Therapienetz Essstörung: Zwölf Beratungsstellen in Bayern – Wie das Team den Betroffenen hilft

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Die Anorexie ist eine der am häufigsten auftretenden Essstörungen. (Symbolfoto) © PantherMedia/Yuri Arcurs

Region – „Stationär behandelte Essstörungen sind bei jugendlichen Mädchen im Jahr 2022 gegenüber 2019 um 52 Prozent gestiegen. In den Jahren 2018 bis 2020 lagen stationär behandelte Essstörungen auf konstantem Niveau. In den Jahren 2021 und 2022 ist hingegen ein sprunghafter Anstieg der Fallzahlen zu beobachten.“ Diese Ergebnisse gehen aus dem DAK-Kinder- und Jugendreport hervor, in dem die Einflüsse der Corona-Pandemie auf die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen offengelegt wurden. Die Ergebnisse zeigen: Die Fälle von Essstörungen steigen – der Bedarf an Hilfe ebenfalls. Ein erster Ansprechpartner in solchen Fällen kann immer das „Therapienetz Essstörung“ sein. In zwölf Standorten in ganz Bayern beraten sie Betroffene, aber auch die Angehörigen und Freunde. Und was genau umfasst das Beratungsangebot des Therapienetzes.

Die Beratungsstelle bei Essstörungen hat ihre Hauptzentrale in München. Bayernweit gibt es Außenstellen, in denen Beratungsarbeit angeboten wird. „Wir sind über den Bezirk Oberbayern finanziert und können daher fünf Beratungen kostenlos anbieten“, erklärt Nina Jackel, Leiterin der Außenstelle in Landsberg. Betroffene, Angehörige, Freunde, Lehrer, Jugendämter – alle, die „irgendwie ein Thema mit dem Essen haben“, können sich beim Therapienetz Hilfe holen. „Wir haben in München auch therapeutische Wohngruppen“, sagt Jackel. In den Außenstellen werde zudem die „besondere Versorgung“ angeboten. Hier werden Betroffene bis zu drei Jahre in ihrem Behandlungsweg begleitet. „Wir vermitteln an Kliniken, Therapeuten oder wir motivieren, dass die Betroffenen dran bleiben.“ Außerdem gebe es in den Außenstellen auch noch das betreute Einzelwohnen. „Da betreuen wir die Leute ambulant in ihrem Wohnumfeld.“

Zu den Klienten des Therapienetzes gehören sowohl Jugendliche als auch Erwachsene. Oftmals kämen die Eltern gemeinsam mit ihren betroffenen Kindern vorbei, aber auch Schulsozialarbeiter stünden oft mit ihren Schülern vor den Türen der Außenstelle und suchen Beratung bei Essstörungen und Adipositas. Eine der häufigsten Erkrankungen sei die Anorexie (Magersucht). Aber auch die Bulimie oder die Binge-Eating-­Störung gehören zu den häufigsten Essstörungen, mit denen die Betroffenen Hilfe suchen.

„Bulimie ist die heimlichste aller Essstörungen“, sagt Jackel. Betroffene haben Essattacken, welche dann mit „gewichtsreduzierenden Maßnahmen“ wie Erbrechen oder übermäßig viel Sport ausgeglichen werden. „Manche essen auch am nächsten Tag einfach gar nichts.“ Das lasse sich sehr gut verheimlichen, weil häufig das Gewicht nicht so rapide sinkt, wie bei Menschen mit Magersucht. Von der Bulimie sind häufig junge Frauen „in ihren Zwanzigern“ betroffen.

Ähnlichkeiten zur Bulimie weist die Binge-Eating-Störung auf. Hierbei falle aber die „gewichtsreduzierende Maßnahme“ weg. „Die Betroffenen erbrechen nicht, treiben keinen übermäßigen Sport und machen keine Diät“, erklärt Jackel. Aber sie leiden ganz massiv unter den Essattacken. „Sie fühlen sich wie ferngesteuert und dem übermäßigen Essen ausgeliefert“. Binge-Eater essen oftmals so viel, dass ihnen übel wird oder sie Bauchschmerzen bekommen, also „bis es in den körperlichen Schmerz geht“. Die Binge-Eating-Störung beginnt vorwiegend in der späteren Jugend und im jungen Erwachsenenalter. Frauen und Männer sind gleichermaßen betroffen.

Alles unter Kontrolle?

Die Anorexie zeichnet sich durch eine übermäßige Angst vor Essen und Übergewicht oder Gewichtszunahme aus, weshalb das Essen auf ein Minimum reduziert wird. Zum Krankheitsbild der Anorexie, die meist bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen auftritt, gehöre in der Regel auch eine Körperschema-Störung. „Sie können nicht mehr einschätzen, wie ihr Körper aussieht und wie dünn sie sind. Sie sehen sich als viel dicker, als sie eigentlich sind“, erklärt die Leiterin. Am Anfang der Erkrankung werde viel negiert. Die Betroffenen glauben, dass sie „alles unter Kontrolle“ hätten, obwohl schon längst die Essstörung die Kontrolle übernommen habe. Das mache auch die Genesung sehr schwer, denn zuerst müsse der Betroffene überhaupt erkennen, dass er eine Erkrankung habe. Das treffe auf alle Essstörungen zu, weil alle Essstörungen Suchterkrankungen seien. Außerdem können auch alle Essstörungen in allen Altersgruppen vorkommen.

Essstörungen sind multifaktoriell bedingt. Ganz häufig seien es Menschen, die viele Selbstzweifel haben. Manchmal liege das Problem aber auch in der Familie, in der die Fürsorge „übergroß“ sei und keine eigenen Erfahrungen gesammelt oder keine eigenen Entscheidungen getroffen werden können. Denn eine Essstörung ist laut Jackel immer auch ein Autonomie-Streben – der Wunsch danach, über etwas die Kontrolle zu haben. „Viele verspüren eine große Ohnmacht gegenüber ihrem Leben.“ Und durch die Anorexie, die massive Kontrolle, gelingt ihnen etwas, nämlich das Überwinden des Hungergefühls. „Schluss­endlich ist es natürlich destruktiv, aber im ersten Moment haben Betroffene einen Nutzen davon.“

Natürlich gebe es auch die gesellschaftliche Komponente, vor allem in der Social-Media-Welt, in der vor allem Frauen suggeriert wird, wie sie aussehen müssen. Manchmal sind es aber auch Gewalt-, Mobbing- oder Missbrauchserfahrungen, die Essstörungen auslösen können.

Einstiegsdroge

Typische Anzeichen für eine Essstörung gebe es nicht. Allerdings hätten alle Erkrankungen den gleichen Nenner: „Wenn die Aufmerksamkeit übergroß auf das Thema Essen, Aussehen und Gewicht gelenkt wird, darf man schon mal hellhörig werden.“ Denn eine Diät kann oftmals eine „Einstiegsdroge“ in eine Essstörung sein. „Bei allen drei Erkrankungen hat es irgendwann mit einer Diät angefangen.“ Viele würden danach wieder in ihre alte Essstruktur zurückfinden, aber bei einigen wenigen, bei denen dann auch noch viele Faktoren zusammenkommen, ist der Weg der Genesung länger.

Wird eine Essstörung bei sich selbst oder einem Betroffenen vermutet, ist das Therapienetz Essstörung der richtige Ansprechpartner. In den fünf kostenlosen Beratungsstunden gibt das ausgebildete Team des Therapienetzes ein Feedback, ob es sich bei den Anzeichen schon um eine Essstörung handelt und wie man weiter verfahren sollte. „Was man mit dem Feedback macht, bleibt trotzdem Sache des Betroffenen“, sagt Jackel. Das Therapienetz bringe das Rad zum Rollen.

Weitere Informationen zum Therapienetz Essstörung gibt es auf www.tness.de.

Standorte

Das Therapienetz Essstörung hat zwölf Standorte in ganz Bayern eingerichtet.

• München

• Augsburg

• Bad Reichenhall

• Dachau

• Erding

• Garmisch-Partenkirchen

• Ingolstadt

• Landsberg am Lech

• Nürnberg

• Regensburg

• Rosenheim

• Weilheim

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