Analyse von Wolfram Weimer - In Berlin herrscht blanke Angst - diese Ampel-Aus-Szenarien werden durchgespielt
SPD-Abgeordneter: „Für Olaf Scholz beginnt damit ein Überlebenskampf“
„Für Olaf Scholz beginnt damit ein Überlebenskampf“, sagt ein SPD-Bundestagsabgeordneter voraus. In der SPD dürfte im Sommer die Frage nach einem Kanzlerwechsel von Olaf Scholz zu Boris Pistorius wieder lebhaft aufflammen.
In der FDP wiederum geht es ums schiere politische Überleben. Sollte die Partei bei der Europawahl unter 5 Prozent landen und für den Herbst keine Aussicht mehr haben, in die Landesparlamente in Ostdeutschland einzuziehen, dürfte Christian Lindner im Sommer gezwungen sein, die Regierungsbeteiligung infrage zu stellen.
Aus der FDP-Bundestagsfraktion ist zu hören, dass die Chancen auf das Ende der Koalition „im Sommer ziemlich hoch“ sind. Die Stimmung bei den Liberalen ist nicht nur nervös oder enttäuscht, sie ist zusehends wütend. Bislang konnte die FDP der eigenen Wählerschaft kaum lauwarm erklären, man habe hier und da Schlimmeres verhindert.
Nun aber - mit dem näher rückenden Bundestagswahljahr 2025 - haben Lindner und seine Parteifreunde das FDP-Trauma mit Guido Westerwelle noch vor Augen. Westerwelle musste nach nur einer Legislatur den FDP-Absturz vom Rekordergebnis 2009 (14,6 Prozent) zum Rauswurf aus dem Bundestag 2013 verantworten, weil er der Bundespolitik kein liberales Profil verleihen konnte und sich enttäuschte Bürgerliche am Ende wieder hinter der CDU versammelten. Das wird Lindner unbedingt vermeiden wollen - und dieser Sommer gibt ihm eine letzte Gelegenheit dazu.
Immer mehr Liberale empfehlen Lindner, nicht wie Westerwelle blind in den Untergang zu laufen
In der FDP kursiert derzeit das große Narrativ von der „Genscher-Wende“. Immer mehr Liberale empfehlen Lindner, nicht wie Westerwelle blind in den Untergang zu laufen, sondern wie Hans-Dietrich Genscher 1982 die Regierung vorzeitig platzen zu lassen. Genscher kündigte dem damaligen SPD-Kanzler Helmut Schmidt die Gefolgschaft auf, weil der sich gegen seinen linken Parteiflügel kaum mehr durchsetzen konnte, Deutschland als Wirtschaftsstandort in einer Energiekrise schwer litt und die Staatsfinanzen aus dem Ruder liefen. Die Verhältnisse ähneln sich.
Die aktuelle Haushaltskrise könnte daher genau das bewirken - dass Lindner nicht den Westerwelle, sondern den Genscher macht und die unbeliebte Koalition im Sommer wegen Haushaltsstreitigkeiten platzen lässt.
Der CDU-Parteichef Friedrich Merz hat für den Fall eines Bruchs der Ampel-Koalition bereits den 22. September als Termin für eine vorgezogene Bundestagswahl ins Spiel gebracht. „Wenn die Bundesregierung vorzeitig scheitert und es tatsächlich Neuwahlen gibt, bietet sich als Termin der 22. September dieses Jahres an“, meint Merz, denn: „Die Sommerferien wären dann überall vorbei, und mit der Landtagswahl in Brandenburg ist der Tag bereits ein Wahlsonntag.“
Lindner klingt derzeit ziemlich genau wie Genscher und Lambsdorff 1982
Diese Spekulation ist von Ampel-Politikern brüsk zurückgewiesen worden, aus der FDP allerdings nur zaghaft und leise. Möglicherweise liegt der CDU-Chef nämlich richtig mit seiner Analyse: „Die FDP weiß: Wenn sie in der Koalition bleibt, fliegt sie bei der nächsten Bundestagswahl wieder aus dem Parlament. Sie wird nach meiner Einschätzung daher nicht als Teil der Ampel in den Wahlkampf gehen wollen. Die Frage ist nur, wann die Liberalen gehen und aus welchem Anlass.“
Der Streit um den Bundeshaushalt 2025 könnte der Anlass werden. Lindner hat bereits angekündigt, dass die Aufstellung des Haushalts sich "grundlegend von denen in den Vorjahren unterscheiden“. Anders als in früheren Streitlagen der Ampelkoalition scheint die FDP fest entschlossen, im Haushaltskampf 2025 hart zu bleiben.
Lindner spricht in bitterernstem Tonfall von einem Wendepunkt der bundesrepublikanischen Geschichte. Man brauche für die Staatsfinanzen einen ehrlichen „Neustart“, es sei Zeit „für neue Realpolitik“: „Wir werden mit weniger Geld wirksamere Politik machen müssen als im vergangenen Jahrzehnt“, ermahnt Lindner. „Wir haben kein Einnahmeproblem, sondern wir haben ein Problem damit, schon seit vielen Jahren Prioritäten zu setzen.“
Er empfiehlt eine Staatsreform hin zu weniger Bürokratie, agiler Verwaltung, Technikfreundlichkeit und der Mobilisierung privaten Kapitals für Investitionen. „Jetzt muss jeder einsehen, dass auch immer weiter steigende Erwartungen an den Staat nicht erfüllt werden können.“
Das aber steht diametral zum Politikverständnis von SPD und Grünen. Doch Rot-Grün soll gewarnt sein: Lindner klingt derzeit ziemlich genau wie Genscher und Lambsdorff 1982.
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Renommierter Politikwissenschaftler und Autor von 17 Büchern
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