So könnte sich die EU aus der Orbán-Blockade befreien

  1. Startseite
  2. Politik

Kommentare

Beim Geld blieb Viktor Orbán hart. © IMAGO/JONAS ROOSENS

Europa-Experte Lang im Interview über Wege aus dem Einstimmigkeitsprinzip: „Einzelne Länder einfach umgehen“.

München – Schon seit Jahren wird in der EU darüber diskutiert, das Einstimmigkeitsprinzip abzuschaffen – es garantiert, dass viele Entscheidungen nur bei Zustimmung aller 27 Mitgliedstaaten getroffen werden. So konnte der ungarische Regierungschef Viktor Orbán die Finanzhilfe für die Ukraine blockieren. Kai-Olaf Lang ist Europa-Experte an der Stiftung Wissenschaft und Politik. Im Interview erklärt er, wie sich das Einstimmigkeitsprinzip umgehen lässt.

Herr Lang, Orbán nutzt sein Vetorecht zur Erpressung. Sollte sich die EU vom Einstimmigkeitsprinzip verabschieden?

Das ist nicht so einfach. Die EU ist eine Kompromissmaschine. Ziel ist ja eigentlich, dass die Mitgliedstaaten bei wichtigen Entscheidungen gemeinsam Stellung beziehen. Auf der anderen Seite besteht natürlich der Wunsch, dass die EU handlungsfähiger wird. Es gibt immer wieder Situationen, in denen sich einzelne Staaten querstellen. Manchmal geht es da tatsächlich um die Wahrung legitimer nationaler Interessen. Hin und wieder wird das Vetorecht aber auch missbraucht. Das Problem: Um das Einstimmigkeitsprinzip zu überwinden, braucht es die Zustimmung aller EU-Mitgliedstaaten.

Aber in der Theorie ließe sich das Vetorecht abschaffen?

Man könnte die vertraglichen Grundlagen in der EU ändern. Das wäre der saubere, klassische Weg – und gleichzeitig ein umständlicher, langwieriger Prozess. Etwas einfacher ginge es über die sogenannte Brückenklausel: Die besagt, dass man zumindest in gewissen Politikfeldern zu Mehrheitsentscheidungen übergehen kann. Der Haken: Auch hier müssen erst alle Mitglieder dafür stimmen.

Die EU ist eine Kompromissmaschine. 

Da dreht man sich im Kreis. Gibt es keine Möglichkeit, diese Einstimmigkeit zu umgehen?

Man könnte einzelne Länder einfach umgehen. Etwa im Rahmen der sogenannten Verstärkten Zusammenarbeit: Dafür braucht es Gruppen aus mindestens neun Mitgliedstaaten. Diese schreiten mit ihren Ideen unter sich voran und arbeiten darauf hin, dass die anderen nachziehen. Das ist in einigen Bereichen denkbar, aber in der Praxis wenig sinnvoll. Beispiel Migration: Da könnte man zwar eine Asyl-Union innerhalb der EU bilden – aber wenn die Restlichen, die keine Verteilquoten wollen, nicht mitziehen, bringt das nichts.

Zum aktuellen Fall: Hätten sich nicht 26 EU-Staaten ohne Orbán zusammenschließen und die Ukraine-Hilfe beschließen können?

So etwas kann funktionieren. Das heißt: Man würde eine Vereinbarung außerhalb des EU-Rahmens treffen. Das wäre in diesem Fall dann quasi eine Privatveranstaltung dieser 26 Mitgliedstaaten. Sie handeln dann formell zwar nicht im Namen der EU, aber als große Gruppe setzen sie damit trotzdem ein Signal. Das hat dann durchaus auch politische Wirkung. Gleichzeitig werfen solche Konstruktionen die Frage auf: Was ist daran noch EU? Die Geschlossenheit bliebe auf der Strecke – auch wenn sich die EU-Staaten handlungsfähiger machen.

Hätten die EU-Staaten denn ohne Ungarn die Hilfe für die Ukraine finanzieren können?

Die versprochenen 50 Milliarden sind Teil eines größeren Pakets zur Aufstockung des EU-Haushalts. Sofern die Mitgliedstaaten hierfür zusätzlich Geld beisteuern müssten, hätten sie das vor allem aus den nationalen Haushalten finanzieren sollen. Solche Mittel könnten die 26 Staaten auch für die Finanzierung der Ukraine-Hilfen verwenden. Diesen Weg will man aber vermeiden, weil er kompliziert ist. Man wird im Januar vermutlich nochmals zusammenkommen. Auch um politisch ein Zeichen der Geschlossenheit zu senden und Hilfen als EU bereitzustellen. (Interview: Kathrin Braun)

Auch interessant

Kommentare