FOCUS-Interview mit Christian Lindner - FDP-Chef: „Merz als Kanzler allein verspricht noch keinen Politikwechsel“
Herr Lindner, mit Rot-Grün sind Sie erst mal fertig. Warum halten Sie sich und die FDP als Koalitionspartner überhaupt noch für attraktiv?
Es geht doch nicht darum, anderen Parteien zu gefallen. Es geht um unser Land. Die FDP will Deutschland wirtschaftlich wieder auf die Erfolgsspur bringen. Denn das ist die Voraussetzung für alle sozialen und ökologischen Vorhaben. Wir haben ein konkretes, durchgerechnetes Konzept vorgelegt, was jetzt zu tun ist.
Sie meinen Ihren Wirtschaftsplan?
So ist es. Tausende Arbeitsplätze gehen verloren, wir werden beim Wachstum abgehängt. Unser Lebensstandard und unsere geopolitische Stärke werden zurückgehen, wenn wir nicht zu einer grundlegenden Neuausrichtung kommen. Die FDP hat unter Beweis gestellt, dass es uns ernst damit ist. Denn Deutschland bekommt keinen Aufschwung auf Pump. Wir müssen ihn uns erarbeiten. Dafür muss der Staat neue Freiräume geben und in der Klima- und Energiepolitik realistischer werden.
Selbst Friedrich Merz liebäugelt mittlerweile mit einer Lockerung der Schuldenbremse. Kann Ihnen nicht gefallen, oder?
Friedrich Merz wird nicht seine ökonomischen Überzeugungen über Nacht verändert haben. Zumindest vermute ich das. Hier geht es um anderes. Die Union rückt schon im Wahlkampf nach links, weil sie an Koalitionen mit SPD oder Grünen denkt. Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün wäre aber dasselbe wie Große Koalition oder Ampel. Ich bin der Überzeugung, dass unser Land seit 2013 zu stark links der Mitte regiert wurde. Friedrich Merz als Kanzler allein verspricht noch keinen Politikwechsel. Es kommt auf die FDP an.
Das heißt, die alten roten Linien der FDP blieben auch in einer neuen Regierung: keine Steuererhöhungen und Festhalten an der Schuldenbremse?
Ich habe mich für diese Überzeugungen am Ende auf die Straße setzen und herabwürdigen lassen. Die geben wir nicht auf. Mehr noch: Wir müssen die Steuern senken.
Da wäre doch auch bei Schwarz-Gelb der Zoff schon programmiert.
Natürlich sind Union und FDP nicht deckungsgleich. Aber in Nordrhein-Westfalen habe ich 2017 eine schwarz-gelbe Koalition gebildet, die gut gearbeitet hat.
„Büchse der Pandora“
Merz will die Schuldenbremse nicht mal aufheben, nur reformieren.
Wer mit linken Parteien über die Schuldenbremse verhandelt, öffnet die Büchse der Pandora. SPD und Grüne wollen die bei Intel gescheiterte Wirtschaftspolitik auf Pump fortsetzen. Arbeitsplätze sichert man aber nicht mit Subventionen für wenige politisch ausgesuchte Unternehmen, sondern mit weniger Bürokratie, bezahlbarer Energie, ohne Technologieverbote und mit geringerer Steuerlast für alle. Kurz gesagt: weniger Staatsverwaltungswirtschaft, mehr soziale Marktwirtschaft.
Die finanziellen Probleme werden doch aber noch größer. Ökonomen beziffern den Investitionsstau auf 600 Milliarden Euro. Auch in die Verteidigung wird man mehr investieren müssen. Wie soll das gehen – ohne neue Schulden?
Wir haben jedes Jahr fast eine Billion Euro Staatseinnahmen. Tendenz steigend. Deshalb: nicht mehr öffentliches Geld in die Hand nehmen, sondern mit dem bestehenden öffentlichen Geld besser umgehen!
Wo sehen Sie Einsparpotenziale?
Beim Bürgergeld müssen wir den fordernden Charakter der Arbeitsmarktpolitik stärken. Wer arbeiten kann, muss arbeiten. Die wirtschaftlichen Folgen der irregulären Migration belaufen sich auf Milliardenbeträge. Der Bürokratismus lähmt nicht nur, er kostet auch. Und wir zahlen Milliarden an ineffektiven Klimasubventionen. Ich sehe also große Chancen, um schnell zweistellige Milliardenbeträge zu generieren, die wir investieren können in die Bildung, die Bundeswehr, die Modernisierung unserer Infrastruktur und den Einstieg in den Ausstieg aus dem Solidaritätszuschlag.
Ampel: „Keine Kraft für den notwendigen Agenda-Moment“
Sie wirken deutlich kämpferischer als im Finanzministerium.
Als Finanzminister musste ich mit den Limitierungen einer Ampelkoalition leben, die sich in wesentlichen Fragen der Wirtschafts-, Finanz- und Klimapolitik im vergangenen Jahr blockiert hat. Da war keine Kraft für den notwendigen Agenda-Moment. Der ist enorm wichtig. Denn wenn die eigene wirtschaftliche Zukunft bedroht ist, wenden sich Menschen den politischen Rändern zu. Wir sollten unsere Lehren aus der Wiederwahl Donald Trumps ziehen. Wir brauchen also kein Demokratiefördergesetz, sondern die Wirtschaftswende.
Die FDP steht in Umfragen bei aktuell vier Prozent. Sind Sie überhaupt in der Position, die Union auf die Schuldenbremse einzuschwören?
In Umfragen befürwortet oft eine knappe Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger die Schuldenbremse. Es ist nur ein linkes Narrativ, wenn da ein Widerspruch zu Investitionen aufgemacht wird. Das merken viele Menschen.
Finanzminister in diesen Zeiten ist einer der stressigsten Jobs im Kabinett. Warum wollen Sie ihn trotzdem wiederhaben?
Das ist mein Angebot.Wer meine Politik richtig fand, kann sie wählen. Der Staat hat sich immer weiter ausgedehnt, dabei hat er paradoxerweise seine wichtigen Aufgaben vernachlässigt. Jetzt müssen wir Staat und Privat wieder in eine Balance bringen. Olaf Scholz hat im Bundestag allen Ernstes gesagt, er sei gegen ein Entweder-oder. Das ist die Entpolitisierung von Politik und führt zur Überforderung des Staates. Politik ist immer die Entscheidung über Prioritäten.
Aber wie wollen Sie wieder über die Fünf-Prozent-Hürde kommen?
Mit mutigen Konzepten. Und nicht mit Ausreden. Ausreden schaffen keinen Fortschritt.
Fühlen Sie sich jetzt befreit von den Koalitionsfesseln?
Ja, wenngleich das hammerhart war und ist. Der Vorteil ist immerhin, dass ich befreit an den Debatten teilnehmen kann. Mir hat seelisch zugesetzt, dass ich auf die Unzufriedenheit von Bürgern oder die Sorgen von Mittelständlern um den eigenen Betrieb immer nur ausweichend antworten konnte, um Koalitionsstreit zu vermeiden. Wir müssen aussprechen, wo wir als Land stehen.
Legen Sie los!
Wir haben kein Wachstum, aber leisten uns eine Klimadebatte darüber, welche Technologie wir schneller abschalten oder verschrotten können, obwohl die alle noch Wertschöpfung bringen. Beispiel Verbrennungsmotor. Ich bin deshalb dafür, dass wir das deutsche Ziel der Klimaneutralität bis 2045 durch das europäische Ziel 2050 ersetzen. In der Folge können wir alle Anforderungen zeitlich strecken und auf marktwirtschaftliche, technologieoffene Instrumente umstellen. Vom Heizungsgesetz bis zu den Flottengrenzwerten beim Auto. Das spart Milliarden. Die FDP ist die erste seriöse Partei, die dies artikuliert. Ich setze darauf, dass bald die CDU folgt, wenn man die Wirtschaftslage im Land genau analysiert.
Die FDP erklärte nach Ihrem Rauswurf als Finanzminister, Sie hätten das Land von der schlechtesten Regierung seit Kriegsende befreit. Warum zahlt das nach Umfragen nicht auf Ihr Konto ein?
Nein, das ist nicht unser Zitat. Die FDP hat angeboten, eine Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik zu erreichen oder gemeinsam und geordnet den Weg zu Neuwahlen zu bestreiten. Dies war nicht gewollt. Das Gute ist aber, dass jetzt die Bürgerinnen und Bürger die Richtungsentscheidung treffen können, zu der die Regierung Scholz nicht die Kraft hatte.
Haben Sie in der Ampel auch eigene Fehler gemacht?
Natürlich. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November 2023 hätte man den Koalitionsvertrag neu verhandeln müssen. Die Form des Weiterwurstelns hat nicht nur dem Land Zeit geraubt, sondern die Bürgerinnen und Bürger auch Nerven gekostet. Ich bedauere, dass ich nicht entschiedener die Wucht des Haushaltsurteils genutzt habe, nachdem das Scholz’sche Umbuchungsmanöver für verfassungswidrig erklärt worden ist.
Wären Sie für eine Jamaikakoalition mit Schwarz und Grün zu haben?
Wir müssen uns die Wahlprogramme genau ansehen. Es ist jetzt zu früh für Koalitionsaussagen.
Sowohl Liberale als auch Grüne haben bei der letzten Bundestagswahl viele junge Leute erreicht. Viele von denen haben sich aber wieder verabschiedet – ausgerechnet in Richtung AfD und BSW. Woran liegt das?
Wirtschaftliche Sorgen, Angst um die eigene Sicherheit infolge der ungeordneten Migration und die Sorge, dass man nicht mehr seine Meinung sagen kann. Das sind drei der Topthemen bei den Jüngeren. Und die werden wir aktiv ansprechen. Übrigens kommt auch das von uns entwickelte Altersvorsorgedepot bei Jüngeren gut an, also dass man steuerlich begünstigt den eigenen Aktiensparplan für die Altersvorsorge nutzen kann.
„SPD und Grüne wollen in Wahrheit nichts ändern“
Wie gewinnt man denn jetzt die nächste Wahl?
Wir werden thematisieren, dass Deutschland eine Wende braucht. Sehr grundlegend. SPD und Grüne wollen in Wahrheit nichts ändern. Aber Aufschwung schafft man nicht auf Pump. Aufschwung hat etwas zu tun mit Leistungsbereitschaft, Erfindergeist und Respekt für unternehmerisches Risiko. Auf der anderen Seite sehen wir eine Union, die einfach nur regieren will. Dafür ist sie schon vor Koalitionsverhandlungen zu Lockerungsübungen Richtung Rot-Grün bereit.
Je länger dieses Interview dauert, umso unbeliebter machen Sie sich bei der Union.
Man muss sagen, wo man steht. Die Union kämpft für sich, wir kämpfen umgekehrt auch für unsere Positionen.
Die FDP ist keine Volks-, sondern eine Klientelpartei. Ihre Anhänger sind nicht unbedingt repräsentativ für die Gesamtbevölkerung, oder?
Wer soll denn unsere Klientel sein?
Selbstständige, Unternehmer, leitende Beamte.
Vor denen haben wir großen Respekt, aber dennoch habe ich eine Willy-Brandt-Haus-Argumentation wie Ihre lange nicht mehr gehört. Die FDP wendet sich an freiheitsliebende Menschen, die bereit sind, für sich und ihre Familien Verantwortung zu übernehmen, statt alles an den Staat zu delegieren. Die sich mit eigener Leistung etwas aufbauen wollen im Leben. Die großzügig und tolerant anderen gegenüber sind und offen für Neues. Das ist unsere Klientel. Diese Haltung gibt es bei beiden Geschlechtern, in allen Berufen und allen Altersklassen.
Nach Rudolf Scharping und Norbert Röttgen sind Sie nun der dritte Minister in der Geschichte der Bundesrepublik, der rausgeworfen wurde. Wenn man Sie so reden hört, könnte man auf die Idee kommen: Sie erleben den Rausschmiss wie eine Beförderung.
Ich bin entlassen worden, weil ich mich nicht politisch unterwerfen wollte. Man mag das beurteilen, wie man will. Ich kann jedenfalls in den Spiegel schauen. Keine Wirtschaftswende, aber Schuldenbremse aufheben – wenn ich dem zugestimmt hätte, wäre ich weiter Minister-Dienstwagen gefahren. Aber ohne Würde.
Müssen Sie sich jetzt nicht jeden Morgen selbst mit Ihrem Porsche durch den Verkehr nach Berlin-Mitte quälen und einen Parkplatz suchen?
Klingt ein bisschen hämisch. Privat habe ich das sowieso immer gemacht, aber als Parteivorsitzender habe ich im Wahlkampf weiter logistische Hilfe, keine Sorge.
Was meinten Sie konkret, als Sie nach dem Rauswurf sagten, Sie fühlten sich auf der Straße wohl?
Ich bin leidenschaftlicher Wahlkämpfer. Ich fühle mich wohl, draußen auf der Straße zu sein bei den Bürgerinnen und Bürgern und mit ihnen zu diskutieren. Das ist ja mit ein Grund, warum ich Politik mache. Ich mag Menschen. Ich will wissen: Wie sehen die auf die Dinge? Und ich will versuchen, sie für meine Perspektive zu gewinnen.
Täuscht unser Eindruck, oder sind die Debatten in den vergangenen Jahren generell härter geworden?
Das hat sich zweifelsohne durch die Corona-Zeit in Deutschland noch stärker polarisiert. Erst durch die Merkel’sche Migrationspolitik, dann durch die Pandemie – und dann nochmals durch das Heizungsgesetz und anderes. Meine Sorge: 2025 kommt Schwarz-Grün, die machen weiter wie bisher. Und 2029 wäre dann die CDU auch kaputt. Dann haben wir niederländische Verhältnisse.
Nicht nur Robert Habeck und Ricarda Lang werden mit Häme überschüttet, auch Sie. Nach dem Ampel-Aus kursierte das Lindner-Meme als „Deutschlands frechster Arbeitsloser“. Prallt das einfach an Ihnen ab?
Ja, sehr weitgehend. Solche Verwünschungen beziehen sich auf meine Funktion. Mich als privaten Charakter kennt nur mein persönliches Umfeld. Von den Hatern kennt mich ja keiner, wie ich zu Hause unpolitisch auf der Couch sitze.
Sitten „rauer geworden“
Ist auch schwer vorstellbar.
Ich beobachte viel Häme, nicht nur in sozialen Medien, auch von politischen Mitbewerbern. Da sind die Sitten rauer geworden. Die arbeiten sich ab an einem teilweise konstruierten Image.
Wird der Wahlkampf schmutzig?
Ich erwarte einen harten Wahlkampf. Die SPD hat ja schon mit einer Kampagne begonnen, um die FDP massiv zu beschädigen. Da wird ein Vergleich zu 1982 konstruiert. Das Ziel ist klar. Nämlich ablenken davon, dass man konzeptionell blank auf die Wirtschaftslage schaut.
Auch Ex-Kanzlerin Angela Merkel hat Scholz für seine giftige Rede zu Ihrem Rauswurf kritisiert. Es sei zwar menschlich, dass Politiker auch mal emotional reagieren. Sie selbst hätte aber lieber die Wand in ihrem Büro angeschrien. Wie gehen Sie mit Ihrer Wut auf Scholz um?
Ich habe keine Wut. Herr Scholz hat entschieden, wie er seine Kanzlerschaft beenden will.
Zumindest ist er Ihrem Ausstieg aus der Ampel wohl zuvorgekommen, indem er Sie als Finanzminister mit dem Rauswurf öffentlich gedemütigt hat. Wie fühlt sich die neu gewonnene Freiheit denn nun an?
Es ist jedenfalls nicht mehr dieser Verschleiß, Kompromisse zu schließen, die der Lage im Land irgendwann nicht mehr gerecht wurden. Das war extrem kräftezehrend. Jetzt wieder sagen zu können, was man denkt, ohne Angst vorm nächsten Koalitionsstreit zu haben – das empfinde ich als befreiend.
Sie waren erst 34 Jahre alt, als Sie 2013 den Vorsitz der FDP übernommen haben. Die Partei ist inzwischen total auf Sie als Parteichef zugeschnitten. Es gibt immer noch niemanden, der sich als Nachfolger positioniert.
Wir haben ganz viele Führungspersönlichkeiten. Auch als ich Parteichef wurde, sagte übrigens niemand: „Endlich ist Herr Lindner da!“ Niemand hat damals einen Pfifferling auf die FDP und ihr Comeback gesetzt oder mich als Person ernst genommen. Das muss sich jeder erarbeiten.
„Ich bin voll von Plan A überzeugt“
Haben Sie eigentlich einen Plan B, falls es die FDP nicht mehr in den Bundestag schafft?
Ich bin voll von Plan A überzeugt.