Hilfeschrei an den Kanzler: Über einen krassen Widerspruch in unserem Sozialstaat

"Die Ausgaben für das Sozialsystem waren noch nie so hoch. Die Unzufriedenheit damit war noch nie so groß. Das ist eine innere Asymmetrie im Sozialsystem, die im Grunde genommen ein einziger Hilfeschrei ist, an jeden, der Bundeskanzler ist, übrigens egal, aus welcher Partei er kommt", sagt FOCUS-online-Chefkorrespondent Ulrich Reitz.

Für ihn ist klar: Die schlechte Stimmung im Land schlägt sich auch politisch nieder. Über 35 Prozent der Deutschen seien inzwischen bereit, rechts- oder linksradikal zu wählen – eine bedenkliche Entwicklung. Auch der Umgang mit dem Sozialstaat sei dafür verantwortlich.

Union und SPD im Streitmodus

Die aktuelle Debatte zwischen Union und SPD zeige, wie verhärtet die Fronten sind. "Der eine (Friedrich Merz) sagt: 'Wir leben über unsere Verhältnisse. Sozialstaat ist so nicht länger finanzierbar.' Die andere (Bärbel Bas) sagt dazu: 'Bullshit.'"

Mit Blick auf diesen Schlagabtausch urteilt Reitz: "In dieser Bundesregierung geht niemand respektvoll miteinander um."

Gerade Arbeits- und Sozialministerin Bärbel Bas (SPD) habe mit ihrer Wortwahl nicht nur mangelnden Respekt gezeigt, sondern auch den Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen im Blick. Vor der in wenigen Tagen anstehenden Kommunalwahl im bevölkerungsreichsten Bundesland werde es ohnehin keine Entscheidungen geben.

Bürgergeld-Zahlen im Fokus

Dabei sind die dringend notwendig, so Reitz und verweist auf alarmierende Statistiken der Bundesagentur für Arbeit: "1,2 Millionen erwerbsfähige Bürgergeldbezieher haben wir in Deutschland. Die waren noch nie beschäftigt, und viele von denen lebt 28 Jahre oder länger im Bürgergeldbezug." 

Keine Aussicht auf Reform

Deutschland brauche längst eine Sozialstaatsreform nach dem Vorbild von Gerhard Schröders Agenda 2010, sagt Reitz. Doch er ist wenig optimistisch.

"Ich kann nicht erkennen, dass SPD und Union dazu willens und vor allen Dingen in der Lage wären." Sein Fazit: "Solange das so bleibt, kann sich Merz seine Sozialreform abschminken."