Merz‘ erster EU-Gipfel – Experte sieht Kanzler als falschen Mann: „Schießt aus der Hüfte“
Merz‘ EU-Gipfel-Premiere: In Brüssel wird es auch um den Umgang mit Israel gehen. Omer Bartov kritisiert: Der Kanzler „hat sich nicht für das Völkerrecht eingesetzt“.
Brüssel – Der Bundeskanzler feiert seine nächste Premiere: Der EU-Gipfel am Donnerstag (26. Juni) ist das erste Treffen des Europäischen Rates, an dem Friedrich Merz als Kanzler teilnimmt. In Brüssel kommen Staats- und Regierungschefs der EU-Länder zusammen, um unter anderem über die Entwicklungen im Nahen Osten und die weitere Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen Russland zu beraten.
Friedrich Merz‘ erster EU-Gipfel: Partnerschaftsabkommen mit Israel auf der Tagesordnung
In Bezug auf den Umgang mit Israel herrscht unter den EU-Spitzen Uneinigkeit. EU-Mitgliedstaaten wie Spanien plädieren aufgrund von Israels Vorgehen im Gazastreifen dafür, ein Partnerschaftsabkommen zwischen EU und Israel auszusetzen. Deutschland sieht das anders: „Ein Außerkraftsetzen oder gar eine Kündigung dieses Abkommens kommt mit der Bundesregierung nicht infrage“, sagte Merz.
Bezüglich der Lage im Nahen Osten sei die Haltung des Kanzlers inkonsistent, kritisiert Omer Bartov, Geschichtsprofessor an der Brown-Universität. Im Interview mit der Berliner Zeitung erklärte Bartov, er habe Merz‘ Politik „noch nie richtig verstanden“. Merz, so der Historiker, „scheint seine Ansichten aus der Hüfte zu schießen, und das ist nicht die Art von Führer, wie Europa ihn derzeit braucht“.
Historiker kritisiert Merz‘ Israel-Aussagen: „Hat sich nicht für Völkerrecht eingesetzt“
Seine Kritik begründete der israelische Historiker mit Äußerungen des Kanzlers in Bezug auf Israel und den Krieg im Nahen Osten: „Erst sagte er, dass er Netanjahu trotz eines internationalen Haftbefehls nach Deutschland einladen würde. Dann kritisierte er die israelische Politik in Gaza. Dann sagte er, Israel mache im Iran die ‚Drecksarbeit für uns‘.“ Merz spreche darüber, Deutschland wiederzubewaffnen, „hat sich aber, soweit ich das gesehen habe, nicht für die Menschenrechte und das Völkerrecht eingesetzt“.

Bartov übt immer wieder scharfe Kritik an der israelischen Regierung. In einem Interview mit der Frankfurter Rundschau hatte der Historiker im Februar erklärt, Deutschland verknüpfe seine historische Verantwortung für die Verbrechen des Holocausts fast ausschließlich mit der Unterstützung Israels. „Aber die eigentliche Lehre aus dem Holocaust müsste sein, das internationale Völkerrecht zu schützen, das nach 1945 geschaffen wurde, um zukünftige Völkermorde zu verhindern“, so der israelische Genozid- und Holocaust-Forscher. „Doch wenn Israel selbst gegen das Völkerrecht verstößt, gerät Deutschland in ein Dilemma.“
Kanzler Merz bei EU-Gipfel in Brüssel: Gespräche über Israel-Iran-Krieg und Lage im Gazastreifen
Insbesondere die humanitäre Lage im Gazastreifen rief zuletzt lauter werdende Kritik an Israels Regierung auf die Tagesordnung. Beim EU-Gipfel in Brüssel wird daher wohl auch die katastrophale Versorgungslage Thema sein. Ein Prüfbericht – im Auftrag der EU-Außenminister – ergab zuletzt, dass Israel mit seinem Vorgehen im Gazastreifen gegen festgelegte Grundsätze für eine enge Zusammenarbeit mit der Staatengemeinschaft verstößt. Zu diesen gehört, dass die Beziehungen zwischen den Vertragsparteien auch auf der Achtung der Menschenrechte beruhen.
Für die Regierungen der Länder und die EU stellt sich die Frage, ob und wie sie auf die Analyse reagieren. Die Optionen reichen vom Aussetzen des derzeitigen Partnerschaftsabkommens bis hin zu wirtschaftlichen Sanktionen. So könnten etwa Zollerleichterungen aufgehoben und Israels Zugang zum EU-Forschungsförderungsprogramm Horizon blockiert werden.
In Hinblick auf die Situation im Nahen Osten dürfte am Donnerstag jedoch nicht nur über die Fortsetzung eines Partnerschaftsabkommens zwischen der EU und Israel diskutiert werden. Auch die jüngsten Entwicklungen im Krieg zwischen Israel und dem Iran sollen Thema sein – Europas Rolle scheint dabei begrenzt. (pav/dpa)