlechter wird.“

Die Gen Z der Straße: viel Gewalt, keine Zukunftsperspektive

Nach einer Schätzung des Deutschen Jugendinstituts leben in Deutschland etwa 40.000 Jugendliche und junge Menschen unter 25 Jahren auf der Straße. Sie haben kein Dach über dem Kopf, keinen Job, keinen familiären Rückhalt – und keine Zukunftsperspektive. Was sie dagegen in der Regel im Übermaß besitzen, sind Erfahrungen mit Gewalt, Missbrauch und Drogen. Kein guter Mix.

Die ZDF-Reihe „37 Grad“ fokussiert in der Folge „Streetworker – Zwischen Asphalt und Hoffnung“ auf diejenigen Menschen, die sich als Rettungsanker für die dahin driftenden Jugendlichen sehen: Sozialarbeiter sollen und wollen geradebiegen, was die Eltern der Teenager verbogen und was Vater Staat versäumt hat.

Es gibt vermutlich nicht viele andere Jobs mit einem ähnlich hohen Frustrationspotenzial. „Als ich angefangen habe mit dem Job, wollte ich die Welt retten“, sagt der Berliner Streetworker Burak. Später beschränkte er diesen Anspruch auf seinen Kiez, dann auf eine Straße. „Dann habe ich gesagt, ich versuche, einen zu retten.“

Wie in der Pandemie: Lieber klatschen als etwas verändern

Die ZDF-Reportage ist ein gut gemeinter Versuch, für mehr gesellschaftliche Wertschätzung den Streetworkern gegenüber zu werben. Doch ein wenig erinnert das an den Applaus für die Pflegekräfte in der Corona-Pandemie: Mit kollektivem Schulterklopfen werden Zustände eher zementiert als verändert.

Sehr viel wichtiger wäre, die Arbeit der Streetworker nicht nur zu beklatschen, sondern überflüssig zu machen. Etwa durch den Versuch, familiäre Missstände sehr viel früher zu detektieren und Problemfamilien von Beginn an sehr viel enger zu begleiten. Und so bestmöglich zu verhindern, dass Kinder und Jugendliche überhaupt erst obdachlos werden.

Appell an Merz: Jugendhilfe ist Investition in die Zukunft

Klingt utopisch, klar. Weil wir es für richtig und wichtig halten, dass der Staat die Privatsphäre von Familien so lange wahrt, bis das Kind sprich- oder wortwörtlich in den Brunnen gefallen ist. Und weil wir es hinnehmen, dass Städte und Gemeinden weitestgehend allein gelassen werden mit der finanziellen Mammutaufgabe, Familien präventiv zu unterstützen.

In einem Offenen Brief mahnten die Erziehungshilfefachverbände im Juni 2025 Bundeskanzler Friedrich Merz, Aufwendungen in der Kinder- und Jugendhilfe „als Investition in eine zukunftsfähige Gesellschaft anzuerkennen und nicht als konsumtive Ausgabe zu verstehen“. Die aktuell 40.000 junge Menschen ohne Zukunftsperspektive werden den Staat vermutlich langfristig sehr viel mehr kosten, als wirkungsvolle präventive Maßnahmen zu frühen Zeiten gekostet hätten.

Vater Staat muss seine Elternrolle endlich ernst nehmen

Dass eine rechtzeitige Intervention vieles verändern kann: Dafür stehen tatsächlich auch die Geschichten der porträtierten Streetworker. Trucy musste bereits als Kind nicht nur für sich, sondern auch für ihre Mutter sorgen. Eine Sozialarbeiterin holte die 13-Jährige schließlich aus der Familie und besorgte ihr einen Platz in einer Wohngemeinschaft. Heute betreibt sie das spendenfinanzierte Projekt „upstairs“ in Wiesbaden.

Streetworkerin Trucy kam selbst als Teenagerin ins betreute Wohnen
Streetworkerin Trucy kam selbst als Teenagerin ins betreute Wohnen ZDF

Falscher Freundeskreis, zu viel gekifft: Auch Burak stand als Jugendlicher kurz davor, „einen ganz, ganz beschissenen Weg zu gehen“. Für ihn wurde ein aufmerksamer Lehrer zur wichtigsten Bezugsperson und brachte ihn zurück auf den besseren Pfad: „Dass jemand an dich glaubt, macht den Unterschied“.

Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf, heißt es. Doch in Zeiten, in denen Großfamilien nicht mehr die Defizite mancher Eltern ausgleichen können, Nachbarn einander nicht mehr kennen und die Integration anderer Kulturen zur Mammutaufgabe geworden ist, sind die pädagogischen Anforderungen an Vater Staat gewachsen. Erst lange wegzuschauen und dann auf die Frustrationstoleranz der Streetworker zu hoffen: Das ist keine nachhaltige Lösung.