„Ich saß im Krankenwagen und war fassungslos“: Mutter (31) schildert Odyssee mit verletztem Kleinkind

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Im Rettungswagen nach München: Nachdem die Kliniken in Agatharied und Bad Tölz die Aufnahme eines verletzten Kleinkindes aus Greiling abgelehnt hatten, ging die Fahrt bis nach München-Schwabing. (Symbolbild) © Nicolas Armer/DPA

Ein zweijähriges Kind zieht sich eine blutende Verletzung zu. Doch in den Kliniken in Bad Tölz und Agatharied wird das Kind nicht aufgenommen. Die Mutter übt in den Sozialen Medien Kritik.

Greiling/Bad Tölz – Für die Greilingerin Marie Hörmann (31) und ihre kleine Tochter war es eine Extremsituation: Als sich das zweijährige Mädchen vor einigen Wochen eine blutende Verletzung zuzog, begann für Mutter und Kind eine stundenlange Odyssee, bis endlich ein Arzt in München den Fall abklärte. In mehreren Notaufnahmen der Region fanden sie keine Aufnahme. Marie Hörmann machte ihre Erfahrungen in den Sozialen Medien öffentlich und spricht dort von einem „Armutszeugnis für das Gesundheitssystem“. Vonseiten des BRK sowie der Kliniken in Bad Tölz und Agatharied hingegen heißt es: Im vorliegenden Fall habe es Vorrang gehabt, eine Klinik mit der richtigen Fachabteilung zu finden.

Greiling: Kind rammt sich Stäbchen in Gaumen

Im Gespräch mit unserer Zeitung schildert Marie Hörmann die Ereignisse an einem Tag Ende November. Da habe die Zweijährige ein Katzenspielzeug in den Mund genommen: ein Stäbchen, an dem eine Spielzeug-Maus befestigt war. In dieser Situation sei die Kleine gestolpert und habe sich das Stäbchen in den Mund gerammt. „Es hat megastark geblutet“, sagt Marie Hörmann. Zu Hilfe geeilt sei dann auch ihre Schwester. Die Frauen wählten den Notruf.

Als ein Rettungswagen da war, „meinte der Sanitäter, dass wir meine Tochter ins Krankenhaus bringen müssen, um abzuklären, ob die Wunde genäht werden muss oder sogar eine Operation nötig ist“, schildert Marie Hörmann. Zuvor habe der Sanitäter telefonisch bei den anzusteuernden Kliniken angefragt. Als Erstes aber gab es eine Absage aus dem Krankenhaus Agatharied, „weil sie voll waren“, so Hörmann. Auch die Tölzer Klinik habe die Familie nicht aufgenommen, weil es dort keinen Kinderarzt gebe. Die dritte abschlägige Antwort sei aus Rosenheim gekommen.

Entwarnung im Krankenhaus erst nach Stunden

„Ich saß im Krankenwagen und war fassungslos“, so die 31-jährige Mutter. „Zum Glück waren die Sanitäter sehr, sehr lieb, und ich durfte meine Tochter im Arm halten.“ Auch die Blutung hatte sich zu dem Zeitpunkt etwas beruhigt. Dennoch kam Mutter und Kind die halbe Stunde, die sie nun im Krankenwagen saßen, wie eine Ewigkeit vor.

Übt Kritik: Marie Hörmann aus Greiling hätte sich nach der Verletzung schnellere und wohnortnahe ärztliche Hilfe gewünscht.
Übt Kritik: Marie Hörmann aus Greiling hätte sich nach der Verletzung ihrer kleinen Tochter schnellere und wohnortnahe ärztliche Hilfe gewünscht. © privat

Schließlich gab es doch noch eine positive Antwort – und zwar aus München-Schwabing. „Dorthin sind wir mitten im Feierabendverkehr eine Dreiviertelstunde im Krankenwagen gefahren“, so Hörmann. Nach der Wartezeit in der Kinder-Notaufnahme habe ein Doktor in den Mund des Mädchens geschaut und befunden, dass ein HNO-Arzt gefragt war. Mutter und Tochter mussten sich im großen Klinikkomplex in einen ganz anderen Bereich begeben, zur, so Hörmann, „komplett vollen“ Erwachsenen-Notaufnahme. Der dortige HNO-Arzt habe ein Foto der Verletzung gemacht, einer Chefärztin geschickt und von dort die Rückmeldung bekommen: „Das können wir nicht machen, das Kind muss an eine andere Klinik.“

Anzusteuern ist „nächstgelegene adäquate Klinik“

Die Reise ging weiter zum Klinikum rechts der Isar, wo es eine Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie (MKG) gibt. Nach einer weiteren Stunde Warten in der Notaufnahme gab ein dortiger Spezialist schließlich Entwarnung. Da sei es schon „mitten in der Nacht“ gewesen. „Die Blutung hatte aufgehört, es musste nichts gemacht werden, wir sollten nur am nächsten Tag zur Kontrolle wiederkommen.“

Warum war für Familie Hörmann eine solche Strapaze nötig? Das prinzipielle Vorgehen erklärt Sohrab Taheri-Sohi, Pressesprecher der Landesgeschäftsstelle des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK), die auch die Integrierte Leitstelle Oberland betreibt. Die Sanitäter vor Ort würden zunächst eine Arbeitsdiagnose feststellen – hier gebe es für verschiedene Erkrankungen verschiedene Zahlencodes. Zudem gebe es unterschiedliche Stufen der Dringlichkeit. Beides werde an die Leitstelle weitergegeben. Die Datenbank „Ivena“ spucke dann aus, welche Klinik passende Kapazitäten und Kompetenzen habe. „Mit einem Kind wird man zum Beispiel keine Klinik anfahren, die keine Pädiatrie hat, und mit einem Schlaganfallpatienten keine Klinik ohne Neurologie“, so Taheri-Sohi. Die Devise laute: Anzusteuern sei „die nächstgelegene adäquate Klinik“. Im Fall von Marie Hörmann und ihrer Tochter habe das System als erste Anlaufstelle die Klinik in Schwabing angegeben.

Sprecher von Kliniken in Bad Tölz und Agatharied nehmen Stellung

Im Einzelfall versuchen Sanitäter laut dem BRK-Sprecher aber auch, andere Erwartungen und Wünsche der Patienten oder Angehörigen zu berücksichtigen, etwa nach einem wohnortnahen Krankenhaus. Deswegen habe die Besatzung des Rettungswagens die Leitstelle gebeten, zunächst die Kliniken in Bad Tölz und Agatharied anzufragen.

Ein Sprecher der Asklepios-Stadtklinik in Bad Tölz bestätigt, dass die Anfrage des Rettungsdienstes „dazu diente, auf kurzem Wege eine adäquate Lösung für den speziellen Fall zu finden“. Er betont aber auch: „Eine Pfählungsverletzung im Gaumenbereich, insbesondere bei einem kleinen Kind, erfordert eine präzise und interdisziplinäre medizinische Betreuung. In einem solchen Fall sind drei Fachbereiche involviert – Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kindermedizin sowie Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie.“ Es sei von entscheidender Bedeutung, eine spezialisierte Einrichtung hinzuzuziehen, die eine optimale Versorgung sicherstellen kann. Die Tölzer Klinik aber betreibe keine Abteilung für Kinderheilkunde.

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Der Kliniksprecher hebt hervor, dass die Erstversorgung durch die Rettungskräfte schnell und fachgerecht erfolgt sei: „Bereits zehn Minuten nach dem Notruf war medizinisches Personal vor Ort, sodass das Kind stabil und gut versorgt werden konnte.“ Die Situation sei „zu jeder Zeit unter Kontrolle“ gewesen. Der Sprecher weiter: „In einer kontrollierten Lage wie dieser ist es unser Ziel, die bestmögliche Versorgung für den Patienten zu organisieren – sei es durch unsere Klinik oder durch die Vermittlung an eine geeignete Einrichtung.“

Eine Sprecherin des Krankenhauses Agatharied äußert sich auf Anfrage unserer Zeitung ähnlich. „Wir bedauern sehr, dass die Eltern und das verletzte Kind den Vorfall so erleben mussten“, sagt Nina Lutz. Die Klinik habe das Kleinkind aber nicht aufnehmen können. „Verletzungen im Mund-Rachenbereich dürfen ausschließlich von Ärzten der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie behandelt werden“, so die Sprecherin. „Diese Abteilung haben wir in unserem Krankenhaus nicht.“

Bei Lebensgefahr wären die Abläufe anders gewesen

Nina Lutz räumt auf Rückfrage aber auch ein, dass generell Patienten wegen mangelnder Kapazitäten abgelehnt werden können. Dazu gebe es eine einheitliche Richtlinie. „Wenn unsere Notaufnahme voll ausgelastet ist, melden wir ein sogenanntes Overcrowding an die Rettungsleitstelle“, so die Sprecherin. „Dies ist der Fall, wenn wir neu ankommende Patienten aufgrund der hohen Auslastung nicht optimal versorgen können. Nehmen wir dennoch Notfallpatienten an und es kommt zu einer unzureichenden Versorgung oder Nichteinhaltung vorgegebener Standards, machen wir uns strafbar. Zudem ist dies natürlich auch in keinem Fall unser Anspruch, wir wollen unsere Patienten immer in höchster Qualität versorgen.“

Sowohl der Sprecher der Tölzer Klinik als auch BRK-Sprecher Taheri-Sohi stellen derweil klar, dass die Abläufe anders gewesen wären, hätte es sich um eine lebensbedrohliche Situation gehandelt. „Dann wäre natürlich die nächstgelegene Klinik zur Stabilisierung angefahren und das Kind dann später in die MKG weiter verlegt worden“, so der Asklepios-Vertreter. In einer kritischeren Lage wäre zudem gleich von Beginn an ein Kindernotarzt hinzugezogen worden, so Taheri-Sohi. In lebensbedrohlicher Lage wäre es auch möglich gewesen, einen Hubschrauber zu bestellen Das Resümee des Tölzer Klinik-Sprechers lautet: „Wir verstehen, dass die Situation für die Familie belastend war. Letztlich hat unser Gesundheitssystem gemeinsam dazu beigetragen, dem Kind die bestmögliche medizinische Versorgung zu bieten.“

Marie Hörmann ist erleichtert, dass der Fall medizinisch glimpflich endete. Dennoch bleibt sie bei ihrer Kritik: In Deutschland müsse eine wohnortnahe, schnellere medizinische Hilfe möglich sein. (ast)

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