Mit hochgezogener Augenbraue: Christoph Waltz im Salzburger „Oedipus Rex“
Ein Schauspielstar bei Strawinskys „Oedipus Rex“? Die Wiener Philharmoniker haben da eine lange Tradition. Bei den Salzburger Festspielen ist nun Christoph Waltz zu erleben.
Wie er das geschafft habe? Eine Journalistenfrage zwischen Ungläubigkeit und Anerkennung, ein paar Monate ist diese Pressekonferenz der Salzburger Festspiele her. „Ich habe die Telefonnummer von Christoph Waltz und ihn einfach angerufen“, lächelte Intendant Markus Hinterhäuser zurück. Ein Schauspiel-Superstar als Sprecher bei Strawinskys „Oedipus Rex“, das kann bei den Wiener Philharmonikern schon mal vorkommen. Claudio Abbado vertraute 1969 auf Michael Heltau, James Levine 1982 auf Maximilian Schell. Wie Letzterer ist Waltz Oscarpreisträger, steht nun auf der Bühne des Großen Festspielhauses hinten links und trägt scheinbar ungerührt, mit der bei ihm so typischen Lakonie seinen Text vor. Mit dem Ton des Understatements hat Waltz sehr Recht, Strawinsky selbst forderte für sein Opernoratorium eine ästhetische „Einfrostung“.
Eigentlich sah Strawinsky für diesen Part französischen Text vor, Waltz liest (wie es Tradition ist) eine Übersetzung in der Sprache des Aufführungsortes. Kein teilnehmender Beobachter soll hier zu hören sein, der Evangelist in einer Bach-Passion ist das genaue Gegenteil. „Lebe wohl, Oedipus, du wurdest geliebt“, sind Waltz‘ letzte Bühnenworte, man hört die hochgezogene Augenbraue heraus. Während sich also ein Antikenthriller um einen versehentlich mordenden, seine Mutter ehelichenden, sich schließlich die Augen ausstechenden Antiheld entwickelt, schreibt Strawinsky dazu konstruktivistische Musik.
Herausragend: Allan Clayton und Michael Volle
Die greift zurück bis auf die Barockfuge, erinnert in ihren um sich selbst kreisenden, rhythmisch Vertracktheiten an Carl Orff (und geht über ihn weit hinaus). Alles ist riesig besetzt, auch der formidable, textpräsente Männerchor des Wiener Singvereins. Ein Paradox: Man erlebt eine Art üppige Nüchternheit. Dazu passt der Zugriff von Dirigent Esa-Pekka Salonen, er ist für Lorenzo Viotti eingesprungen. Salonen lotst, animiert, treibt aber nicht an oder überhitzt das Geschehen. Trotzdem lässt sich aus diesem (scheinbaren) Formalismus Theatralität herauskitzeln, nämlich mit gestischem Singen. Michael Volle als Kreon und Bote führt das vor, jeder Ton entfaltet hier enorme, unforcierte Präsenz im Raum, vor allem aber Allan Clayton. Der hat mit der unangenehm gelagerten Oedipus-Partie keine Probleme, singt sie mit scharf gebündeltem, manchmal stechendem Ausdruck. Leiden tritt hier zurück hinter Trotz, dieser Oedipus hat auch in der Selbstverstümmelung noch nicht alles begriffen. Marina Viotti gestaltet dazu eine kühl-glutvolle Jokaste, Veteran Albert Dohmen gibt dem blinden Seher Teiresias die notwendige Autorität.
Nach der Pause das maximale Kontrastmittel aus dem Bereich der Hochkulinarik. Die Symphonie fantastique von Hector Berlioz hat man schon drastischer, greller, fratzenhafter gehört. Aber zur Klangkultur der Wiener Philharmoniker passt das ohnehin nur bedingt. Selbst wenn die Bläser-Soli herausgemeißelt werden, vergisst keiner seine gute Erziehung. Auch die Totenglocken des Finales gellen nicht durch den Saal, sie wurden auf die Nebenbühne verbannt. Salonen liefert dazu den passenden Swing. Keine schwitzende Überwältigungsaktion, aus dieser Interpretation spricht anderes: eine lässige Dramatik.