Kritik an Heizungsgesetz - „Grünes Wunschdenken“: Handwerks-Boss keilt gegen Habeck - und macht Merz Vorwürfe

Die Politik könne viel vom Handwerk lernen, sagen Präsident Rainer Reichhold und Hauptgeschäftsführer Peter Haas von Handwerk BW im Interview. Was sie vor allem fordern: Verlässlichkeit.

Herr Haas, vor einem Jahr sagten Sie mit Blick auf das Heizungsgesetz: „2023 war ein verlorenes Jahr“. Wie bewerten Sie heute die Fortschritte in dem Bereich?

Haas: Es hat sich seit 2023 nichts wesentlich verbessert. Wir befinden uns nach wie vor in einer wirtschaftspolitisch verlorenen Zeit.

Reichhold: Das Heizungsgesetz hatte das hehre Ziel, die Absatzzahlen bei Wärmepumpen und regenerativen Energien zu fördern. Das war ein Flop. Wir haben nicht mehr Anlagen installiert, sondern definitiv weniger. Dafür gibt es einen Zuwachs bei den Gasheizungen. Also genau das Gegenteil von dem, was man wollte. Das liegt daran, dass die Bürger verunsichert sind, dass sie nicht wissen, wie sie sich entscheiden sollen.

Habecks Heizungsgesetz: „Das ist grünes Wunschdenken“

Eigentlich sollte Baden-Württemberg doch im Vorteil sein, weil das Land Städten schon vorgeschrieben hat, Wärmepläne vorzulegen.

Reichhold: Das löst die Verunsicherung auch nicht. Wenn ich in einem Stadtgebiet wohne, in dem der Wärmeplan Fernwärme für möglich hält, dann könnte es zwar irgendwann zu einem Anschlusszwang kommen. Aber wann und ob tatsächlich, weiß keiner. Wer investiert dann in eine eigene Heizungsanlage? Wärmenetze sind in bestimmten Gebieten sinnvoll und richtig. Sie werden aber unserer Einschätzung nach maximal 20 Prozent des Bedarfs abdecken. Man muss den Leuten ehrlich sagen, wo das nicht kommt.

Sachverständige des Landes kamen auf einen höheren Wert, was die Abdeckung mit Wärmenetzen angeht. Die Rede war von 41 Prozent im Jahr 2040.

Haas: Diese Zahl ist aus unserer Sicht falsch. Das ist grünes Wunschdenken. Ohne eine solche ideologische Energiepolitik würden wir mehr Klimaschutz erreichen als mit ihr. Der Verbraucher hat entweder die Motivation, etwas für den Klimaschutz zu tun. Oder man achtet auf den Euro und sagt, Gas und Öl kann ich mir in Zukunft nicht mehr leisten. Beides ist in Ordnung, braucht aber nicht die Regulierung, wie wir sie zuletzt erlebt haben.

Vorwürfe an CDU und FDP: „Das ständige Hin und Her ist am schädlichsten“

Was müsste denn passieren, um die Bremsen zu lösen?

Reichhold:Zuerst muss wieder Vertrauen in die Politik hergestellt werden. Das ist die Grundvoraussetzung für unser Zusammenleben. Verunsicherung hemmt. Natürlich ist es auch nicht dienlich, wenn jeden Tag Hiobsbotschaften aus der Wirtschaft kommen. Aber wenn wir wieder ein Grundrauschen kriegen, das die Zuversicht nährt, dann erzielen wir auch wieder Fortschritte in vielen Themen.

Haas:Dieses Vertrauen basiert auch auf Planungssicherheit. Dazu gehört, dass man bestimmte Regulierungen einfach mal wirken lässt. So sehr wir gegen das Heizungsgesetz waren, unsere Betriebe haben sich mittlerweile darauf eingestellt. Und es ist überhaupt nicht förderlich, wenn CDU und FDP jetzt für 2025 die komplette Rücknahme ankündigen. Das ständige Hin und Her ist am schädlichsten.

Dass die Regulierung erhalten bleiben soll, sind ganz neue Töne. Das Handwerk ist doch auch Teil der Entlastungsallianz, die sich um Bürokratieabbau kümmert. Was sind ihre Erwartungen?

Reichhold: Die Entlastungsallianz ist vom Grundsatz in Ordnung, und wir bekommen da Schritt für Schritt was hin. Nur sind die Ziele, die verfolgt werden, oftmals zu kleinteilig, sodass Entlastungen in der Praxis noch zu wenig wirken. Mein Anspruch ist, dass wir ein Drittel aller bürokratischen Hemmnisse abbauen. Wir könnten ja mal etwas ein Jahr lang weglassen und gucken, ob der Staat dann noch existiert oder ob wir im Chaos versinken. Ich bin mir sicher, dass es funktioniert.

„Alle Regierungen müssen miteinander für die Entlastung sorgen“

An was denken Sie da?

Reichhold:Dokumentationspflichten zum Beispiel. Oder überflüssige Vorschriften. Ich kaufe jeden Morgen meine Brezel. Jeden Morgen werde ich gefragt, ob ich einen Bon möchte. Der wird ausgedruckt, wird zusammengeknüllt, in den Mülleimer geschmissen, beschäftigt das Personal.

Die Bonpflicht wurde aber nicht vom Land eingeführt.

Reichhold:Mir ist es mittlerweile egal, ob es ein Landes- oder Bundesthema ist oder von der EU kommt. Alle Regierungen müssen miteinander für die Entlastung sorgen.

Bei der Novelle der Landesbauordnung soll der Versuch unternommen werden, Vorgaben zu senken. Doch da regen sich prompt Bedenken.

Reichhold: Ich halte diese Mentalität von uns allen, immer abgesichert sein zu wollen und, wenn etwas passiert, einen Schuldigen zu suchen, für falsch. Die Frage ist: Muss jeder Einzelfall plötzlich das Maß für alle sein?

Haas:Wir erleben in der Entlastungsallianz oftmals Debatten zwischen staatlichen Akteuren, warum etwas nicht geht. Das zeigt: Wir haben es uns extrem komplex eingerichtet in Deutschland und uns ein Stück weit unbeweglich gemacht. Ich finde interessant, das CDU-Landeschef Manuel Hagel kürzlich eine Verwaltungsreform in Baden-Württemberg ins Spiel gebracht hat. Und es müsste häufiger passieren, wie in der Entlastungsallianz Praktiker mit an den Tisch zu setzen.

„Mehr Handwerk ins politische Handeln bringen“

Verbände werden bei jedem Gesetzgebungsverfahren gehört, reicht das nicht?

Haas:Wenn die Anhörungen nur noch zum Schein gemacht werden, wenn wir als Spitzenverband Stellungnahmen abgeben, die mit keinem Komma berücksichtigt werden, dann haben wir kein Verständnis dafür.

Reichhold:Ich hoffe immer noch, dass es uns irgendwann wieder gelingt, dass   die Politik für die Bürger da ist und nicht so, wie ich es im Moment empfinde, wir einfach tun müssen, was der Staat von uns verlangt.

Haas: Das ist etwas, was wir auch jetzt in Richtung der nächsten Wahlen ausgeben: Mehr Handwerk ins politische Handeln bringen. Probleme ergebnisoffen angucken, pragmatische Lösungen finden für den Kunden. Jeder zehnte Wahlberechtigte in Baden-Württemberg ist Handwerker. Die Sehnsucht nach gesundem Menschenverstand in dieser Wählergruppe ist sehr groß.

Die Handwerksspitze in Baden-Württemberg:

Präsident
Rainer Reichhold ist seit 2015 Präsident des baden-württembergischen Handwerkstags (heute: Handwerk BW) und seit 2005 Präsident der Handwerkskammer Region Stuttgart. Am Montag wird der 66-Jährige voraussichtlich in der Stuttgarter Kammer im Amt bestätigt. Der gelernte Elektroinstallateurmeister ist geschäftsführender Gesellschafter der Firma Elektro Nürk GmbH in Nürtingen-Zizishausen.

Hauptgeschäftsführer
Peter Haas ist seit April 2021 Hauptgeschäftsführer von Handwerk BW. Der Diplom-Volkswirt und gelernte Journalist war unter anderem Hauptgeschäftsführer von Südwesttextil und Geschäftsführer beim Arbeitgeberverband Nordmetall.

Von Annika Grah