„Dürfen nicht zulassen, dass das kaputt gemacht wird“ – Oberbayerns erfahrenste EU-Abgeordnete warnt
Angelika Niebler ist Oberbayerin, CSU-Vize – und seit einem Vierteljahrhundert im EU-Parlament. IPPEN.MEDIA erklärt sie, was sich seither verändert hat.
Straßburg – 54 Prozent Neulinge: Das war die Statistik unter den Abgeordneten, als sich am Dienstag das neue Europaparlament konstituiert hat. Weniger Fluktuation gab es bei CDU und CSU: Gerade mal zwei Neue waren dabei. Aber auch in diesem Kreise ist Angelika Niebler ein Hort der Erfahrung: Die 61 Jahre alte CSU-Vize aus dem Münchner Umland hat ihr EU-Mandat seit 1999 inne.
Am Rande des Parlamentsstarts in Straßburg hat Niebler im Gespräch mit Merkur.de die größten Veränderungen in dieser langen Zeitspanne geschildert – und die aus ihrer Sicht wichtigsten Herausforderungen für die kommenden fünf Jahre.
CSU-Vize schildert neue Lage durch Rechts- und Linksaußen: „Klima hat sich massiv verändert“
Merkur.de: Frau Niebler, Sie sitzen seit 25 Jahren im Europaparlament. Wenn Sie zum Start der neuen Legislatur zurückblicken: Was hat sich in diesem Vierteljahrhundert verändert? Herrscht, wie es manchmal heißt, mit dem Erstarken der Rechtspopulisten auch ein anderer Tonfall?
Angelika Niebler: Sehr viel hat sich verändert! Wir hatten die erste große Veränderung 2009 mit dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon, durch den die Kompetenzen des Parlaments extrem erweitert wurden. Plötzlich waren wir im Europaparlament in fast allen Bereichen Mit-Gesetzgeber, mit einer ganz anderen Verantwortung als die Jahre davor. Und, wie Sie sagen: Auch jetzt hat sich das Klima massiv verändert – durch das Erstarken der Rechtspopulisten und der Linkspopulisten ist der Ton ein anderer geworden. Die Populisten stimmen übrigens auch erstaunlich oft gleich ab.

Muss man da Schlüsse ziehen? Was folgt aus dieser Veränderung?
Ich glaube, die große Herausforderung in den nächsten fünf Jahren wird sein, dass wir Europa zusammenhalten. Wir dürfen nicht zulassen, dass kaputt gemacht wird, was über viele Jahre, über Jahrzehnte, aufgebaut wurde. Wir dürfen den Populisten nicht die Chance geben, die Integration Europas wieder ein Stück weit zurückzudrehen. Wir wollen eine starke europäische Stimme in der Welt, wir wollen die Außengrenzen sichern, um den Schengenraum leben zu können, wir wollen den Binnenmarkt stärken. All das wollen die Populisten nicht.
Das Europaparlament will auch selbst Initiative ergreifen, das war in Straßburg häufiger zu hören. Hätten Sie persönlich da Themen im Blick?
Konkret: Wir wollen das Aus für den Verbrenner rückgängig machen. Die Entwaldungsverordnung und das Lieferkettengesetz überarbeiten. Wir müssen insbesondere in der Wirtschaftspolitik umsteuern. In den letzten fünf Jahren gab es im Europaparlament leider eine Mehrheit für sehr viel kleinteilige Regulierung, sehr viele planwirtschaftliche Vorgaben. Das empfindet gerade unser gesunder Mittelstand zuhause in Bayern als extreme Belastung. Das müssen wir korrigieren. Wenn wir nicht das Museum der Welt werden wollen, dann müssen wir insoweit eine Kehrtwende einleiten.
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EU vor Herausforderungen: „Wir brauchen einen ordentlichen Außengrenzschutz“
Und abseits der Wirtschaftsthemen?
Sicherheit und Verteidigung ausbauen. Ursula von der Leyen hat noch in der letzten Legislatur ihre Vorschläge zur Rüstungskooperation vorgelegt – und die sind gut. Ich glaube, dass es im Parlament hierfür eine Mehrheit geben wird. Die große Frage ist hier: Gehen die Mitgliedstaaten mit? Setzt man die nationale Brille ab und lässt zu, dass man im Bereich Rüstungspolitik und Rüstungsindustrie enger kooperiert und zusammenarbeitet? In diesem Bereich muss sich etwas tun.
Viel gesprochen wird nach wie vor auch über das Thema Migration.
Zurecht. Wir brauchen einen ordentlichen Außengrenzschutz, wir müssen die Durchführung der Asylverfahren an den Außengrenzen durchführen, wir müssen die Vereinbarungen, die die EU mit Tunesien, Ägypten, der Türkei geschlossen hat, umsetzen. Das ganze Paket muss jetzt implementiert werden. Das mitzubegleiten, ist für das Parlament eine wichtige Aufgabe: Benötigt man noch Anpassungen oder läuft das? Schaffen die Maßnahmen Entlastung, auch mit Blick auf die hohen Migrationszahlen, die wir in Europa immer noch haben??
Noch einmal der Blick zurück: Hat sich eigentlich auch die Arbeit als Abgeordnete verändert?
Auf jeden Fall. Die Geschwindigkeit, mit der Themen beraten und Gesetze beschlossen werden, ist deutlich höher. Als ich anfing, war das alles etwas gemächlicher hier im Europaparlament, wenn ich das so sagen darf. Damals hat man für die Beratungen drei, vier Runden zwischen Parlament, Kommission und Mitliedstaaten gedreht. Jetzt geht es oft nach den Beratungen im zuständigen Ausschuss direkt in die Verhandlung mit den Mitgliedsstaaten und dann gibt es ein Ergebnis. Früher haben wir oft erste Lesungen abgeschlossen, dann sind erste Beratungen mit den Mitgliedsstaaten aufgenommen worden, dann kam ein Ergebnis zurück, dann konnte man nochmal korrigieren. Ich finde, für manche Themen ist es ganz gut, wenn man sich ein bisschen mehr Zeit lässt. Aber die Geschwindigkeit ist natürlich auch den weltpolitischen Veränderungen geschuldet. Da ist eine Dynamik entstanden, die es vor Jahren noch nicht gegeben hat.
Interview: Florian Naumann