„Wochenendrebellen“: Film über Autismus in Kempten

  1. Startseite
  2. Bayern
  3. Augsburg & Schwaben
  4. Kreisbote Kempten

KommentareDrucken

Nach dem Film beantwortete das Team vom Autismus Zentrum Schwaben (v. l. Geschäftsführer David Scheible, Christina Eberle und Helen de Vries, beide Fachdienst) im Kinofoyer Fragen des Publikums. 150 Zuschauerinnen und Zuschauer, unter denen sich auch Autismus-Betroffene befanden, waren gekommen. Das Feedback der Befragten war positiv. © Lüderitz

Kürzlich lief „Wochenend­rebellen“ im Colosseum Center in Kempten. Initiiert hatte die Veranstaltung das Autismus Zentrum Schwaben, das seinen Sitz in Waltenhofen/Hegge hat.

Kempten – „Die Filmvorführung ist für uns eine Gelegenheit, das Thema Autismus ins Gespräch zu bringen und bekannter zu machen“, sagt die Psychologin Helen de Vries. Das Zentrum organisiere jedes Jahr etwas zum Welt-Autismustag am 2. April, um Aufmerksamkeit für das Spektrum zu erlangen.

Ein Autist im Zentrum des Films „Wochenendrebellen“

Das funktioniert mit Regisseur Marc Rothemunds mitreißendem Film aus dem Jahr 2023 ganz wunderbar. Die Zuschauerinnen und Zuschauer tauchen ein in die Welt des 10-jährigen Jason (gespielt von Cecilio Andresen) und seiner Familie: Sie erleben, wie wichtig Jason Regeln und Routinen sind, wie enorm sein Wissen über Planeten, das All und die Umwelt ist, aber auch wie schwierig sich der Alltag für ihn auch dadurch gestaltet, dass er Geräusche und Reize schlecht filtern kann und alles gleich „laut“ auf ihn einprasselt, wie er mit seinen Ausrastern immer wieder aneckt, wie er in der Schule Ausgrenzung erfährt und wie schwer es ihm fällt, Ironie, Metaphern oder „unlogische“ Gesellschaftskonventionen zu verstehen. Der Vorschlag der Schulleiterin, auf eine Förderschule zu wechseln, ist für Jason keine Option. Denn er möchte Abitur machen, um später Astrophysik zu studieren.

Als Opa Gerd vorschlägt, einen Lieblingsfußballverein zu suchen, um soziale Kontakte zu knüpfen, geht Jason die Suche auf seine Art an. Minutiös plant er Reisen zu jedem Fußballverein, informiert sich haargenau, legt Regeln für die Stadionbesuche fest, stellt Kriterien für „seinen“ Lieblingsverein auf: Er soll etwa kein Maskottchen besitzen, so wenig Ressourcen verschwenden wie möglich, „Nazis“ sollen den Verein nicht anfeuern. Die Spieler dürfen auch keine unterschiedlich farbigen Schuhe tragen.

Widersprüchliche Befehle führen zum Crash

Auf den herausfordernden und abenteuerlichen Fahrten mit seinem Vater Mirco (Florian David Fitz) gerät Jason nicht nur einmal an seine Grenzen. Eindrücklich ist die Szene, wie die beiden die Zugfahrt unterbrechen müssen, weil sich Jason in seinen eigenen Regeln verheddert: Obwohl sich die Komponenten auf seinen Essenstellern nicht vermischen dürfen, bringt der Kellner im Zug Tomatensauce, die in die Nudeln hineinläuft. Eine Katastrophe, die zum Schreikrampf führt. Mirco will helfen und die Nudeln selbst essen, doch das widerspricht der Regel, dass man nichts von Jasons Teller nehmen darf. Und auch das Wegschmeißen funktioniert nicht, denn es darf kein Essen verschwendet werden. Als sich auch noch Mitreisende einmischen, eskaliert die Situation vollends.

Letztendlich kommen sich Vater und Sohn durch die Abenteuerfahrt näher. Jason wächst in manchen Momenten über sich hinaus und führt seinen Mitmenschen durch seine unbestechliche Logik ihre Defizite vor Augen. Er darf schließlich einmal die Woche im Wissenschaftszentrum zu Astrophysik forschen und auch mit den Mitschülern finden sich Möglichkeiten, wie ein Zusammenleben besser funktionieren kann. Dennoch bleiben Fragen offen, etwa jene von Mutter Fatime (Aylin Tezel): „Was ist, wenn keiner mehr eine Luftblase um ihn bildet?“

Nur ein Beispiel von vielen

„Das Dilemma im Alltag der Betroffenen ist gut dargestellt“, findet David Scheible vom Autismus Zentrum, „die Konflikte zwischen Jasons und seiner Familien-Umwelt können nicht gänzlich aufgelöst werden.“ Helen de Vries sieht aber auch eine Gefahr bei solch einem Film: Hier sehen die Menschen nur eine Form von Autismus, wodurch das Spektrum eine Art Stempel bekomme. „Es gibt aber auch Betroffene, die sich ganz anders verhalten“, sagt sie. Manchmal reiche die Symptomatik sogar so weit, dass gar nicht mehr auf Reize reagiert werde. De Vries wünscht sich, dass die Menschen nicht schnell über ein Gegenüber urteilen, sondern erst einmal versuchen zu verstehen, was hinter einem Verhalten steckt.

Mit dem Kreisbote-Newsletter täglich zum Feierabend oder mit der neuen „Kreisbote“-App immer aktuell über die wichtigsten Geschichten informiert.

Auch interessant

Kommentare