„In der Koalition tun sich Abgründe auf“: Wehrpflicht-Streit stürzt Merz-Regierung ins Chaos

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Die Merz-Regierung streitet über die Wehrpflicht. Die beschworene Harmonie ist dahin. Die Grünen sind entgeistert: Die Ampel sei dagegen eine „Harmonieveranstaltung“ gewesen.

Berlin – Eigentlich hätte Schwarz-Rot eine Einigung in Sachen neuer Wehrdienst verkünden sollen, stattdessen endete der Dienstag (14. Oktober) im Chaos: Der Streit zwischen Union und SPD eskalierte. Eine Pressekonferenz über ein verändertes Modell ließen die Koalitionspartner ebenso kurzfristig platzen wie das Wehrdienst-Modell selbst. „Total amateurhaft“, urteilt Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann.

Wehrpflicht-Streit stürzt Merz-Regierung ins Chaos.
Wehrpflicht-Streit stürzt Merz-Regierung ins Chaos. (Symbolbild) © IMAGO/dts Nachrichtenagentur

Im ZDF erklärte die Grünen-Abgeordnete: „Ich blicke ziemlich fassungslos auf dieses Chaos dieser Koalition.“ Die sicherheitspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, Sara Nanni, reagierte ebenso entgeistert. „In der Koalition tun sich Abgründe auf. Im Vergleich dazu waren die Auseinandersetzungen mit Christian Lindner in der Ampel-Koalition die reinsten Harmonieveranstaltungen“, erklärte sie gegenüber den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Wehrpflicht-Streit mit Pistorius in der Regierung Merz: Die beschworene Einigkeit ist dahin

Und auch vonseiten der FDP kommt scharfe Kritik: „Dass die ohnehin absurde Idee einer Auslosung beim Wehrdienst nun auch noch an der Uneinigkeit der Bundesregierung scheitert, ist sinnbildlich für deren sicherheitspolitisches Chaos“, urteilt EU-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP). „Wer sich in derart zentralen Fragen der Wehrfähigkeit gegenseitig blockiert, gefährdet die Glaubwürdigkeit Deutschlands und damit auch Europas Sicherheit.“

Nach dem Streit um die geplatzte Richterwahl, die Debatte um die Senkung der Strompreise oder die gegenseitige Kritik in Sachen Sozialstaatsreform hatten sich Union und SPD eigentlich auf Harmonie eingestimmt: weniger öffentlich ausgetragene Unstimmigkeiten, bessere Abstimmung innerhalb der Koalition. Die zuletzt beschworene Einigkeit scheint mit dem geplatzten Kompromiss jedoch erst einmal dahin. Der jetzige Eklat lässt sich wohl derselben Kategorie Streit zuordnen, die Union und SPD eigentlich nach der Sommerpause vermeiden wollten.

Regierung Merz ringt um den Wehrdienst: Röttgen wirft Pistorius destruktives Verhalten vor

Ursprünglich hatte sich das Kabinett bereits im August auf einen von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) vorgelegten Gesetzentwurf verständigt, der zunächst auf Freiwilligkeit bei der Rekrutierung von Wehrdienstleistenden setzt. Die Union drängte jedoch auf eine Einführung der Wehrpflicht, wenn bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht genug Freiwillige gefunden werden. Unterhändler von Union und SPD suchten deshalb in den vergangenen Tagen nach einem Kompromiss.

Wann wurde die Wehrpflicht ausgesetzt?

Die Wehrpflicht wurde im Jahr 2011 unter dem damaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) ausgesetzt. Der Bundestag änderte das Wehrpflichtgesetz: Die Bundeswehr ist seither eine Berufsarmee. In der Praxis bedeutet die Aussetzung eine Abschaffung; die für eine Wehrpflicht nötigen Strukturen wurden aufgelöst.

Der Ukraine-Krieg brachte die Debatte um die Wiedereinführung der Wehrpflicht erneut auf die Agenda. Die Bundeswehr benötigt etwa 80.000 zusätzliche aktive Soldaten. Denn die NATO hält für die Truppe eine Größenordnung von 260.000 für erforderlich, um einem Angriff etwa Russlands standzuhalten. 

Die Grundsatzeinigung sah ein Losverfahren für die Musterung vor, wenn es nicht genug Freiwillige gibt. Zum Dienst selbst verpflichtet werden sollte dadurch niemand. Dies fand aber in der SPD-Fraktion letztlich keine Zustimmung. Verteidigungsminister Boris Pistorius soll dort dagegen Stimmung gemacht haben. Unionsfraktionsvize Norbert Röttgen (CDU) warf dem Verteidigungsminister daher am Dienstag vor, den Gesetzgebungsprozess torpediert zu haben. Zudem warf er Pistorius destruktives Verhalten vor.

Pistorius‘ Gesetz im Bundestag: Wehrpflicht-Streit soll im parlamentarischen Verfahrens geklärt werden

Dieser wies die Vorwürfe vonseiten der Union gegenüber dem Tagesspiegel zurück und erklärte: „Ich habe nur gewisse Schwierigkeiten damit, dass zwei elementare Stellen meines Gesetzentwurfs geändert werden, bevor dieser überhaupt offiziell in den Bundestag eingebracht worden ist.“

Das soll nun trotz Streit am Donnerstag (16. Oktober) erfolgen: Die erste Lesung im Bundestag solle dennoch stattfinden, bestätigte ein Sprecher der Unionsfraktion. Die Streitigkeiten müssten damit im Laufe des parlamentarischen Verfahrens geklärt werden. (Quellen: dpa, AFP, t-online) (pav)