"Zeit für einen neuen Kanzler"
Nach dem Karlsruher Urteil entfacht eine neue Debatte um die Schuldenbremse. Auch in der CDU. Der Vorsitzende der Jungen Union, Johannes Winkel, fordert seine Partei zu einer klaren Haltung in der Frage auf.
Johannes Winkel klingt fast etwas genervt, als es Freitagvormittag am Telefon um die Frage nach der Schuldenbremse geht. Abschaffen? Auf keinen Fall. Und reformieren? Auch nicht. Dass führende CDU-Politiker, wie der Berliner Bürgermeister Kai Wegner und die Ministerpräsidenten Rainer Haseloff und Michael Kretschmer, das anders sehen, hält Winkel für rücksichtslos.
"Es kann keine Position der Union sein, künftigen Generationen durch Schulden- und Zinsberge ihre eigenen Entscheidungsspielräume wegzunehmen", sagt der JU-Chef.
Im Interview mit t-online spricht Winkel außerdem über mögliche weitere Klagen der Union vor dem Bundesverfassungsgericht und erklärt, warum er glaubt, dass jetzt der Zeitpunkt für Neuwahlen sein könnte.
t-online: Herr Winkel, in Karlsruhe wurde die Haushaltsplanung der Ampel für verfassungswidrig erklärt. Wie bewerten Sie die bisherige Kommunikation der Bundesregierung zu dem Thema?
Johannes Winkel: Die Entscheidung aus Karlsruhe zeigt, dass es sich ein Rechtsstaat nicht gefallen lässt, wenn eine Regierung unsere Verfassung fortlaufend einfach ignoriert. Dass das Bundesverfassungsgericht einen Haushalt für nichtig erklärt, hat es in der Geschichte unseres Landes noch nicht gegeben. Aber: Anstelle von Demut erleben wir jetzt Trotz und Gleichgültigkeit. Das ist unwürdig.
Worauf spielen Sie konkret an?
Sehen Sie sich die Reaktionen dieser Regierung an. Robert Habeck reagiert beleidigt wie ein Kleinkind. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich sagt, das Bundesverfassungsgericht würde "Verwirrung stiften" –, eine Wortmeldung, die man eher von Trump oder Orbán gewohnt ist. Der Kanzler ist, wie so oft, abgetaucht. Und der Finanzminister sorgt für noch mehr Verunsicherung, indem er sich nicht einmal traut auszusprechen, was er jetzt vorhat.
Kann die FDP sich nach diesem Urteil noch die "finanzpolitische Stimme der Vernunft" nennen?
Nein. Und genau das ist das Problem der FDP. Christian Lindners zentrales und auch erfolgreiches Versprechen im Bundestagswahlkampf war schließlich, dass die FDP im Falle einer Ampel für finanzpolitische Seriosität sorgt. Dieses Urteil beschädigt Christian Lindner nicht nur persönlich, sondern entzieht der FDP die gesamte Rechtfertigung für ihre Regierungsbeteiligung. Ohne Schuldenbremse bleibt von der Ampel de facto nur noch Rot-Grün übrig. Deswegen kann ich gut verstehen, dass sich viele FDP-Mitglieder fragen: Was machen wir eigentlich noch in dieser Koalition?
Wie konnte es aus Ihrer Sicht dazu kommen?
Christian Lindner ist ein hervorragender Wahlkämpfer und guter Oppositionspolitiker. Wir sehen jetzt: Es ist eine Sache, Schwarz-Weiß Fotos im Wahlkampf zu machen. Und eine andere, schwarze Zahlen im Haushalt zu schreiben. In der Regierungsrealität ist von Lindners Rhetorik nur heiße Luft übrig geblieben.
Winkel fordert klare Haltung von seiner Partei in Sachen Schulden
Was sollte nun für die Union daraus folgen?
Für 2023 wird es einen Nachtragshaushalt und damit zusätzliche Schulden geben. SPD und Grüne haben bereits deutlich gemacht, dass sie im nächsten Jahr, also 2024, erneut die Notlage ausrufen wollen. Ob die FDP da mitmacht, werden wir sehen. Aber klar ist: Damit bliebe von der Schuldenbremse nur noch eine Fassade übrig. Sollte es so kommen, müssen CDU und CSU dagegen klagen. Das ist die Forderung der Jungen Union. Nachhaltigkeit für die kommenden Generationen ist für uns nicht nur eine ökologische, sondern auch eine ökonomische Frage. Bereits jetzt stellen Zinsverpflichtungen den drittgrößten Haushaltsposten dar.
Es gibt noch einen anderen "Lösungsansatz", der diskutiert wird: eine Reform der Schuldenbremse. Ist es für die junge Generation besser, weniger Schulden zu machen oder mehr zu investieren?
Natürlich müssen wir investieren. Nur daraus abzuleiten, dass wir die Schuldenbremse reformieren oder gar ganz abschaffen müssen, halte ich für denkfaul. Die politische Linke tut so, als ob es geradezu verboten wäre, aus dem regulären Haushalt Investitionen zu tätigen. Es muss doch möglich sein, ein vernünftiges Verhältnis von Konsumtion und Investition auf seriöser Grundlage im regulären Haushalt zu organisieren. Dass uns das Geld dafür fehlt, stimmt schlicht nicht. Wir haben einen Rekordhaushalt, die Einnahmen bewegen sich auf die Billionen-Grenze pro Jahr zu. Unser Problem ist, dass der Haushalt von vornherein zum Großteil für konsumtive Sozialausgaben blockiert ist, und die Ampel quartalsweise neue hinzufügt. Die Politik muss zumindest im Ansatz zeigen, dass sie Prioritäten setzen kann, so wie es jede Privatperson und jedes Unternehmen machen muss. Solange das nicht passiert, kann es keine Diskussion über die Reform der Schuldenbremse geben.