Deutsche Haushalte zahlen viel zu viel für Strom – auch weil die Energieriesen das so wollen

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In Deutschland zahlen Haushalte pro Jahr 5,5 Milliarden Euro zu viel für Strom. Dabei gibt es schon jetzt großes Sparpotenzial. Die großen Stromversorger haben daran aber kein Interesse.

Berlin – Deutsche Haushalte zahlen zu viel für Strom. Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse des Vergleichsportals Verivox. Demnach haben die Deutschen im Jahr 2023 rund 5,5 Milliarden Euro zu viel für Strom ausgegeben, weil sie den Stromanbieter nicht wechselten und dadurch nicht die günstigsten Angebote in Anspruch genommen haben.

Noch dazu gibt es in Deutschland Hürden, die die Lage weiter verschärfen. Wie so oft liegt es auch diesmal an der schleppenden Digitalisierung: dadurch, dass nur sehr wenige Haushalte einen Smart Meter installiert haben, wird viel Potenzial verschenkt. Den Schlüssel liefern dynamische Stromtarife in Kombination mit dem Smart Meter. Solche Tarife muss ab 2025 jeder Versorger auch verpflichtend im Angebot haben. Nicht nur, weil das Sparpotenzial für Verbraucher und Verbraucherinnen so enorm ist; auch, weil sie zu einer Entlastung der Stromnetze führen und die Energiewende unterstützen können.

Dynamische Stromtarife können Strompreise deutlich senken: 3000 Euro pro Haushalt möglich

Dynamische Stromtarife sind, wie der Name schon vermuten lässt, nicht an einen festen Preis gekoppelt, sondern variabel. Dabei wird Strom zu Zeiten eingekauft, zu denen er besonders günstig auf der Börse ist. Das ist zu bestimmten Tages- oder Nachtzeiten der Fall, aber auch dann, wenn viel erneuerbarer Strom produziert werden kann, weil die Bedingungen stimmen (also beispielsweise starker Wind oder viel Sonnenschein).

Für alle dynamischen Stromtarife ist ein Smart Meter essenziell: Der digitale Strommesser kann nämlich in Echtzeit genau diese Daten von der Strombörse einholen und zu günstigen Zeiten einkaufen. Wer eine PV-Anlage hat, braucht einen Smart Meter, um die eigene Produktion bestmöglich zu verteilen. Wer viel Strom produziert, aber gerade nicht so viel braucht, kann zum Beispiel diesen überschüssigen Strom ans Netz bringen – und zur weiteren Preisabsenkung an der Strombörse beitragen. Oder er speichert ihn in einen Batteriespeicher zum späteren Nutzen und trägt somit zu seiner eigenen Unabhängigkeit bei.

Hochspannungsleitung
In Deutschland sind die Strompreise höher als anderswo. Doch es gibt Wege, um Geld zu sparen. © Hauke-Christian Dittrich/dpa

Doch nach Angaben von Jan Rabe, CEO des Stromversorgers Rabot Charge, haben vor allem die großen Energieanbieter, die schon lange auf dem Markt sind, wenig Interesse daran, ihren Kunden solche Tarife anzubieten. Und wie die Verivox-Auswertung zeigt, haben sie auch einen Vorteil: „Die Deutschen sind träge. Jeder Haushalt kann schon jetzt von dynamischen Stromtarifen profitieren und Kosten sparen. Aber das passiert noch viel zu wenig“, sagt er im Gespräch mit IPPEN.MEDIA.

Obwohl im kommenden Jahr alle Stromversorger dynamische Tarife im Portfolio anbieten müssen, erwartet er eine schleppende Umsetzung. „Ich denke, die Versorger werden nicht proaktiv auf ihre Kunden zugehen und diese Tarife bewerben. Die Modelle sind für den Energieversorger deutlich komplexer in der Umsetzung“, so Rabe. Laut Berechnungen von Rabot Charge kann ein Haushalt durch die Verbrauchsflexibilisierung in Kombination mit dynamischen Tarifen 3000 Euro im Jahr sparen, wenn er eine eigene PV-Anlage besitzt. Ein enormes Sparpotenzial.

Smart Meter, Börsenstrom und Energiemanagementsystem für niedrige Strompreise notwendig

Dazu braucht es aber auch noch einen weiteren Schritt – neben dem Smart Meter und dem Börsenstrom. Um den Stromverbrauch und die verschiedenen Geräte – PV-Anlage, Wärmepumpe, E-Auto, Speicher – optimal zu steuern, bieten immer mehr Unternehmen auch Energiemanagementsysteme an (Home Energy Management Systems, HEMS). Einer aktuellen Marktuntersuchung der Hochschule Ansbach zufolge gab es 2023 mindestens 42 kommerzielle HEMS in Deutschland.

Allerdings entdeckte der Wissenschaftler bei seiner Untersuchung auch etwas, das sich für Verbraucher und Verbraucherinnen in Zukunft zu einem Problem entwickeln könnte: Die verschiedenen Systeme sind oft nur mit bestimmten Geräten – oftmals vom gleichen Hersteller – kompatibel. Also: Wer beispielsweise ein Bosch HEMS haben will, braucht oftmals auch eine Wärmepumpe von Bosch und eine Wallbox von Bosch und eine PV-Anlage von Bosch oder einem Kooperationspartner (Bosch dient hier nur als Beispiel, dies ist bei mehreren Herstellern der Fall). Und der Stromtarif, den der Kunde dann zur optimalen Nutzung auswählt, muss auch noch mit den HEMS und den Geräten kompatibel sein.

Der Marktuntersuchung zufolge galten nur 60 Prozent der HEMS als herstelleroffen. „Bereits heute und auch zukünftig werden die Geräte in Haushalten aus einem Mix von Herstellern bestehen, was zwingend herstelleroffene HEMS erfordert“, mahnt der Wissenschaftler in seiner Untersuchung.

Kooperation mit verschiedenen Herstellern möglich – Smart Meter ab 2025 verpflichtend

Eine Marktlücke für Rabot Charge – das Ziel des Unternehmens: Verschiedene Geräte sollen miteinander kompatibel sein. Das Unternehmen hat mit drei HEMS-Anbietern (Clever PV, GridX und Solar Manager) eine Kooperation abgeschlossen, sodass ihr Stromtarif jetzt mit 200 Geräte-Herstellern kompatibel ist. Nach eigenen Angaben betrifft das 50 verschiedene Wärmepumpen-Typen, 100 Anbieter von Wallboxen, mehr als 30 Speicher und 70 verschiedene E-Autos.

Das Unternehmen plant auch weitere Kooperationen, damit künftig sämtliche steuerbare Anlagen und Geräte zu Hause mit den aktuellen Börsenstrompreisen gekoppelt und optimiert werden können. Bis das flächendeckend einsetzbar ist, ist aber noch viel zu tun.

Dazu gehört auch, die Smart Meter in Deutschland möglichst schnell in die Haushalte zu bekommen. Zur Beschleunigung hat die Ampel-Koalition auch ein Gesetz beschlossen, sodass bis 2032 in allen deutschen Haushalten Smart Meter installiert sein müssen. Für Verbraucher und Verbraucherinnen, die jährlich mehr als 6000 Kilowattstunden an Strom nutzen, ist der Einbau ab 2025 verpflichtend. Die Installation ist dabei preislich gedeckelt, je nach Verbrauch soll es maximal 120 Euro kosten.

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