Mega-Problem sind Sprachkurse - „Lohnt sich einfach nicht“: Ukrainer erklären, warum sie in Deutschland nicht arbeiten
Aktuell sind nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit 215.400 ukrainische Staatsangehörige bundesweit in Beschäftigung, 171.500 von ihnen gehen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach, weitere rund 43.900 sind geringfügig beschäftigt. Im Vorjahresvergleich ist die Beschäftigung von Ukrainern damit um fast 36 Prozent gestiegen.
Dennoch sind noch viele erwerbsfähige Ukrainer in Deutschland ohne Beschäftigung. Nun erklären einige dieser Menschen, warum das so is. Dabei nennen sie verschiedene Gründe - einige sind aber wiederkehrend.
„Die Leistungen, die wir vom Sozialamt bekommen sind sehr gut und wir fühlen uns in Deutschland wohl“, sagt die 27-jährige Marharyta, die einen siebenjährigen Sohn hat, gegenüber „Bild“. Allerdings sagt sie auch, dass sie sich „irgendwann eine Arbeit suchen möchte“.
Ihr einjähriges Kind ist auch der Grund für Anastasiia, dass sie derzeit keinem Job nachgeht. Allerdings soll sich das bald ändern. „Bald bekomme ich für ihn einen Betreuungsplatz, dann kann ich die Sprachschule besuchen. Und danach möchte ich wieder als Konditorin arbeiten.“ Ihr Mann ist hingegen in der Ukraine geblieben und arbeitet dort. „Er schickt mir Geld so oft er kann.“
„Lohnt sich einfach nicht“: Yurii (40) erklärt, warum er in Deutschland nicht arbeitet
Anders ist der Fall bei Yurii, 40. Er ist mit der Bezahlung der Tätigkeiten nicht zufrieden, die ihm das Jobcenter anbietet. „Ich bin ehrlich: Das lohnt sich nicht! Dafür fehlt mir die Motivation.“ Eine Erklärung schiebt er direkt nach. „Wenn ich bei Amazon oder anderen Unternehmen für 8 oder 9 Euro netto pro Stunde arbeiten würde, müsste ich meine Miete, Strom und Wasser selbst bezahlen. Dann würde zu wenig übrig bleiben im Vergleich zu 563 Euro Bürgergeld, das ich ohne Abzug bekomme.“
Vitalii hat Verständnis dafür, dass Politik und Gesellschaft in Deutschland der Meinung sind, dass er arbeiten gehen soll. „Aber dafür muss ich erst richtig Deutsch lernen. Sprachkurs und Arbeit zu kombinieren, ist schwierig“, erklärt der 42-Jährige gegenüber „Bild“.
Die Sprache hindert auch Veronika, die mit ihren beiden Kindern (9 und 13 Jahre alt) in Deutschland lebt. „Ich suche eine Stelle als Verkäuferin, am liebsten wie in der Ukraine wieder in einem Supermarkt oder einem Lebensmittelgeschäft.“ Derzeit wartet die 41-Jährige, die wegen ihrer Kinder nur halbtags arbeiten könnte, aber auf einen Sprachkurs.
Valentina, die mit ihren beiden Söhnen (15 und Jahre alt) in Deutschland lebt, hat sogar zwei Abschlüsse als Vermessungstechniker und in der öffentlichen Verwaltung, arbeitet aber nicht. „Vom Jobcenter werde ich immer wieder zu Sprachkursen geschickt. Ohne C1-Abschluss könne ich nicht arbeiten, heißt es.“
„Ich möchte zurück in meinen Beruf, aber das Jobcenter genehmigt keinen weiteren Sprachkurs“
Die 26-jährige Diana hat sogar einen Master-Abschluss als Software-Entwicklerin und Mathematikerin. Auch bei ihr stellen Sprachkurse und deren Verfügbarkeit ein großes Problem dar. „Ich musste viereinhalb Monate auf den B1-Sprachkurs warten, dann viereinhalb Monate auf den B2-Kurs.“
Ein Problem sei auch die Abhängigkeit vom Jobcenter, moniert sie. „Es hängt oft vom Berater im Jobcenter ab, ob man noch einen weiteren Sprachkurs machen darf.“ Diana würde gerne schon jetzt nebenbei arbeiten, sagt sie zu „Bild“. „Aber in meiner Branche gibt es keine Mini-Jobs.“
Yuliaa kann ebenfalls zwei Studienabschlüsse aufweisen, in Ökonomie und Marketing sowie als Projektmanagerin. Die zweifacher Mutter, die mit Sohn und Tochter in Hannover lebt, hat aber ein Problem. „Ich möchte zurück in meinen Beruf, aber das Jobcenter genehmigt keinen weiteren Sprachkurs.“
Die 43-jährige Olena hat während ihrer vierjährigen Ausbildung zur Sozialarbeiterin ein Jahr an einer privaten Universität studiert. Ihr Abschluss wird aber in Deutschland trotz übersetztem Diplom nicht anerkannt. Sie ist frustriert, arbeitete sie doch 14 Jahre als Erzieherin in der Ukraine. „Jetzt muss ich erst wieder eine zweijährige Ausbildung machen.“
„Zu lahmarschig“: Arbeitsminister Heil fordert Gesetzesänderung für schnellere Job-Integration
Dass sich das ändert, fordern auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und sein nordrhein-westfälischer Amtskollege Karl-Josef Laumann (CDU). Sie haben sich für Gesetzesänderungen ausgesprochen, um die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse zu erleichtern.
„Die Berufsanerkennung ist zu lahmarschig in Deutschland“, sagte Heil am Montag bei einer Kita-Besichtigung im nordrhein-westfälischen Neuss. Dies werde im Juni Thema bei der Ministerpräsidentenkonferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sein. „Wir müssen bürokratische Hürden einreißen“, forderte Heil. „Es gibt auch gut ausgebildete Menschen in anderen Ländern.“
Angesichts des Fachkräftemangels sei es „systemrelevant für Deutschland, Menschen zu integrieren und schneller in Arbeit zu bekommen“, betonte Laumann. „Wir müssen weg von der reinen Begutachtung formaler Qualifikationen.“ Auch die Erwartungen an das Sprach-Niveau dürften nicht zu hoch gehängt werden. Heil ergänzte, wer den Deutsch-Sprachkurs durchlaufen habe, sollte sofort in Arbeit gebracht werden - mit Aufstiegschancen - statt die Menschen „durch mehr Kurse zu jagen“.