Stuttgarterin gibt Mandat ab - Grüne Stadträtin wirft hin und rechnet heftig ab: „Eine Verhöhnung aller Menschen“
Auch in der Landespolitik gibt es nun einen Rücktritt bei der Grünen Jugend. In Baden-Württemberg. Die frühere Sprecherin Alicia Böhm, die von der Ökopartei bei der Kommunalwahl am 9. Juni auf den sicheren Listenplatz 3 angetreten war, ist aus der Partei ausgetreten und hat ihr Stadtratsmandat niedergelegt. Das teilten die Fraktionssprecher Petra Rühle und Björn Peterhoff per Pressemitteilung mit.
Stuttgarterin gibt Mandat ab
Man bedauere den Austritt und die Abgabe des Mandats, Böhms Weggang sei ein „großer Verlust“, aber „eine weitere Zusammenarbeit ohne Parteimitgliedschaft wäre für die Fraktion nicht denkbar gewesen“, heißt es.
Man respektiere die Entscheidung. Die Rückgabe des Mandats geschehe auf der Grundlage des Paragraf 16 der Gemeindeordnung. Dort heißt es, dass ein Bürger sein Ausscheiden verlangen kann, wenn er aus der Partei ausgeschieden ist.
Böhm (26) war vor der Kommunalwahl Sprecherin der Grünen Jugend Stuttgart und frauenpolitische Sprecherin des Kreisverbands. Sie arbeitet an einer Werkrealschule und studiert Soziale Arbeit. Im Gemeinderat wollte sie „die Stimmen junger Menschen vertreten, die sonst eher weniger gehört werden“.
Auf Instagram hat Böhm erklärt, dass ihr die „aktuelle Entwicklung der Partei keine Wahl“ lasse. Dafür ernte sie viel Verständnis, aber auch Kritik von Wahlhelfern und Parteigängern, die die Politik der Grünen im Bund nicht mit der im Gemeinderat gleichsetzen wollen. Böhm gebe eine privilegierte und gestaltende Position auf, er fühle sich „etwas benutzt“, so ein Wahlhelfer.
Der angekündigte Rücktritt der Sprecher Ricarda Lang und Omid Nouripour samt des gesamten Bundesvorstands Ende September nach Wahlniederlagen in östlichen Bundesländern hatte zu Rücktritten bei der Grünen Jugend und Austritten geführt. Kritisiert wird der Kurs der Partei beim Thema Migration und Asylrecht, aber auch in der Sozial- und Klimapolitik.
„Die Richtung der Grünen ist nicht mehr tragbar“
Auf Anfrage unsere Zeitung schildert Böhm ihre Beweggründe für den Schritt. Der Zeitpunkt stehe „in keinem Zusammenhang mit dem Rücktritt des Bundesvorstands der Grünen Jugend“. Erste interne Gespräche habe sie bereits zuvor geführt.
„Die Richtung, in die sich die Grüne Partei aktuell entwickelt, ist für mich nicht mehr tragbar“, so Böhm.
Dabei gehe es nicht um die vielen Kompromisse in der Bundesregierung, sondern um „die Veränderung der grundsätzlichen Haltung der Parteispitze, vieler Mandatsträger*innen und einem großen Teil der Mitgliedschaft“.
Böse Kritik: Grüne rücken immer weiter nach rechts
Die Grünen rückten „immer weiter nach rechts“, teilten Sprache und Inhalte der AfD zumindest teilweise und rechtfertigten dies mit der Verteidigung der Demokratie.
Böhm: „Das ist eine Verhöhnung aller Menschen, die sich tagtäglich bei ihrer Arbeit und im Ehrenamt tatsächlich gegen Rechts und für Menschenrechte engagieren.“
Die Konsequenzen unsozialer Politik, besonders Asylpolitik, könne sie vor sich selbst „und schon gar nicht vor den Betroffenen“ rechtfertigen. Die Kandidatur von Franziska Brantner als Bundesvorsitzende der Grünen „und die Tatsache, dass kritische Stimmen durch das Ausspielen von Machtdynamiken eingeschüchtert werden sollen, zeigt, in welche Richtung sich die Partei entwickeln möchte: Weiter weg von ihren ursprünglichen Werten und weiter weg von dem, für was viele in die Partei eingetreten sind.“
"Ohne Parteimitgliedschaft" keine Zukunft in der Franktion
Die Grünen im Gemeinderat hätten sich mehrheitlich dazu entschieden, „ohne Parteimitgliedschaft nicht weiter mit mir in der Fraktion arbeiten zu wollen“. Ein konsequentes Einstehen für die eigenen Werte sei offensichtlich nicht erwünscht.
Man habe ihr daher nur die Option gelassen, ihr Mandat abzugeben. Eine Mitnahme des Mandats in eine andere Fraktion halte sie für falsch.
Andrea Münch folgt nach
In Stuttgart wird für Alicia Böhm die langjährige Stadträtin Andrea Münch (58) folgen. Die Rechtsanwältin lebt in Bad Cannstatt und hatte bei der Wahl 62 875 Stimmen gesammelt, womit sie Platz 15 erreichte. Böhm errang mit 89.091 Stimmen Platz vier.
Von Konstantin Schwarz