Memmingen stand am 24. Mai ganz im Zeichen des Bündnisses für Demokratie und Menschenrechte, das ein buntes Programm rund um das Jubiläum „500 Jahre Zwölf Artikel“ organisierte. Den Abschluss bildete der Vortrag „Die Natur ist kein Parteimitglied“ von Prof. Harald Lesch.
Memmingen – Zwar fiel die „FREIheitstafel“, die tagsüber die Maximilianstraße in eine lange Tafel der Begegnung verwandeln sollte, buchstäblich ins Wasser, dafür war der inhaltliche Abschluss des Tages mit dem Vortrag des renommierten Wissenschaftsjournalisten, Astrophysikers und Fernsehmoderators Harald Lesch umso inspirierender.
Die Aula der FOS/ BOS, die Platz für 500 Personen bot, war bis auf den letzten Stuhl restlos gefüllt. Sehr zur Freude der Veranstalter, die mit der Wahl des bekannten Wissenschaftlers eine glückliche Hand bewiesen. Bündnissprecher Rupert Reisinger begrüßte die Gäste und gab einen kurzen Einblick in die Geschichte des Bündnisses für Menschenrechte und Demokratie, das 2015 gegründet wurde und heute aus 22 Organisationen und einigen Einzelpersonen besteht.
Reisinger ging kurz auf die Vita von Harald Lesch ein. Dieser sei unter anderem Professor für Astrophysik an der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie Lehrbeauftragter für Naturphilosophie an der Hochschule für Philosophie München. Er freue sich ebenso wie Hausherr und Schulleiter Thomas Hottner über das rege Besucherinteresse.
Harald Lesch konfrontierte zu Beginn seines rund einstündigen Vortrags die Gäste gleich mit einigen unangenehmen Fakten und betonte dabei, dass sein Vortrag datenbasiert sei und die Gesetze der Natur nicht verhandelbar sind. Er charakterisierte den Klimawandel in nur 20 Worten: „Er ist real; wir sind die Ursache; er ist gefährlich; die Fachleute sind sich einig; wir können noch etwas tun.“
Eine zentrale Herausforderung sieht Lesch in der steigenden Erderwärmung. Stand Anfang 2025 sei die Erde bereits 1,62 Grad Celsius wärmer als im Mittel. Besonders alarmierend sei darüber hinaus die Beschleunigung: Die aktuelle Heizrate beträgt 0,26 Grad Celsius pro Jahrzehnt. In den 1980er Jahren waren es nur 0,06 Grad pro Jahrzehnt – die Rate habe sich also mehr als vervierfacht! Und: „Europa ist der Kontinent, der sich am schnellsten erwärmt“, zitiert Lesch aus dem jüngsten Bericht des EU-Klimawandeldienstes Copernicus.
Auch das bayerische Landesamt für Umwelt (LfU) warne vor einer zunehmenden Erwärmung des südbayerischen Hügellandes. Diese Erwärmung habe gewaltige Auswirkungen auf die Menschen. Direkte Effekte umfassen laut Lesch gesundheitliche Probleme durch Stürme, Dürren, Feuer, Fluten und vor allem Hitzewellen. Die Grenzen menschlicher Wärmeregulierung rücken hierbei in den Fokus.
Indirekte Effekte reichen von schlechter Wasserqualität über neue Erreger und Vektoren bis hin zu mangelnder Nahrungsmittelsicherheit und psychischen Erkrankungen. Hinzu kommen soziale Faktoren wie Armut, alternde Gesellschaften, gewaltsame Konflikte und erzwungene Migration, die das Gesundheitssystem zusätzlich überlasten können.
Lesch fasste die Auswirkungen mit der Einschätzung der Lancet Commission on Climate Change and Health aus dem Jahr 2019 zusammen: „Der Klimawandel ist die größte Bedrohung für unsere Gesundheit in diesem Jahrhundert“, so Lesch. Aber er habe auch ökonomische Wirkungen. So habe sich der Zeitraum zwischen einzelnen Naturkatastrophen, die jeweils mehr als eine Milliarde Euro Schäden verursachen, seit 1980 mit 75 Tagen im Jahr 2020 auf nur mehr 18 Tage verkürzt.
Lesch ging aber in seinem Vortrag auch auf Lösungsansätze ein; denn die Aufgabe der heutigen Gesellschaft müsse es sein, die Voraussetzungen für das Überleben der kommenden Generationen zu schaffen.
In der notwendigen Energiewende sieht Lesch nur positive Effekte wie weitgehende Energieunabhängigkeit, ein resilientes Energiesystem, regionale Wertschöpfung, die Begrenzung des Klimawandels, was gleichbedeutend ist mit dem Erhalt der Bewohnbarkeit unseres Planeten, eine weitgehende Reduzierung der Gesundheitsrisiken durch Luftschadstoffe, die Begrenzung der Hitzerisiken und eine positive Wirkung auf Ökosysteme.
Ein Weg dorthin sei die Bildung von resilienten Akteursbündnissen, was auch zur Stärkung von Demokratie führe. Es gehe immer um Haltung und Verantwortung versus Verdrängen und Verleugnen. Lesch forderte einen Strukturwandel.
„Aus der fossilen Industriegesellschaft muss eine nachhaltige Industriegesellschaft werden, mit einer Wende zu 100 Prozent regenerativer Energie und zu 100 Prozent Recycling der Ressourcen“, so Lesch. Dabei spiele auch die Umstellung der Energiegewinnung auf Photovoltaik und Wind, die sogenannte „Vierte Revolution“, eine entscheidende Rolle.
Nach Lesch überholen PV und Wind bei der Nutzenergie das Öl in drei bis fünf Jahren. Deshalb sei die Elektrifizierung von Mobilität und Wärme Teil der Lösung und könne uns Milliarden für Brennstoffimporte einsparen. Deutschland gebe jährlich rund 100 Milliarden Euro für Energieimporte aus. Über 65 Prozent der Energieimporte gingen jedoch als Abwärme verloren. Das allein waren über 41 Milliarden Euro im Jahr 2024.
Das Geld nicht in Elektrifizierung zu investieren, scheine laut Lesch angesichts dieser Zahlen eine verpasste Chance. „Der zentrale Game Changer dahinter ist die industrielle Massenfertigung und die Dezentralität. Im Gegensatz zum Bau zentraler Großkraftwerke (circa zehn Stück/Jahr), ermöglicht die Massenfertigung kleinerer Komponenten (circa 100.000 Stück/Jahr) eine ganz andere Skalierung und einen gleichzeitigen Ausbau an vielen Orten“, resümierte Lesch. Hinzu komme, dass der enorme Zuwachs im globalen PV-Markt von 226 GW in 2022 auf 413 GW in 2023 zu einer Selbstverstärkung des Preisverfalls bei PV, Wind und Batterien führe.
Lesch beendete seine Ausführungen mit der Beantwortung von Publikumsfragen.
Mit dem Kurier-Newsletter täglich zum Feierabend und mit der neuen „Kurier“-App immer aktuell über die wichtigsten Geschichten informiert sein. Besuchen Sie den Memminger KURIER auch auf Facebook!