Mögliche Spionage: Taiwan sichtet chinesischen Ballon vor eigener Küste
Vor der Küste Taiwans wurde am Donnerstag ein chinesischer Ballon entdeckt, der wenig später „verschwand“. Unklar ist, was hinter dem Vorfall steckt.
Taiwans Streitkräfte haben am Donnerstag einen mutmaßlich chinesischen Ballon in der Nähe der Küste des Inselstaats entdeckt. Wie das Verteidigungsministerium des Landes am Freitag mitteilte, wurde der Ballon erstmals um 11.52 Uhr Ortszeit gesichtet, nachdem er zuvor die Medianlinie überquert hatte. Gut eine Stunde später sei er „verschwunden“. Die Medianlinie ist die inoffizielle Grenze zwischen Taiwan und der Volksrepublik China, die die demokratisch regierte Insel als Teil des eigenen Staatsgebiets betrachtet.
Unklar war zunächst, um was für eine Art von Ballon es sich handelte. In einer ersten Mitteilung sprach das taiwanische Verteidigungsministerium lediglich von einem „Ballon der VRC“, also der Volksrepublik China, und von „Aktivitäten der VBA“, also der chinesischen Volksbefreiungsarmee. Die staatliche taiwanische Nachrichtenagentur CNA schreibt hingegen in einer Meldung, es handle sich um einen „Überwachungsballon“; die US-Nachrichtenagentur AP schreibt von einem „chinesischen militärischen Überwachungsballon“ und nennt als Quelle das taiwanische Verteidigungsministerium. Gleichzeitig erklärte der taiwanische Verteidigungsminister Chiu Kuo-cheng in Taipeh, man gehe vorerst davon aus, dass es sich bei dem Objekt um einen Wetterballon handle, der aufgrund von jahreszeitlichen Winden nach Osten abgetrieben worden sei. Vom chinesischen Verteidigungsministerium gab es zunächst keine Stellungnahme.
Vorfall weckt Erinnerungen an chinesischen Spionageballon über den USA
Neben dem Ballon entdeckte Taiwans Verteidigungsministerium binnen 24 Stunden auch 26 Flugzeuge der chinesischen Volksbefreiungsarmee sowie zehn Schiffe der chinesischen Marine in der Nähe der Insel. 15 der Kampfjets hätten die Medianlinie überquert. Solche Machtdemonstrationen des chinesischen Militärs sind keine Seltenheit, fast täglich meldet Taiwan entsprechende Manöver. Ein Eindringen eines chinesischen Ballons hingegen wurde in der jüngeren Vergangenheit nicht gemeldet.
Der Vorfall erinnert an das Eindringen eines mutmaßlichen chinesischen Spionageballons in den Luftraum der USA Anfang des Jahres. Nachdem das US-Militär das Flugobjekt entdeckt und mehrere Tage lang beobachtet hatte, wurde es schließlich vor der Küste des Bundesstaats South Carolina abgeschossen. Während China von einem Wetterballon sprach, erklärten die USA, es habe sich um einen Spionageballon gehandelt. Späteren US-Berichten zufolge war der Ballon zwar mit Spionagetechnologie ausgestattet, er habe aber keine Daten nach China übertragen. Der Vorfall löste schwere diplomatische Verwerfungen zwischen Washington und Peking aus; so sagte US-Außenminister Antony Blinken einen geplanten China-Besuch kurzfristig ab.
Chinesischer Ballon vor Taiwan: Einmischung in den Wahlkampf?
Beobachter bringen den aktuellen Vorfall vor der taiwanischen Küste nun mit der Präsidentschaftswahl in dem Land in Verbindung. Taiwan wählt am 13. Januar einen Nachfolger für die scheidende Präsidentin Tsai Ing-wen, die nach zwei Amtszeiten nicht erneut antreten darf. Als Favorit geht Lai Ching-te von der regierenden Demokratischen Fortschrittspartei ins Rennen; Peking betrachtet Lai als Separatisten, der Taiwan offiziell für unabhängig erklären wolle. Ein solcher Schritt wäre für die chinesische Regierung ein Grund für eine Kriegserklärung. Unter anderem mit militärischen Einschüchterungskampagnen, so Analysten, wolle Peking den Wahlkampf zugunsten des eher China-freundlichen Kandidaten Hou Yu-ih von der oppositionellen Kuomintang beeinflussen. Dabei nutze China auch Desinformationskampagnen, unter anderem in den sozialen Medien. (sh)