Anwohner und Sportler in Altenerding haben am Mittwoch sorgenvolle Stunden erlebt. Einen Tag später ist der Ärger über die missglückte Kommunikation bei der Feldjägerübung groß.
Erding – Ein Soldat mit einem Streifschuss im Gesicht, eine halbe Stadt in heller Aufregung und eine Debatte über die deutsche Sicherheitsbürokratie – das ist die Bilanz der Altenerdinger Einsatzpanne am Mittwochabend. OB Max Gotz äußert sich am Donnerstag verärgert und besorgt. Die Stadt sei in keiner Weise über eventuelle Übungseinsätze der Bundeswehr in ihrem Gebiet informiert worden. „Es gab keinerlei Hinweise: wann, wie, wo.“
Von der große Feldjägerübung Marshal Power im Nordosten von München hatte auch der Oberbürgermeister nur aus den Medien erfahren. Es habe im Rathaus vor Wochen nur eine eine generelle Anfrage der Bundeswehr gegeben, ob man eventuell städtische Sanitäreinrichtungen benutzen dürfe. Konkretes sei dem aber auch nicht mehr gefolgt, berichtet Gotz. Derartige Kommunikationsprobleme bei solch hochsensiblen Vorgänge seien völlig unverständlich.
OB: „kein Verständnis“
Vor allem treibt ihn aber die Sicherheit der Bürger um. „Ich habe kein Verständnis, wenn die Zivilbevölkerung durch so etwas gefährdet wird“, schimpft der CSU-Politiker. Vor allem das Bild von Jugendlichen, die sich in Umkleidekabinen verstecken müssen, weil draußen eine unbekannte Gefahr lauert, geht ihm nicht aus dem Kopf. „Ich denke da an die Kinder und Eltern, die in riesengroßer Sorge waren.“ Wenn die Stadt zumindest eine vertrauliche Information erhalten hätte, hätte sie notfalls auch Sportanlagen für einen Abend sperren können.
Soldaten-Erkundung
Am Tag nach der lebensgefährlichen Panne sieht es nach einer Verkettung unglücklicher Umstände aus. Die große Feldjäger-Übung mit 800 Teilnehmenden in zwölf Landkreisen hätte eigentlich erst am Donnerstag beginnen sollen. Offenbar waren die Soldaten in Altenerding nur zu Aufmarscherkundungen unterwegs.
Ein Bürger sah bewaffnete Männer, meldete das der Polizei. Die Soldaten auf vorbereitender Mission wähnten sich offenbar schon mitten im Übungsszenario, als sie den Sicherheitskräften gegenüber standen. Es folgte der lebensgefährliche Schusswechsel: auf der einen Seit mit Platzpatronen, auf der anderen mit scharfer Munition.
Kinder in Sicherheit
Anwohnerin Tanja Kutschka hat das hautnah miterlebt. Sie war mit ihren drei Kindern im Garten ihres Hauses, nur 150 Meter von der Kreuzung B388/Am Altwasser, wo es bald darauf nur so vor Blaulicht blitzte. Als Schüsse fielen „haben wir uns erst gefragt: Oh, was ist jetzt los?“ Erst dachte die 40-Jährige noch, dass es sich um eine Übung an nichts Gefährliches. „Aber als dann geschossen wurde, sagte ich gleich: Gehen wir lieber rein.“
Gleichzeitig kamen schon Schreie aus der Ferne: „Eine, eine! Rein, rein!“ Sofort gingen sie zu acht in die Wohnung und beobachteten das Treiben aus der sicheren Entfernung aus dem Fenster. In kürzester Zeit stand der Hof am Pretzener Weg voll mit Polizeiautos.
„Die Kinder haben Angst gehabt, wir haben ihnen gesagt: Die Polizei ist da, die passen schon auf.“ Von oben beobachteten sie, wie überall Blaulicht leuchtete und die Beamten das Gebiet rundherum absperrten.
Passanten sitzen fest
Weitere Passanten saßen bis etwa 19.30 Uhr auf dem Kutschka-Hof fest. Denn direkt davor hatte die Polizei die Straße gesperrt. Darunter auch Hans Balbach. Seine Heimfahrt vom SpVgg-Vereinsheim endete an der Polizeisperre. „Der Beamte hat mich aufgefordert, mein Auto mitten auf der Straße stehen zu lassen und in den Hof zu gehen.“ Zwei Stunden wartete er der Altenerdinger dort, bis die Luft wieder rein war. Angst habe er nicht gehabt, einen Tag findet FW-Stadtrat Balbach: „Das ist eine Blamage für ganz Deutschland.“
Unter die Wartenden hatte sich übrigens auch unser Fotograf Günter Herkner gemischt. Er dokumentierte das Geschehen mit dem Teleobjektiv aus dem Fenster heraus.
Sportler in der Kabine
Noch viel näher dran waren die vielen Sportler, die am Mittwochabend bei der SpVgg Altenerding trainierten – mehrere Fußballmannschaften im Sepp-Brenninger-Stadion sowie Handballer, Kinderturngruppen und Leichtathleten in der Semptsporthalle. Unter ihnen war auch Josefina Seibt (16).
Nicht alle aus der Mannschaft schafften es zum B- und C-Jugend-Training. Etliche Straßen war ja gesperrt. „Als ich kurz nach sechs ankam, standen die beiden Trainer schon vor der Halle. Polizei war am Parkplatz“, berichtet die 16-Jährige. „Geht mal rein, geht in die Kabinen, wir sperren hier zu“, hätten die Übungsleiter gesagt. Sie selbst habe keine Angst gehabt, anders die „Eltern von den kleinen Turnerinnen, die gekommen waren, um ihre Kinder abzuholen. Da hat man schon gemerkt, dass sie sich viele Sorgen machen.“
Landrat „bestürzt“
Auch Landrat Martin Bayerstorfer äußert sich voll Unverständnis. „Ich bin bestürzt über diesen Zwischenfall, bei dem ein Soldat von scharfer Munition getroffen und verletzt wurde. Ich wünsche ihm eine schnelle Genesung. Die missglückte Kommunikation zwischen Polizei und Bundeswehr ist in meinen Augen eine absolute Katastrophe und es muss sichergestellt werden, dass sich so etwas nie wiederholen wird“, erklärt der CSU-Kreisvorsitzende. „Man muss sich ja vorstellen. Das war in bewohntem Gebiet. Da muss doch die Bevölkerung informiert werden.“
Kommunikationshoheit
Der Landkreis und die betroffenen Städte, Märkte und Gemeinden seien im September zwar über das grundsätzliche Prozedere in Kenntnis gesetzt worden. „Die genauen Abläufe wurden jedoch nicht mitgeteilt“, schreibt das Landratsamt. Die Behörde sei nicht Teil der Übung, über den folgenschweren Bundeswehr- und dann Polizeieinsatz sei die Integrierte Leitstelle erst um 17.13 Uhr informiert worden. Aufgrund der zunächst unklaren Lage habe die Leitstelle weitere Einsatzmittel alarmiert. „Dies war an diesem Tag die einzige Beteiligung des Landratsamtes. Die Kommunikationshoheit lag ausschließlich bei der Bundeswehr“, heißt es in der Pressemitteilung.