Der Amazon-Prime-Hit „Saltburn“: Über diesen Film diskutiert das Netz!
Emerald Fennells „Saltburn“ ist eine bitterböse Gesellschaftssatire. Bei Amazon Prime Video ist er ein Hit - zu Recht, sagt unsere Kritikerin.
Diese Frau hat’s einfach drauf. Die Schauspielerin Emerald Fennell bringt ihren zweiten Spielfilm heraus – und alle flippen aus. Es ist eine große Freude zu sehen, wie es der 38-Jährigen nach dem steinstarken #MeToo-Rachethriller „Promising young Woman“ (2020) nun wieder gelingt, uns brave moderne Biedermeier ein bisschen zu verstören.
In „Saltburn“, bei Amazon abrufbar und im Netz wegen mancher expliziter Szene gerade heftig diskutiert, nimmt sie uns mit in eine Welt, die ihr selbst gut vertraut sein dürfte. Regisseurin Emerald Fennell ist die Tochter des britischen Juweliers Theo Fennell, wegen seiner illustren Kundschaft auch bekannt als „King of Bling“. Die Figuren ihres Films würden bei ihrem Vater Klunker kaufen wie Kaugummi. Denn die Figuren ihres Films sind dekadent reich.

England, Mitte der 2000er-Jahre: Der unverschämt hinreißende Felix Catton (die Götter meinten es gut mit ihm: Jacob Elordi) verzückt an der University of Oxford alle mit seinem Charme und dem Habitus eines jungen Mannes aus höchsten Kreisen. Dieser sympathische Typ hat es nicht nötig, arrogant zu sein. Er tanzt mit anziehend leichtfüßiger Art durchs Leben, sicher auf jedem gesellschaftlichen Parkett – von Mahagoni bis Laminat. Sich seiner selbst bewusst, kann Felix es sich leisten, zu jedem freundlich, zugewandt zu sein. Diese Schwäche nutzt sein Kommilitone Oliver (der Ire begeisterte zuletzt in „The Banshees of Inisherin“: Barry Keoghan). Der ist optisch weniger von klassischer Schönheit gesegnet, ungelenk und unsicher. So scheint’s. Doch als Felix Oliver für einen Sommer auf das weitläufige Anwesen seiner Familie einlädt, zeigt sich nach und nach das wahre Gesicht dieses verhuschten Kerls.
„Saltburn“ ist eine bitterböse Gesellschaftssatire
Die finale Enthüllung sei „vorhersehbar“, meckern Kritiker. Stimmt. Doch das schmälert den Unterhaltungswert der bitterbösen Gesellschaftssatire nicht. Ihre Stärke ist, dass wir uns auch als Zuschauer der Faszination des vulgären Reichtums nicht entziehen können. Dass wir Felix am liebsten selbst zum Freund hätten, der so schön, so aufgeschlossen, so sensibel ist. Aber wie sich im Lauf des Films herausstellt, eben auch schrecklich naiv und – wenn es hart auf hart kommt – selbstgerecht und egoistisch. Nächstenliebe, das erzählt Emerald Fennell en passant, endet, wenn das geliebte Selbst Nachteile dadurch hat.
Die Regisseurin und Drehbuchautorin zieht sie alle durch den Champagner; die exzentrischen Gestalten, die in den edlen Hallen von Saltburn mittellose Gäste aufnehmen, zum eigenen Amüsement und um sich ihrer Großherzigkeit zu vergewissern. Köstlich karikaturesk spielen Rosamund Pike und Richard E. Grant Felix’ weltfremde Eltern. Aber Fennell verschont eben auch nicht die parasitären Nutznießer, die was vom Kuchen abhaben wollen – selbst wenn der gar nicht so doll schmeckt, wie er ausschaut.

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Klar ist das stilisiert, überdreht. Fennell reizt Klischees aus, provoziert mit Ekel-Szenen. Doch sie tut dies mit grandios aufgelegtem Ensemble, mit Sinn für atmosphärische Bilder und Kulissen, zwischen Patricia Highsmith, Oscar Wilde und F. Scott Fitzgerald. Hebt die Geschichte mit Popsongs der 2000er in eine Vergangenheit, die auch schon wieder länger her ist, als man meint, wie die Millennials beim Schauen des Films entsetzt feststellen – mit vor Nostalgie hüpfenden Herzen, angepumpt durch Hits wie „Time to pretend“ von MGMT (2007), „Mr. Brightside“ von The Killers (2003), „This modern Love“ von Bloc Party (2005) und „Murder on the Dancefloor“ von Sophie Ellis-Bextor (2001). Letzterer hat es durch den Film zurück in die britischen Charts geschafft.
So trifft Emerald Fennell werbewirksam den Nerv der Social-Media-starken Gruppe der Mittdreißiger. Kalkuliert? Die 1985 geborene Künstlerin will vielleicht einfach selbst ein bisschen Spaß haben. Den macht der Film. Und zeigt: Schlecht ist nicht das Geld. Schlecht ist der Mensch. Derjenige, der nicht gern einen Sommer lang träge am Schloss-Graben die Sommerfrische genießen würde, der werfe den ersten Edelstein.