„Wir beschleunigen die Evolution“: Wie BMW den Sprung in die Zukunft meistern will

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Seine Neue Klasse hat BMW auf der IAA in München präsentiert (im Bild Wirtschaftsminister Robert Habeck, BMW-Entwicklungsvorstand Frank Weber, die Chefin des Automobilverbandes Hildegard Müller und Münchens damalige Bürgermeisterin Katrin Habenschaden, von links). © Sven Hoppe / dpa

Die deutsche Automobilindustrie steht unter massiven Druck. Wie will BMW unter diesen Voraussetzungen die Zukunft gestalten? Ein Interview mit dem BMW-Entwicklungsvorstand Frank Weber.

München – Die Automobiltechnik befindet sich in der tiefgreifendsten Umbruchphase ihrer Geschichte. Elektrifizierung und Automatisierung werden das Fahren, aber auch das Verhältnis der Menschen zur Mobilität verändern. Doch wie sieht das konkret aus? Wir sprachen mit dem BMW-Entwicklungsvorstand Frank Weber.

Es gibt neue Wettbewerber vor allem aus China. Die Elektromobilität breitet sich aus. Sie arbeiten an einer „Neuen Klasse“. Doch das automatisierte Fahren bleibt weit hinter früheren Ankündigungen zurück.

Jede Menge Herausforderungen, in der Tat. Dennoch schauen wir zuversichtlich in die Zukunft, bleiben dabei aber realistisch. Dazu gehört auch zu akzeptieren, dass manche Dinge wie etwa automatisiertes Fahren nach Level 3 etwas länger dauern wird, als sich das der eine oder andere vor Jahren vorgestellt hat. Trotzdem: Alles, was wir in dieser Hinsicht angekündigt haben, wird auch Realität werden. Und wenn Sie die Entwicklung aufmerksam verfolgen, sehen Sie, dass der Automatisierungsgrad unserer Assistenzsysteme stetig zunimmt.

Was ist konkret zu erwarten?

Bereits in wenigen Wochen werden wir in der 7er-Reihe ein echtes Level-3-Assistenzsystem einführen (der Automatisierungslevel, bei dem das Auto unter bestimmten Bedingungen ohne Eingriff des Fahrers fahren darf. Währenddessen kann sich der Fahrer mit Nebentätigkeiten beschäftigen. Die Verantwortung liegt nicht mehr beim Fahrer, sondern beim Hersteller – die Redaktion).

Aber da gibt es doch starke Einschränkungen.

Zunächst darf ein entsprechend ausgestatteter 7erBMW bis Tempo 60 selbstständig fahren. Aber wir befinden uns am Tag eins einer Evolutionsgeschichte. Aus 60 wird 90. Und so weiter. Wir freuen uns jedenfalls sehr, dass unser System mehr kann als das des Wettbewerbes, beispielsweise funktioniert es auch bei Dunkelheit

Die Physik können auch wir nicht aushebeln.

Aber Level 3 ist erst einmal nur in der Luxusklasse verfügbar.

Beim neuen 5er, den wir gerade vorgestellt haben, haben wir in Deutschland als erster Hersteller eine Sondergenehmigung für ein erweitertes Level-2-System erhalten (dabei passt das Auto das Tempo dem Verkehr an, hält die Spur und überholt bei Bedarf selbstständig, wobei die Verantwortung beim Fahrer bleibt). Neu bei unserem Autobahnassistenten: Man darf bis Tempo 130 dauerhaft die Hand vom Lenkrad nehmen, solange sichergestellt ist, dass der Fahrer seine Aufmerksamkeit auf die Straße richtet.

Also kleine Schritte in Richtung autonomes Fahren?

Die Fahrerunterstützung nimmt immer mehr zu. Bleiben wir beim neuen 5er, hier haben wir den eben beschriebenen Autobahnassistenten um eine Weltneuheit ergänzt: den aktiven Spurwechselassistenten mit Blick-Bestätigung. Sobald es die Verkehrssituation erlaubt, bietet das Auto den Spurwechsel an. Sobald man dann in den jeweiligen Außenspiegel schaut, bestätigt man den Spurwechsel und das Auto setzt zum Überholen an. Aber richtig, es ist keine Revolution, sondern eine sinnvolle, kundenwertige Evolution. Wie auch in der E-Mobilität...

Da gibt es nach wie vor große Vorbehalte bezüglich Reichweite und der Ladedauer. Wie kommen Sie da weiter?

Da beschleunigen wir die Evolution. Deshalb sprechen wir auch von der „Neuen Klasse“, die wir ab 2025 auf die Straße bringen werden. Da geht es nicht einfach nur um ein neues Elektromodell, sondern um eine neue vollelektrische Fahrzeugarchitektur, die zahlreiche Modelle umfasst und letztlich das gesamte künftige BMW-Portfolio beeinflussen wird.

Welches Potenzial gibt es bei Reichweite und Ladedauer?

Erhebliches Potenzial, aber die Physik können auch wir nicht aushebeln. Dennoch: Die E-Reichweiten werden in den künftigen Fahrzeugen signifikant zunehmen – gegenüber heute um rund 30 Prozent.

Wir werden auf vier „Superhirne“ im Auto setzen: Für Fahrerlebnis, Infotainment, Fahrassistenz und alles Weitere.

Und wie steht es bei den Ladezeiten?

Hier erwarten wir ebenfalls eine Verbesserung um etwa 30 Prozent. Aus einer halben Stunde, die Sie heute benötigen, um die Batterie am Schnelllader von zehn auf 80 Prozent zu bringen, werden 20 Minuten. Viel schneller kann man seine Tasse Kaffee an der Raststätte ohnehin kaum trinken. Wobei lange Etappen mit E-Autos ohnehin selten sind. Unsere Untersuchungen zeigen, dass 80 bis 90 Prozent des Ladens zu Hause oder in der Arbeit stattfindet und man damit im Grunde fast immer mit voller Batterie startet.

Sie experimentieren auch mit Brennstoffzellen. Lässt sich das in die Architektur der Neuen Klasse integrieren?

Ja. Beim Brennstoffzellenauto ist der Antrieb ja ebenfalls elektrisch, eine Batterie ist vorhanden – wenn auch viel kleiner: Neun Zehntel werden durch das Brennstoffzellensystem und die Wasserstofftanks als Energiespeicher ersetzt. Wir benötigen allerdings kleinteiligere Wasserstofftanks als heute, die sich besser in das Fahrzeug integrieren lassen.

Und wann gibt es das zu kaufen?

Das Wasserstoffthema ist ein zweites Standbein, um emissionsfrei zu fahren. Wir sind in der Entwicklung damit etwa so weit, wie wir beim batterieelektrischen Fahrzeug im Jahr 2008 waren. Bei vielen Technologien war das Auto der Schrittmacher. Bei der Brennstoffzelle wird der Durchbruch aber mit sehr großen und schweren Fahrzeugen, also Lkw und Bussen, erfolgen.

An allen Ecken und Enden sind im Auto heute Rechner eingebaut. Ist diese Vielfalt noch überschaubar?

Das Auto mit einem einzigen Rechner, der alles macht, wird nicht kommen. Wir werden stattdessen auf vier – ich nenne es gerne Superhirne – setzen. Eines für Fahrerlebnis: Lenken, Bremsen, Rekuperieren, der ganze Antrieb. Ein zweites, das sich um alles rund um Infotainment und User Experience kümmert. Ein weiteres betrifft die Fahrerassistenz. In allen drei Bereichen haben wir auch unterschiedliche Softwaregrundlagen. Und dann gibt es noch ein viertes Superhirn für den Rest: Heizen, Kühlen, Fensterheber. Diese vier Superhirne sind die hochintegrierte Form dessen, was bisher im Auto auf 60 bis 70 Steuergeräte verteilt ist.

Hilft das auch beim Stromsparen?

Das spielt eine immense Rolle! Zehn Watt eingespart im Auto, was gäbe ich dafür… Das ist, ähnlich wie bei der Gewichtsreduktion, mühevolle Arbeit im Detail. Wir durchforsten das ganze Auto, jedes Steuergerät, um Stromsparpotenziale zu heben.

Die Politik sollte für jeden Plugin-Hybrid-Fahrenden dankbar sein.

Aber lässt sich da noch viel herausholen?

Aber ja. Die Neue Klasse wird um ein Viertel effizienter sein als ein heutiger i4. Es ist ein gewaltiger Sprung, der sich in einer einfachen Beispielrechnung anschaulich machen lässt: 25 Prozent bedeutet, dass ein Auto, das heute mit einer bestimmten Energiemenge 400 Kilometer weit fährt, dann mit derselben Energie 500 Kilometer weit kommen wird.

Fließen diese Effizienzgewinne für die Neue Klasse auch in Hybridkomponenten für Verbrenner ein?

Selbstverständlich! Unsere jüngsten Hybridmodelle haben rund 80 bis 90 Kilometer echte elektrische Reichweite. Viele Kunden fahren damit im Alltag rein elektrisch. Wenn sie aber weite Strecken am Stück fahren müssen, springt eben der Benzinmotor mit ein. Die Zufriedenheit unserer Plug-in-Hybrid-Kunden ist ausgesprochen hoch.

Aber die Politik schiebt diese Technologie aufs Abstellgleis.

Die Politik sollte dankbar sein für jeden, der einen Plugin-Hybriden fährt. Verbrenner-Fahrer lernen so die Elektromobilität kennen und schätzen. Mit zunehmend besserer Infrastruktur kann man diese Fahrer dann leicht für reinelektrisches Fahren gewinnen. Das wäre ein ganz natürlicher, evolutionärer Prozess. Wenn man dieser Evolution eine Chance gäbe, würde der Umstieg zur Elektromobilität deutlicher schneller vorankommen.

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