GDL und Bahn verhandeln weiter: Experte sagt, wann weitere Streiks drohen

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Die Deutsche Bahn und die Lokführergewerkschaft GDL beraten in zweiter Runde über einen neuen Tarifvertrag. Ein Streikexperte warnt vor verfrühtem Optimismus.

GDL-Chef Claus Weselsky nahm zunächst nicht an der zweiten Runde der Tarifverhandlungen teil, die an diesem Donnerstag begonnen hat. Die Gewerkschaft habe weitere Verhandlungstermine an anderer Stelle, sagte sein Stellvertreter Lars Jedinat dazu. Weselsky solle am Nachmittag oder Abend dazustoßen. Der Vorgang passt ins Bild dieses Tarifkonflikts, bei dem vor allem eins klar ist: Nichts ist hier klar – außer die Forderungen.

Die GDL will bei einer Tariflaufzeit von einem Jahr eine Lohnerhöhung von monatlich mindestens 555 Euro durchsetzen sowie eine Erhöhung der Zulagen für Schichtarbeit um 25 Prozent und eine steuerfreie Inflationszahlung von 3000 Euro. Das Gegenangebot der Bahn, elf Prozent mehr Lohn sowie eine Inflationsprämie von bis zu 2850 Euro bei einer Laufzeit von 32 Monaten, lehnt Weselsky bereits ab.

Streikexperte zur Bahn: „Nicht die erste Auseinandersetzung, die sich lange zieht“

Martin Seiler, Personalvorstand der Deutschen Bahn, tritt zum Auftakt der zweiten Verhandlungsrunde vor die Presse.
Martin Seiler, Personalvorstand der Deutschen Bahn, tritt zum Auftakt der zweiten Verhandlungsrunde vor die Presse. © Fabian Sommer/dpa

Für Bahnfahrer dürfte vor allem eine Frage interessant sein: Muss ich mich auf weitere Streiks einstellen? „Das ist wie in eine Glaskugel schauen“, sagt Heiner Dribbusch, der von 2003 bis Ende 2019 Tarif- und Arbeitskampfexperte bei der Hans-Böckler-Stiftung war, zu IPPEN.MEDIA. „Es wäre nicht die erste Auseinandersetzung bei der Bahn, die sich lange zieht. Entweder die Bahn bewegt sich rasch oder es zieht sich ins neue Jahr – und dann halte ich Streiks für sehr wahrscheinlich.“

Dribbusch versteht nicht, warum die Bahn von vorneherein ausgeschlossen hat, über Wochenarbeitsstunden zu verhandeln. „Dass das die GDL erzürnt, kann ich nachvollziehen.“ Obendrein sei es taktisch unklug, sagt Adrian Brandis. Er führt eine Beratungsfirma, die Unternehmen bei Verhandlungen berät. „Es bringt der Bahn jetzt überhaupt nichts, Weselsky an den Pranger zu stellen. Auch er braucht eine Lösung, die er verkaufen kann. Deswegen sollte die Bahn auf ihn zugehen“, sagt Brandis. Das gehe zum Beispiel bei den Wochenstunden. „Die Bahn könnte sagen, 35 Stunden ist nicht darstellbar, aber wie wäre es denn mit 37 Stunden – möglicherweise auch erst in ein oder zwei Jahren?“, sagt Brandis.

Urabstimmung in der GDL zu unbefristeten Streiks

Doch die Zeichen stehen eher auf Eskalation – von beiden Seiten. In der GDL ist eine Urabstimmung angelaufen. Es geht um unbefristete Streiks. Stimmen 75 Prozent der Abstimmungsteilnehmer zu, hätte Weselsky künftig die Möglichkeit, zeitlich unbefristet zu streiken, also zum Beispiel mehrere Tage am Stück. Säbelrasseln oder ernstgemeinte Drohung?

Für Streikexperte Dribbusch liegt die Krux bei der ganzen Geschichte darin, dass es zwei Gewerkschaften gibt, die mit der Bahn verhandeln. Dabei vertritt die größere Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) knapp 200.000 Mitglieder, während die GDL gerade einmal für 17.000 Mitglieder verhandelt. „Das ist keine optimale Situation, weil es da einfach eine Rivalität gibt.“ Seit der letzten Tarifrunde ist klar, dass die GDL nur in den Bereichen verhandeln darf, in denen sie mehr Mitglieder hat. Bei den rund 300 Betrieben der Deutschen Bahn kommen in lediglich 18 Unternehmen die GDL-Verträge zur Anwendung.

Konkurrenz zwischen GDL und EVG „keine optimale Situation“

Das soll, wenn die GDL sich durchsetzt, nicht so bleiben. Denn erstmals soll auch die Infrastruktursparte in den Tarifabschluss der Gewerkschaft mit einbezogen werden. Das umfasst beispielsweise die Dienstleiter, die für die Koordinierung des bundesweiten Zugverkehrs zuständig sind und für die bislang ausschließlich die EVG verhandelt hat. 

Eins hat die GDL der EVG auf jeden Fall voraus: die öffentlichkeitswirksamere Führungsfigur. Haben die verhärteten Fronten auch mit dem Auftreten von Weselsky zu tun? Dribbusch will das nicht bewerten. „Sagen wir es so: Er hat einen eigenen Stil und manches finde ich durchaus befremdlich, zum Beispiel diese offen zur Schau gestellte Rivalität mit der EVG, die er scheinbar gerne pflegt.“

Weselsky schließt Streiks an Weihnachten aus

Dass auch die EVG von ihrem Streikrecht Gebrauch macht, mussten Bahnfahrer im Frühjahr feststellen, als die Gewerkschaft gemeinsam mit Verdi den Bahnverkehr einen Tag lahmlegten. „Damals gab es die gleichen Diskussionen“, sagt Dribbusch. „Der Konflikt ist zwar gelöst worden und ich gehe fest davon aus, dass das auch diesmal so ist.“ Dennoch warnt der Experte vor verfrühtem Optimismus: „Es hat Wochen gedauert und sogar eine externe Schlichtung benötigt, ehe EVG und Bahn sich einigen konnten. Insofern kann ich mir gut vorstellen, dass die GDL nochmal zum Streik aufruft.“

Zumindest an Weihnachten hat Weselsky Arbeitskämpfe ausgeschlossen. „Die GDL hat noch nie über Weihnachten gestreikt und wird es auch dieses Jahr nicht tun“, sagte er am Dienstag der Leipziger Volkszeitung. Doch diese Aussage ist nur auf den ersten Blick eine Entwarnung. Denn: Würde die Bahn am Freitag vor Heiligabend streiken, also am 22. Dezember, und dafür ganz normal am 1. Weihnachtsfeiertag fahren, hätte Weselsky zwar nicht die Unwahrheit gesagt – und dennoch dürften die Tage vor Weihnachten für viele Bahnfahrer die entscheidenden sein.

Für Freitag sind weitere Verhandlungen zwischen GDL und Bahn geplant.

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