Polen-Panzer rollen durch Russland – Pistorius weiter gegen Freigabe von West-Waffen

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Erbe der Sowjet-Ära: Der PT-91 „Twardy“ ist ein modifizierter T-72M1 und paradiert Ende 2022 in Lettland. Mittlerweile sollten alle polnischen Systeme in der Ukraine an der Front stehen. © IMAGO / Radowirz

Polen marschiert voran: Deren modifizierte Sowjet-Panzer sollen in Kursk gesichtet worden sein. Der russische Nachbar macht ohnehin Front gegen Putin.

Ramstein – „Wir werden die Unterstützung bis ins Jahr 2026 fortsetzen können“, betonte Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) während des 24. Treffen der sogenannten Ukraine-Kontaktgruppe auf dem US-Stützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz. „Wir bleiben in einem kontinuierlichen Belieferungsprozess für die Ukraine.“ Allerdings machte er auch klar, dass Deutschland weiterhin Angriffe mit westlichen Waffen auf Ziele weit im Territorium von Wladimir Putin ablehne – Polen sieht das offenbar anders, und die Ukraine handelt wohl entsprechend.

Wie das Magazin Army Recognition berichtet, soll ein in den sozialen Medien kursierendes Video zeigen, dass ukrainische Streitkräfte den von Polen gelieferten Kampfpanzer PT-91 „Twardy“ (polnisch für: „Der Harte“) in der Region Kursk eingesetzt haben könnten. Obwohl das Filmmaterial einen dieser Panzer im Einsatz zu zeigen scheine, fehle eine Bestätigung des ukrainischen Militärs, schreibt das Magazin. Die Meldung stützt sich allein auf Behauptungen im Video. Der „Twardy“ ist eine in Polen hergestellte Modernisierung des T-72 und soll Anfang 2023 an die Ukraine ausgeliefert worden sein.

Polen souverän: Ukraine erhält volle Autorität zur Nutzung der Waffen

Als „bemerkenswert“ erklärt das Magazin Defense Express, dass Polen keinerlei Beschränkungen für den Einsatz dieser Panzer durch die Ukraine verhängt habe – sie seien also auch in Kämpfen auf russischem Boden einsetzbar. Demnach verfolge die polnische Regierung das Prinzip, dass eine Kampfeinheit oder Waffe, sobald sie physisch in die Ukraine überführt wurde, kein polnisches Eigentum mehr sei. Das bedeutet, dass die Ukraine die volle Autorität habe, die Ausrüstung nach eigenem Ermessen zu verwenden, ohne Völkerrecht zu verletzen oder die Nato mit in den Krieg hineinzuziehen.

„Die Ziele des Projekts waren, einen sekundären Frontpanzer für den Leopard 2A4 aufzustellen und die polnische Panzerindustrie am Leben zu erhalten

Die Haltung Deutschlands sei in dieser Frage unverändert, sagte der Verteidigungsminister Pistorius am Rande der Veranstaltung in Ramstein. Doch an der grundsätzlichen Unterstützung der Ukraine werde sich nichts ändern. „Wir werden die Ukraine so lange unterstützen, wie es notwendig ist“, sagte Pistorius. Schwerpunkt der deutschen militärischen Unterstützung für die Ukraine soll demnach die Luftverteidigung bleiben. Jetzt aber werden neue Panzerhaubitzen 2000 geliefert sowie weitere Leopard A1-Kampfpanzer. „Wir haben von Beginn an gesagt, wir handeln immer lageangepasst“, hat Generalmajor Christian Freuding vor einigen Wochen erläutert.

Im Bundeswehr-Podcast Nachgefragt hatte der Offizier im Sonderstab Ukraine im Verteidigungsministerium Stellung bezogen zum Frontverlauf. Freuding erzählte von Hubschraubern, die über der Grenze zwischen dem ukrainischen Charkiw und dem russischen Belgorod aus die Ukraine angegriffen hätten; er berichtete von den Gleitbomben-Angriffen über 70 Kilometer hinweg aus dem russischen Kernland heraus und davon, dass sich russische Geschütze tagelang unbehelligt auf die Verteidiger hätten einschießen können, bevor sich die USA und andere Nato-Partner entschlossen hätten, ihre Haltung aufzuweichen.

Deutschland abwägend: „Logik der Krisenreaktion“ bestimmt Handeln gegen Putin

Das sei nämlich weder militärisch noch moralisch vertretbar gewesen, schloss der deutsche Panzer-General und verneinte, dass Deutschland mit Waffenlieferungen zur Kriegspartei würde. Weil diese Waffen im Besitz der Ukrainer seien, von ukrainischen Kräften bedient würden und somit von Deutschland „keine zurechenbare Schädigungshandlung“ ausginge, wie er formuliert hat. Insofern warf das Wall Street Journal  die Frage auf, warum die USA und die europäischen Partner aufgrund dieser These nicht schon viel früher oder viel intensiver geholfen haben. „Logik der Krisenreaktion“ nennen das Elizabeth Hoffman und Benjamin Jensen.

Um die vom Wall Street Journal apostrophierte Aneinanderreihung von kleineren oder größeren Scharmützeln zu verhindern, fordern die beiden Wissenschaftler von der Denkfabrik Center for Strategic & International Studies (CSIS) eine strategische Weitsicht, die der bisherigen und noch zu befürchtenden Länge dieses Krieges entspricht. Polen scheint diese Weitsicht entwickelt zu haben. Defense Express kann lediglich spekulieren, wie viele PT-91 „Twardy“-Panzer die Ukraine aus Polen erhalten hat.

PT-91 „Twardy“ – Russlands Erbe rollt womöglich wieder heim

Rumänische Journalisten wollen herausgefunden haben, dass möglicherweise bis zu 100 Stück gegen Russland rollen, das Magazin Army Recognition spricht von 60 Fahrzeugen, die Ende Juli 2022 in die Ukraine marschiert sein sollen – damals als unmittelbare Reaktion auf die im Februar 2022 erfolgte Invasion durch Russland; ihr militärischer Einfluss als System an sich wird als gering eingeschätzt, allerdings gelten sie als unmittelbare Hilfe, da die ukrainischen Panzerbesatzungen mit diesem Waffensystem sowjetischen Ursprungs vertraut waren.

Wo genau diese Panzer eingesetzt werden, ist auch unbestätigt; Blogger vermuten sie in Diensten der 22. selbstständigen mechanisierten Brigade im Einsatz. An sich ist der Panzer auch lediglich eine Modernisierung des ursprünglichen T-72 mittels einer stärkeren Panzerung, einer aufbereiteten Feuerleitung und einem stärkeren Antrieb. Charlie Gao sieht in dem „Twardy“ den Kern der polnischen Emanzipation im Panzerbau nach dem Kalten Krieg. Ende März 1991 war das östliche Bündnis auseinander gefallen, und die Polen verfügten über ein riesiges Erbe an T-72.

Offensive gegen Putin: Polnische Rüstungsindustrie emanzipiert sich

Wie der Politikwissenschaftler Gao für das Magazin The National Interest schreibt, habe dann die Aufrüstung mit Leopard 2-Modellen begonnen, und der T-72 wurde als Rückgrat der polnischen Panzerflotte modernisiert sowie zum PT-91 umentwickelt. Neben verschiedenen Modernisierungen in Panzerung und Optiken wurde das Geschütz zur größten Herausforderung, weil der PT-91 noch eine 125-mm-Kanone verwendete, die Westpanzer mit einer 120-mm-Kanone feuerten; das belastete die Logistik.

„Die Ziele des Projekts waren, einen sekundären Frontpanzer für den Leopard 2A4 aufzustellen und die polnische Panzerindustrie am Leben zu erhalten“, wie Gao schreibt. Mittlerweile hat sich Polen auch emanzipiert von der Versorgung mit Rüstungsgütern durch die Nato-Partner – und sich aus der Unterstützer-Koalition der Ukraine zurückgezogen.

Mateusz Morawiecki hat während des Ukraine-Krieges kräftig ausgekeilt und deutlich Stellung bezogen: „Wir übergeben keine Waffen mehr an die Ukraine. Wir rüsten jetzt selbst auf, indem wir uns mit modernsten Waffen ausstatten“, sagte Polens ehemaliger Premierminister bereits im September vergangenen Jahres in einem Interview mit dem polnischen Fernsehsender Polsat. Diese Marschrichtung gegenüber Wladimir Putin behält Donald Tusk als sein Nachfolger bei. Seit rund einem Jahr überschlagen sich die Meldungen über Tempo sowie Art und Weise der polnischen Aufrüstung.

Polens Plan: Auf dem Weg zur stärksten Armee Europas

Seit 30 Jahren bereitet sich Warschaus Ostpolitik auf eine mögliche territoriale Aggression Moskaus vor und versucht, diese abzuschrecken. Polen hat Angst, wie der Publizist Janusz A. Majcherek im deutsch-polnischen Magazin Dialog schreibt: Die polnische Einstellung zu Russland und den Russen bildete sich infolge der jüngeren Geschichte, die seiner Meinung nach als eine ständige, aggressive Expansion Russlands auf Kosten Polens verlief. 

Nachdem Polen 1.000 südkoreanische K2 Panzer (Black Panther) geordert hatte, will das Land an der Nahtstelle zwischen der Nato und Russland die südkoreanischen Panzer künftig in Lizenz selbst bauen. Während das erste Los – 180 Panzer – aus Südkorea kommt, werden die folgenden Fahrzeuge in Koproduktion hergestellt, wobei das letzte Los vollständig in Polen hergestellt wird, schreibt das Magazin Europäische Sicherheit und Technik.

Die Neue Zürcher Zeitung sieht Polen gar auf dem Weg zur stärksten Armee Europas. Bis 2035 will Polen das geschafft haben. Die Lieferung des „Twardy“ mag insofern auch gesehen werden als eine Möglichkeit, die polnische Armee im Kern zu sanieren. Neben den PT-91 „Twardy“ soll die Ukraine auch 250 Panzer des Typs T-72M1 erhalten haben – die Polen seien damit ihr Sowjet-Erbe los; die Geste der Polen hätte damit eine neue Bedeutung, wie Defense Express vermutet: „Dies ist jedoch eher ein politisches Statement als ein taktischer Wendepunkt auf dem Schlachtfeld.“ (Karsten Hinzmann)

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