Schauspieler Michael A. Grimm begeistert im Landsberger Stadttheater
Monologe sind Herausforderungen. Ein Schauspieler muss den Raum füllen, allein mit seiner Stimme, seiner Rolle. Auf der kleinen Bühne des Hofspielhauses München ist das etwas leichter als auf der deutlich größeren Spielfläche des Landsberger Stadttheaters. Der Schauspieler Michael A. Grimm hat die große Fläche perfekt gefüllt – mit begnadeter Präsenz.
Landsberg - Der tiefe Klarinettenton am Anfang nordet das Publikum ein: Wir sind in Anatevka, dem fiktiven Schtetl des gleichnamigen Musicals. Doch das, was Grimm unter der Regie von Christiane Brammer, der Intendantin des Hofspielhauses München, auf der Bühne zeigt, erinnert auch beim Text nur in Teilen an das Musical. Worte fließen auch aus der Original-Erzählung von Scholem Alejchem ein, die Anfang des 20. Jahrhunderts im russischen Zarenreich spielt. Brammer betitelt ihren Monolog mit „Anatevka ist überall“. Und holt Anatevka in die Gegenwart: in die Ukraine.
„Anatevka ist überall“ im Landsberger Stadttheater: ein Stück der Gegenwart
„Da geht sie auf, die ukrainische Sonne über Anatevka“, startet Grimm als Erzähler. Denn erst nach dessen Einführung zieht Grimm den Hut ab und die Kappe des Milchmanns Tevje auf. Mit dem Erzähler holt Brammer das Stück aus seiner Verankerung im Zarenreich – und schafft somit einen deutlichen Abstand zum Musical. Die Geschichte bleibt zwar gleich: Tevje versucht, seine drei ältesten Töchter an den Mann zu bringen – die ihm und der Heiratsvermittlerin aber selbstbestimmt die Rolle des Fädenziehers abluchsen. Und auch in dieser Fassung müssen die Juden ihr Dorf Anatevka am Ende verlassen. Die Regisseurin nimmt Tevje deshalb nicht seinen Humor, mit dem er versucht, das Leid, dem er, seine Familie und das Dorf ausgesetzt sind, ‚wegzutanzen‘. Es darf durchaus gelacht werden. Wobei einem das Lachen im Hals steckenbleibt, wenn Tevje nahezu spitzbübisch davon erzählt, wie „Ivan der Russe“ in „nach Strich und Faden“ verdrischt. Und natürlich träumt Tevke auch hier vom Reichtum und zitiert den bekannten Musical-Hit „Wenn ich einmal reich wär“.
Jedoch stellt die Regisseurin die Zwiegespräche Tevjes mit Gott in den Vordergrund. In denen verhandelt der Milchmann zum Beispiel eben jene Thematik Arm-Reich und die Macht der Reichen, „jemanden anstellen zu können, um für sie zu sterben“. Er fragt Gott, wie es „in dieser klugen, modernen Zeit“ möglich sein kann, dass der Auserwählte der dritten Tochter getötet wird: „Wieso lässt du das zu?“ Denn das Volk, ist sich Tevje sicher, „hat keine Lust mehr auf Unterschiede“, auf die Trennung zwischen Nationalitäten und Religionen. Nicht in der Ukraine, nicht in Russland.
Milchmann Tevje und die Bibel: Aug um Aug?
Und schließlich beruft sich Tevje im Angesicht des dauernden Leids, das Menschen ertragen müssen, auf die Bibel, auf das „Aug um Aug, Zahn um Zahn“. Wobei sich Gott hier kurzerhand durch eine Gegenfrage – „Meinst du, es stimmt, was in der Bibel steht?“ – aus der Bredouille rettet. Ob es stimmt, weiß auch Tevje nicht. Denn wenn es stimmen würde, „wird die ganze Welt blind sein und ohne Zähne.“ Es geht um Tevjes Heimat, das kleine Örtchen Anatevka. Und es geht um die ganze Welt.
Am Ende des Stückes steht Grimm still im Licht auf der Bühne. Und stimmt das Hollaender-Lied „Wenn ich mir was wünschen dürfte“ an. Ein Wunsch nach nur einem Funken Glück, der in diesem Stück, in dieser Fassung, von diesem Schauspieler Gänsehaut verursacht. Das Publikum im ausverkauften Stadttheater honorierte den Abend mit Standing Ovations.
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