Weniger Haben, mehr Sein? Das Unglück lauert laut ZDF im Kleiderschrank
Sie wohnen in Ihrem Tiny House? Sie verkaufen Ihren SUV, weil Ihnen das Fahrradfahren ohnehin mehr Freude macht als die dicke Karre? Und die Sommerferien verbringen Sie lieber am Badesee um die Ecke, die Flugreise nach Malle wird gestrichen, weil’s ja eh besser ist für den ökologischen Fußabdruck?
Wenn Sie jetzt drei Mal mit Ja geantwortet haben, sind Sie ein guter Mensch. Wenn Sie das alles irgendwie gut finden, dann aber doch anders handeln – dann sind Sie einer von uns vielen, die so gerne vom Gutsein träumen. Irgendwie. Ach. Die ZDF-Doku mit dem vielversprechenden Titel „Weniger Haben, mehr Sein“, macht sich an den Härtetest. Was passiert, wenn Menschen mit dem Traum ernstmachen?
Minimalismus und Gewinnmaximierung
„Für mich bedeutete Minimalismus wirklich Freiheit – und Freiraum für das Essentielle in meinem Leben“, bekommen wir zu hören. Corinna hat die Dinge zu ihren Gegnern erklärt. 52 Quadratmeter bewohnt sie zusammen mit ihrem Mann. Weniger Dinge, weniger Arbeit, mehr Zeit: Das ist die einfache Formel, auf die sie ihr Leben bringen will. Für den Kampf gegen Gegenstände lässt sie sich auch bezahlen- 90 Euro die Stunde nimmt sie als „Aufräumcoach“. So lässt sich aus Minimalismus auch Gewinnmaximierung machen.
Wir besitzen 10.000 Dinge. Pro Person
„Kann man sich Glück kaufen?“, fragt der Lehrer Janos in einer Schulklasse. „Gegenstände können einen schon glücklich machen“, gibt eine Schülerin zur Antwort. Die Hausaufgabe bringt einige der Schüler in Panik. Sie sollen daheim mal ihren eigenen Besitz durchzählen. Da wird schon früh der Luxus zum Problem. 50.493 Euro pro Jahr haben die Deutschen im Durchschnitt als Jahreseinkommen. Da sammelt sich auch in den Kinder- und Jugendzimmern schon allerhand Eigentum. „23.000 Sachen!“, meldet sich der erste Schüler. „Der Durchschnitt in Deutschland liegt bei 10.000 Gegenständen“, verrät der Lehrer, „vor hundert Jahren waren es noch 120 Gegenstände pro Person.“ Sind wir heute hundert Mal glücklicher? Wahrscheinlich eher nicht.
„Weniger tote Gegenstände lassen mir Zeit für Lebendiges“
„Das ganze Leben ist ein einziges Loslassen“, predigt Aufräumcoach Corinna. Allerspätestens der Tod gibt ihr recht. Die Jahre davor allerdings sind zumindest für viele doch eher der Versuch, sich Besitz zu erwerben – die eigene Wohnung, das eigene Auto, das eigene Haus. Und dann möglichst auch gleich noch an Kinder und Enkel denken! Die sollen es ja, bitteschön, einmal besser haben.
Als radikalen Gegenentwurf stellt die ZDF-Doku den ehemaligen Energieberater Joachim vor. Er hat tatsächlich versucht, möglichst viele Dinge loszulassen. Sein Besitz passt jetzt in einen kleinen Koffer. Den zieht er hinter sich her. „Momentan habe ich keine eigene Wohnung“, sagt er. Er lebt bei einer Freundin und von weniger als 600 Euro Rente. Es bleibt noch die Möglichkeit, davon etwas zurückzulegen. Ob er materielle Geschenke macht, wollen die Schüler von ihm wissen. „Ich verschenke Zeit – weniger tote Gegenstände lassen mir Zeit für Lebendiges“, gibt Joachim zur Antwort. Die Schulklasse beeindruckt er mit seinem Leben und seiner Beschränkung und seinem Koffer.
Das große Glück im kleinen Koffer
Die Kundin, der Aufräumcoach Corinna drei Tage lang beim Entrümpeln geholfen hat, wirkt zufrieden: „Man kann wieder frei atmen, es fühlt sich einfach gut an.“ Und die Ratgeberin bringt es auf eine einfache Formel: „Zeit für die Dinge, die ich tun möchte. Und nicht für die Dinge, dich ich besitzen möchte.“ Wenn das große Glück also in einen kleinen Koffer passt: Tiny House anstelle von 150 Quadratmetern? Fahrrad statt SUV? Badesee statt Malle? Es wäre wohl das Ende unseres Wirtschaftssystems und damit auch von dem, was wir als Wohlstand empfinden. Vielleicht ganz gut, den Traum zu vertagen. Auf morgen. Oder übermorgen.