Nächste Großoffensive: Was Israel im Gazastreifen erreichen will
Mit einer neuen Offensive will Israel die Hamas vollends zerschlagen und die Geiseln freibekommen. Kritiker fürchten noch mehr Elend und ethnische Säuberungen.
Tel Aviv/Gaza – Seit mehr als eineinhalb Jahren hält der Krieg im Gazastreifen an. Seit Wochen steht eine neue große Offensive der Armee in dem umkämpften Küstengebiet im Raum. In der vergangenen Nacht teilte das israelische Militär mit, diese nun unter dem Namen „Gideon’s Chariots“ eingeleitet zu haben. In weiten Teilen des Küstengebiets habe es seit dem Morgen heftige Explosionen, Artilleriebeschuss durch die Armee sowie ein Vorrücken von Bodentruppen gegeben, berichteten Medien übereinstimmend. Bereits in den vergangenen Tagen intensivierte die Armee ihre Angriffe. Infolge der jüngsten Angriffe in dem abgeriegelten Gebiet werden viele Tote befürchtet.
Welches Ziel verfolgt die israelische Regierung im Gazastreifen?
Erklärtes Ziel der Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ist es, die im Gazastreifen herrschende Terrororganisation Hamas zu besiegen und die Freilassung der von der Terrormiliz noch immer festgehaltenen Geiseln zu erreichen. Israels Militär bezeichnete die jüngsten Angriffe im Gazastreifen und die Mobilisierung von Truppen als „Teil der Vorbereitungen zur Ausweitung der Operationen und zur Erreichung der Kriegsziele“. Man werde „mit voller Kraft hineingehen“, um diesen Kampf zu vollenden, sagte der Regierungschef nach Angaben seines Büros.
Die Einnahme des Gazastreifens war Thema bei einer Sitzung des israelischen Sicherheitskabinetts Anfang Mai. Damals verlautete aus Regierungskreisen, dass Pläne für eine Einnahme des Gazastreifens und die fortwährende Kontrolle der Gebiete durch die Armee gebilligt wurden. Netanjahu ließ in einer darauffolgenden Ansprache zwar offen, ob das gesamte Gebiet oder nur Teile eingenommen werden sollten. Er erklärte aber, dass israelische Soldaten künftig in eroberten Gebieten in Gaza stationiert bleiben sollen. Es sei nicht länger beabsichtigt, dass Soldaten nur Angriffe in dem Gebiet ausführen und sich dann dort wieder zurückziehen. Die Andeutung einer dauerhaften Besetzung des Gebiets rief international massive Kritik hervor.
HRW fordert westliche Länder wegen Israels Gaza-Plänen zum Handeln auf
Kritikerinnen und Kritiker warnen vor einer Wiederbesetzung des Gazastreifens. „Der Plan der israelischen Regierung, die Überreste der zivilen Infrastruktur des Gazastreifens zu zerstören und die palästinensische Bevölkerung auf ein winziges Gebiet zu konzentrieren, würde eine abscheuliche Eskalation der andauernden Verbrechen gegen die Menschlichkeit, der ethnischen Säuberung und des Völkermordes bedeuten“, teilte Human Rights Watch (HRW) am Donnerstag mit.
„Wenn man hört, wie israelische Beamte mit ihren Plänen prahlen, die 2 Millionen Einwohner des Gazastreifens in ein noch kleineres Gebiet zu zwängen und den Rest des Landes unbewohnbar zu machen, sollte das in London, Brüssel, Paris und Washington wie ein Feueralarm behandelt werden“, so Federico Borello, Interimsgeschäftsführer von HRW.

Donald Trump will eine Million Palästinenser nach Libyen zwangsumsiedeln
Im Gazastreifen sorgte die Andeutung über eine Einnahme des Gebiets für Verzweiflung. Viele Palästinenserinnen und Palästinenser befürchten eine neue Welle der Flucht und Vertreibung aus dem Gazastreifen, ähnlich wie während des Kriegs im Zuge der israelischen Staatsgründung 1948 und während des Sechstagekriegs 1967. Auch US-Präsident Donald Trump spricht sich für eine Zwangsumsiedlung aus – etwa in benachbarte Länder.
Nach einem Bericht des US-Senders NBC arbeitet die Trump-Regierung an einem Plan zur dauerhaften Umsiedlung von bis zu einer Million Menschen aus dem Gazastreifen nach Libyen, „so fünf Personen, die mit den Bemühungen vertraut sind“. Der Plan werde ernsthaft erwogen. Es habe Gespräche mit der libyschen Führung gegeben.
„Als Gegenleistung für die Umsiedlung der Palästinenser würde die Regierung Libyen möglicherweise Gelder in Milliardenhöhe zur Verfügung stellen, die die USA vor mehr als einem Jahrzehnt eingefroren hatten“, schreibt der Sender. Die Vereinten Nationen warnen jedoch vor den Plänen Trumps und sehen darin ein Kriegsverbrechen.
Besonders Kinder im Gazastreifen leiden unter Folgen von Krieg
Die Lage der Menschen in dem dicht besiedelten Gazastreifen ist katastrophal. Israel lässt seit Anfang März keine Hilfslieferungen mehr in den Gazastreifen. Das Sicherheitskabinett beschloss kürzlich allerdings, künftig wieder Lieferungen in das Gebiet zu erlauben – allerdings mit einem anderen Mechanismus zur Verteilung der Hilfsgüter. Besonders Kinder leiden unter dem Krieg und seinen Folgen. „Die Meldung über die Tötung von mindestens 45 Kindern im Gazastreifen in den letzten zwei Tagen ist eine weitere verheerende Erinnerung daran, dass die Kinder im Gazastreifen in erster Linie leiden und Tag für Tag hungern müssen, um dann Opfer wahlloser Angriffe zu werden“, teilt das Kinderhilfswerk UNHCR in einer Mitteilung vom Freitag mit.
„In den letzten 19 Monaten war der Gazastreifen für Kinder tödlich und es gibt keine sicheren Orte. Von Norden bis Südgideoen werden Kinder in Krankenhäusern, in zu Notunterkünften umfunktionierten Schulen, in behelfsmäßigen Zelten oder in den Armen ihrer Eltern getötet und verstümmelt“, so das UNHCR. Ähnlich äußert sich der Palästinensische Rote Halbmond auf X: „Gaza muss hungern und leiden, da seit dem 2. März keine einzigen Hilfstransporte mehr eintreffen“. (erpe/dpa/AFP)