„Die Zerstörung planen“: Krim-Tataren geben Putins Residenz zum Abschuss frei
Wladimir Putin wohnt fürstlich – und fürchtet um seinen Besitz. Partisanen wollen jetzt bewiesen haben, wie gut die Diktatoren-Residenz geschützt ist.
Sotschi – „114.000 Euro Jahresgehalt, drei Autos, ein Pkw-Anhänger und eine 77 Quadratmeter große Wohnung: Das ist alles, was der Kreml-Chef besitzen will“, schreibt Ellen Ivits. Die Stern-Autorin hatte vor einem Jahr über die damals letzte Steuererklärung von Wladimir Putin geschrieben. Demnach sei er offiziell die Bescheidenheit in Person, urteilte der Stern.
Die Wahrheit sieht aber wohl ganz anders aus und wird von potenten Luftabwehrsystemen bewacht, wie jetzt die Kiew Post schreibt: Russlands Regierungs-Datscha Bocharov Ruchey bei Sotchi, eingebettet zwischen dem blauen Wasser des Schwarzen Meers und den schneebedeckten Bergen des Kaukasus. Krim-Tataren haben sie jetzt ins Visier genommen – und zum Abschuss freigegeben.

Partisanen entdecken Luftabwehrsystem vor Putins Residenz
Die Partisanenbewegung Atesch machte demzufolge auf dem Instant-Messaging-Dienst Telegram publik, sie habe nahe Sotschi ein Luftabwehrsystem vom Typ Pantsir-S1 entdeckt, das die Datscha des russischen Diktators bewachen soll. Das 96K6-Pantsir-S1-Flugabwehrsystem (alternativ: Pantsyr-S1 oder Panzir) ist ein mobiles Boden-Kurz- und Mittelstrecken-Flugabwehrsystem auf Rad oder Kette – teilweise auch stationär eingesetzt. Das System besteht aus zwei Maschinenkanonen ähnlich dem deutschen Gepard und insgesamt zwölf Flugabwehrraketen aus jeweils sechs Rohren links und rechts der Kanonen. Die Steuerung erfolgt mittels Radar oder optischer Zielzuweisung.
„Ich muss immer an eine Aussage von Putin Mitte 2021 denken. Er sagte damals völlig ohne Anlass, es gebe im Leben überhaupt kein Glück. Das ist eine starke Aussage für einen politischen Leader, der ja eigentlich von der Idee her das Leben der Menschen verbessern, ihnen irgendwelche Ideale, Anhaltspunkte vermitteln sollte. Und da sagt dieser Mensch [sinngemäß]: ,Im Leben gibt es kein Glück. Die Welt ist generell ein schlechter, ungerechter, schwer erträglicher Ort, an dem die einzige Daseinsform darin besteht, permanent zu kämpfen, sich zu prügeln und im Extremfall zu töten.‘“
Laut dem Magazin Army Technology wird das Pantsir-S1-System zur Verteidigung ziviler oder militärischer Punkt- und Flächenziele sowie für größere motorisierte und mechanisierte Verbände eingesetzt. Ziele der Abwehrwaffe sind Objekte in bis zu zehn Kilometern Höhe und Entfernungen bis zu 20 Kilometern. Auch gegen Langstrecken-Lenkwaffen soll die Pantsir-S1 eingesetzt werden können. „Es hat eine hohe Abschusswahrscheinlichkeit von etwa 0,7 bis 0,95 gegen alle Ziele“, schreibt Army Technology.
Anfang dieses Jahres hatte t-online die Informationen der russischen Investigativjournalisten-Gruppe „Dossiercenter“ als YouTube-Video veröffentlicht. Das Journalistenteam um den inzwischen verstorbenen Regimekritiker Alexej Nawalny konnte die Bergvilla nahe dem Ort Sotschi aus der Luft filmen – damals hatten die Journalisten schon von der Luftabwehr-Waffe auf dem Anwesen gemutmaßt. Die neuesten Bilder der Atesch-Partisanen scheinen die Vermutung zu bestätigen – allerdings räumt die Kiew Post ein, dass die Atesch-Bilder ungeprüft seien.
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Nato in Gefahr: Die Krim als Anfangs- und möglicher Endpunkt des Ukraine-Kriegs
Sotschi liegt direkt am Schwarzen Meer etwas mehr als 400 Kilometer von der Krim entfernt – dort hat der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine in 2014 begonnen, dort könne er irgendwann auch enden – oder auch für die Nato ein böses Erwachen bedeuten, wenn Russland von dort aus über Rumänien den Westen angreifen sollte. Die im Sommer 2022 gegründete Partisanen-Bewegung Atesh (auf Krimtatarisch „Feuer“) spielte wohl eine entscheidende Rolle für die Erfolge der Ukraine auf der Krim. Die erzwungene Rekrutierung von Menschen aus der Krim in die Moskauer Streitkräfte bot der entstehenden Widerstandsbewegung eine große Chance, die russische Armee von innen auszuhöhlen, schreibt Elina Beketowa vom Zentrum für europäische Politikanalyse. Das bekommt Russland jetzt zu spüren.
„Dank dieser Informationen können die ukrainischen Streitkräfte die militärischen Fähigkeiten und die Verteilung der Streitkräfte auf russischem Territorium beurteilen und Operationen zur Zerstörung wichtiger Militäreinrichtungen planen“, teilte Atesh laut dem Telegram-Post mit und forderte damit die russischen Soldaten zur Kooperation auf, wie die Kiew Post schreibt. Anfang April hatte sie bereits über Behauptungen der Atesch-Partisanen via Telegram berichtet, dass auf der Krim verstärkt Flugabwehrsysteme vom Typ S-300 und Pantsir-S1 stationiert würden. Russland habe wohl Angst vor Beschädigungen der Kertsch-Brücke.
Ukraine hat Ernst gemacht: Drohnen-Angriffe auf Moskau – „Schrecken sitzt tief“
Mitte vergangenen Jahres scheinen russische Verantwortliche wohl tatsächlich ernst genommen zu haben, dass ukrainische Drohnen bis nach Russland hereinreichen würden – „der Schrecken sitzt bei vielen tief“, hatte die Tagesschau im Mai 2023 berichtet. Grund genug, russischen Unternehmern die Stationierung eigener Luftabwehrsysteme zu empfehlen. Laut dem Stern soll das Andrej Kartapolow getan haben; Stern-Autorin Ellen Ivits zitierte den Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses der Duma, dem russischen Parlament, dahingehend, dass die Mittel des Verteidigungsministeriums konzentriert seien auf „die Abdeckung wichtiger staatlicher und militärischer Einrichtungen“ – darüber hinaus sind die Mittel des Verteidigungsministeriums laut Kartapolow begrenzt, wie der Stern schrieb. Das Pantsir-System soll unbestätigten Quellen zufolge rund 14 Millionen Euro kosten.
Über acht private beziehungsweise dienstliche Aufenthaltsorte soll Wladimir Putin laut dem Online-Medium Russia Beyond verfügen können – dem Stern zufolge sollen oder könnten auch die anderen Residenzen über Luftabwehr-Batterien verfügen. Unter Bezug auf Informationen der russischen Stiftung für Korruptionsbekämpfung behauptet die Kiew Post, Putin seien vier Residenzen zugewiesen worden: der Kreml, Nowo-Ogarewo, Bocharow-Ruchei und Waldai in der Region Nowgorod. Darüber hinaus soll er in Moskau aber auch eine 150 Quadratmeter-Wohnung zur Verfügung gestellt bekommen haben. Sein Eigentum sei nur die fast 80 Quadratmeter große Wohnung, die wahrscheinlich in seinem Geburtsort St.-Petersburg liegt. Dazu soll auch eine 18 Quadratmeter große Garage gehören.
Potentat in Panik: „Putin hat Angst, dass er mit einer Rakete angegriffen wird“
Auch der Kreml sei besser abgeschirmt, seit der Überfall auf die Ukraine in einen Krieg ausgeartet war – der Stern will wissen, dass Luftabwehr auf verschiedenen Dächern in Moskau den Regierungssitz umgibt. „Sie sind so positioniert, dass der Kreml von allen Seiten beschützt ist“, sagte Georgi Alburow, einer der Mitstreiter Nawalnys, gegenüber dem Stern. „Putin hat wahrhaftig Angst, dass er mit einer Rakete angegriffen wird, während er arbeitet.“
Angst und Selbstzweifel scheinen der Motor des russischen Diktators zu sein – die russische Seele sei zutiefst gekränkt, behauptet Grigori Judin im Online-Magazin Dekoder, „von der Weltordnung insgesamt, die ungerecht erscheint, und folglich von dem, der als Senior-Partner die Verantwortung für diese Welt übernimmt, also von den USA. Das sind Vorwürfe gegen die ganze Welt – in dem Sinn, dass das menschliche Leben einfach schlecht konstruiert ist“, sagte der inzwischen als „ausländischer Agent“ titulierte Professor an der Moscow School of Social and Economic Sciences (MSSES).
Putin depressiv: „Und da sagt dieser Mensch: ,Im Leben gibt es kein Glück‘“
Dieser Zustand, beleidigt zu sein auf die ganze Welt, sei in Russland stark verwurzelt, schreibt Judin. Projektionsfläche seien diejenigen, die vermeintlich für diese Welt verantwortlich sind: die USA. „Die Vereinigten Staaten haben tatsächlich ab einem gewissen Punkt die weltweite Verantwortung übernommen – was nicht immer von Erfolg gekrönt war. Und wir sehen, dass das Ressentiment wahrlich nicht nur in Russland existiert.“ Judin berichtet von einer Aussage Putins aus der Mitte des Jahres 2021, in dem er auf Erden das Fehlen von Glück bedauert habe – was Judin nach eigenen Aussagen für absurd hält für einen Regierungschef, der, seiner Meinung nach, einem Volk eher Ideale vermitteln sollte.
„Und da sagt dieser Mensch: ,Im Leben gibt es kein Glück. Die Welt ist generell ein schlechter, ungerechter, schwer erträglicher Ort, an dem die einzige Daseinsform darin besteht, permanent zu kämpfen, sich zu prügeln und im Extremfall zu töten‘“, übersetzt Judin sinngemäß. Die Regierungs-Datscha Bocharov Ruchey wurde mit dem Zerfall der Sowjetunion zur einzigen russischen Datscha auf Regierungsebene am Schwarzen Meer und zur offiziellen Residenz des russischen Präsidenten ernannt, wie die Kiew Post schreibt.
Sollten die Atesch-Partisanen Recht behalten, ist die Residenz tatsächlich in Gefahr – ihre Geo-Daten haben sie nämlich gleich veröffentlicht.