„Panikartiges Umdenken“: Brückentechnologie in China setzt Europas Autoindustrie unter Druck

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In China boomen Elektroautos mit kleinen Benzingeneratoren, die eine kombinierte Reichweite von über 1000 Kilometer versprechen. Europas Automarken drohen den Trend zu verschlafen.

Shanghai/Wolfsburg – Hinter den Kulissen geistert seit mindestens einem Jahr eine neue Angst durch die Führungsetagen der europäischen Autohersteller. Erneut müssen Volkswagen, Renault und Co. fürchten, dass sie bei einer Technologie den Anschluss verlieren. „In den Vorstandsetagen der europäischen Autohersteller findet ein Umdenken statt – teils panikartig“, sagt ein Branchenbeobachter laut Welt. In China, dem weltweit größten Markt für Elektroautos, bringen heimische Marken wie BYD oder Chery seit einigen Monaten so genannte Extended-Range Electric Vehicles (EREV) heraus – zu Deutsch: Elektrofahrzeuge mit Reichweitenverlängerer.

EREV-Boom in China: Wie eine Brückentechnologie über Europas E-Mobilität entscheiden könnte

Die Range Extender sind kleine Benzingeneratoren, die die Batterie von Elektroautos während der Fahrt laden können, ohne die Räder direkt anzutreiben. Dadurch können die Fahrzeuge über weite Strecken rein elektrisch fahren. 2024 erlebten die EREVs einen regelrechten Boom. Laut McKinsey wurden mehr als eine Million Fahrzeuge im Land verkauft – ein Plus von 79 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Die Range Extender werden als Brückentechnologie angesehen, die Elektroautos leistungsstärker macht, bis die internationale Ladeinfrastruktur dichter ausgebaut ist und die Batterietechnik auch Strecken weit über 500 Kilometer bewältigen kann. Das kann laut Experten allerdings bis Ende der 2030er Jahre dauern. Pionier ist der chinesische Autohersteller Li Auto, der seit seiner Gründung im Jahr 2015 nahezu ausschließlich auf Elektrofahrzeugen mit Range Extendern setzt.

Chinas Autohersteller BYD und Chery präsentieren Serienmodelle – Volkswagen nur ein Konzept

Auf der „Auto Shanghai“ Ende April – eine der aktuell größten und wichtigsten Automessen der Welt – präsentierten BYD den Yangwang U8 SUV und Chery den Exeed ET, die als EREVs auf eine kombinierte Reichweite von über 1000 Kilometern kommen, wobei die rein elektrische Reichweite beim Yangwang U8 bei rund 180 km und beim Exeed ET bei etwa 150 km liegt. Der Löwenanteil der Reichweite stammt jedoch vom Benzingenerator, was die Kehrseite der Brückentechnologie ausmacht: Wird überwiegend mit leerer Batterie gefahren und der Generator läuft, arbeitet der Verbrenner fast wie in einem normalen Benzin-SUV.

Volkswagen stellt auf der Auto Shanghai im April viele Elektroautos vor – von den EREVs allerdings nur ein Konzept.
Volkswagen stellt auf der Auto Shanghai im April viele Elektroautos vor – von den EREVs allerdings nur ein Konzept. ©  IMAGO / NurPhoto

In der Praxis stoßen die Fahrzeuge deutlich mehr CO₂ aus als die unter dem WLTP-Prüfverfahren ermittelten zehn bis 15 g/km – Werte, die im Labor bei voller Batterie und überwiegender Elektrofahrt entstehen und deshalb kaum den Alltagsbetrieb widerspiegeln. Volkswagen stellte bisher nur ein Konzept eines geplanten SUVs mit Range‑Extender‑Antrieb vor – den ID.ERA. Allerdings sprach der Wolfsburger Autohersteller nur von einer geplanten Markteinführung in China in den kommenden Jahren – in der Volksrepublik werden EREVs im Rahmen der „New Energy Vehicle“-Klassifizierung stark gefördert. Immerhin sollen die Werte dann auf einem Level mit der Konkurrenz von BYD und Chery.  

BMW, Audi, Chevrolet: Frühe EREV-Projekte scheiterten an Kosten, Reichweite und Effizienz

Für den europäischen Markt existieren aktuell nur zwei Modelle: Einmal gibt es den SUV C10 REEV von der chinesischen Marke Leapmotor, die in Teilen zu Stellantis gehört. Das andere Modell ist der Mazda MX-30 R-EV, ein kleiner SUV. Beide fallen von den Leistungsdaten allerdings deutlich hinter den chinesischen Modellen zurück. Das liegt auch an der Marktskepsis der europäischen Automarken. Denn das EREV-Konzept ist keine neue Idee. Vielmehr recycelten chinesische Anbieter die Technologie von westlichen Autobauern. Chevrolet erprobte die Reichweitenverlängerer in seinem Volt-Modell 2011 als Erstes. Doch wie der Chevy scheiterten auch andere Projekte wie der A1 E-Tron von Audi oder der i3 REX von BMW an hohen Kosten, begrenzter Reichweite und Effizienzproblemen.

China recycelt Europas Idee mit Präzisionskunst – westliche Marken zögern und verspielen Marktanteile

BMW bot sein Modell als reine Elektrovariante und als verstärkte Version mit Range Extender an – allerdings lag der Preis dann 5.000 Euro höher als ohne. Auch das Gewicht des Benzingenerators sorgte für verhältnismäßig schwache Leistungswerte: Als EREV lag die Reichweite bei rund 300 Kilometer, bei einem Verbrauch von sieben Litern pro 100 Kilometern. 2018 erklärte BMW das Experiment schließlich für beendet. Der Boom in China hat die Europäer dennoch überrumpelt. Dabei hatten sich Volkswagen oder Mercedes Benz zuletzt die auf dem europäischen Markt rehabilitiert und etwa Elektro-Pionier Tesla bei den Absatzzahlen deklassiert. Gleichzeitig bleiben der chinesische und der US-amerikanische Markt die Sorgenkinder. Dort sind die Marktanteile noch immer gering, umso ungünstiger wiegt der vermeintliche Rückstand bei einer (kurzzeitig) effizienten Technologie wie den EREVs. Die Frage bleibt, wie die konkrete Strategie von Volkswagen und Co. für den Weltmarkt aussieht.

Potenzial auf US-Markt – und in EU? EREVs wohl nicht vom Verbrennerverbot ab 2035 betroffen

In den USA plant VW den EREV-Scout-Pick-up, Stellantis ein EREV-Modell ihres Ram 1500 Pick-ups. Die aktuellen Elektroautos sind allerdings nicht für den großen Benzingenerator konzipiert, wodurch bei einer Markteinführung völlig neue Modelle entwickelt werden müssten. Die ID-Reihe von VW wäre etwa nicht dafür gemacht – zumindest in Europa. Für ein Umdenken in der EU könnte hingegen sprechen, dass EREVs vermutlich nicht unter das Verbrennerverbot ab 2035 fallen. Es gibt aktuell keine Regel, die ab 2035 den Verkauf von Plug-in-Hybriden oder EREVs in der EU komplett verbietet – rechtlich gesehen würden beide Antriebsarten derzeit ähnlich behandelt. Europäische Automarken befürchten zudem, dass chinesische Hersteller mit ihren EREVs aus dem EU-Markt drängen könnten. Je nach Preissegment könnte die verbreitete Angst vieler Elektroauto-Skeptiker vor zu geringer Reichweite quasi über Nacht entkräftet werden.

EREVs könnten eine große Chance für Westmarken sein: Wie VW & Co. in USA und China aufholen könnten

Die deutschen Zulieferer-Unternehmen wie ZF Friedrichshafen und Mahle aus Stuttgart haben längst eigene Range Extender entwickelt – bisher überwiegend für den chinesischen Markt. Für die Zulieferer-Industrie eröffnet sich zumindest für die nächsten 15 Jahre ein neues Industriefeld, das die aktuelle Schieflage mit Einsparungen und Entlassungen entschärfen könnte. Laut dem Beratungsunternehmen AlixPartners könnte sich die Jahresproduktion von EREVs in China „bis Ende der Dekade bei rund 3,2 Millionen Fahrzeugen“ einpendeln. Doch diese Zahlen zeigen auch das Potenzial der Brückentechnologie. Und bei aller Sorge in den deutschen Führungsetagen könnte in der Technologie eine kurzfristige Chance liegen, um endlich den US-amerikanischen und chinesischen Markt im Elektrosegment zu erobern.

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