Boris Pistorius ist der beliebteste Spitzenpolitiker Deutschlands. Warum Wähler der SPD am Wahltag de facto vielleicht mehr für ihn als Scholz stimmen.
Berlin - Friedrich Merz geht als klarer Favorit in die Bundestagswahl. Allerdings dürfte es für den CDU-Kanzlerkandidaten nach der Wahl schwierig werden. Zum einen: Wie viele Koalitionspartner wird die Union für eine Regierungsmehrheit brauchen? Zum anderen hat sich die Union sowohl gegen die Politik der Ampelregierung aus SPD, Grünen und FDP gestellt. Merz selbst hatte den FDP-Wählern abgeraten, die FDP zu wählen und sich am Samstag in einer spalterischen Rede gegen „linke Politik“ und erneut gegen die Grünen-Wähler gestellt. Gleichzeitig hat sich Merz, ebenfalls am Samstag, klar gegen Koalitionsgespräche mit der AfD ausgesprochen, andererseits aber in Bundestagsabstimmungen Ende Januar bereits eine viel kritisierte Mehrheit mit der Rechtsaußen-Partei gebildet.
Die SPD ist ihrerseits mit Noch-Kanzler Olaf Scholz in den Bundestagswahlkampf gezogen. Genau jener Politiker, der für viele die Schwächen der Ampel-Regierung verkörperte, war also das Gesicht des SPD-Wahlkampfs. Dabei könnten SPD-Wähler zwar für die Scholz-SPD stimmen, am Ende aber ein anderes Gesicht in der Regierung bekommen. Den amtierenden Verteidigungsminister Boris Pistorius. Er galt im Wahlkampf als der Politiker, dem die deutschen Wähler am meisten vertrauen - und rangierte in den Beliebtheitswerten oft bis zu sechs Plätze vor Friedrich Merz.
Pistorius verzichtet am 21. November auf die SPD-Kanzlerkandidatur - Merz hatte ihn gelobt
Offiziell nominiert als Kanzlerkandidat der SPD wurde Scholz auch erst bei einem Parteitag im Januar. Noch bis Anfang Dezember hatte es danach ausgesehen, als könnte der amtierende Kanzler vielleicht nicht mehr antreten, dafür Pistorius das Feld überlassen. Doch der beendete in einem Videostatement am 21. November die Kanzlerkandidaten-Debatte der SPD selbst. Er stehe nicht zur Verfügung, sagte er.
Noch vor der Entscheidung der SPD hatte der Kontrahent und frisch gekürte Unions-Kandidat Merz etwa bei RTL gesagt, Pistorius wäre ein Gewinn für das Land. Gegenteiliges zu Pistorius war dann von Merz im Rest des Wahlkampfs nicht mehr zu hören.
Merz und Scholz: Seltene Einigkeit nur in einer Frage
Dafür wurde umso deutlicher, dass Scholz (SPD) und Merz (CDU) nicht gut miteinander können. Bei einem kurzen Aufeinandertreffen in der ARD Wahlarena wurde vielleicht am Deutlichsten, was sich schon in den Wochen und Tagen zuvor angekündigt hatte. Merz hatte immer wieder gegen den Ampel-Kanzler gewettert, Scholz wiederum hatte Merz unterstellt, erfundene Behauptungen in den Raum zu stellen. Bei den Migrations-Abstimmungen, für die Merz Mehrheiten mit der AfD gebildet hatte, war das Vertrauen zwischen den beiden wohl endgültig zerbrochen.
Sollten die Umfrageergebnisse im richtigen Bereich liegen und die Union trotz aller Zerwürfnisse in eine Koalition mit der SPD - und möglicherweise einem weiteren Partner - gehen: Wer wird dann Vizekanzler? Scholz will, sollte er sein Direktmandat in Potsdam gewinnen, die gesamte Legislaturperiode im Bundestag bleiben. Doch dass er unter Merz Vizekanzler würde, scheint ausgeschlossen: In der ARD-Wahlarena hatte Merz über Scholz gesagt: dass sie beide es für unwahrscheinlich hielten, gemeinsam in einem Kabinett zu sitzen. Scholz stimmte Merz zu: „Wo er recht hat, hat er recht. Ich will Kanzler bleiben, er will es werden.“ Wie sich die SPD auch mit Pistorius aber zu Merz stellt, bleibt nach dem hitzigen Wahlkampfendspurt offen. (dpa/kat)