Debatte über Migration - „Am Rande dessen, was erträglich ist“: Asylkrise? Das ist der Stand in den Bundesländern
Seit langem streiten Bund und Länder über den Umgang mit Asylsuchenden. Immer wieder geht es dabei um die Überforderung der Kommunen. Wie die Lage ist, diskutiert auch die Ministerpräsidentenkonferenz mit Vertretern der Städte und Gemeinden.
Besonders groß war die Herausforderung nach dem russischen Überfall auf die Ukraine. Wie aber ist die Situation mittlerweile? Zwei Bürgermeister und eine Landrätin berichten.

Uwe Conradt (CDU), Oberbürgermeister von Saarbrücken (Saarland)
Unsere Flüchtlingsunterkünfte sind aktuell zu rund Dreivierteln ausgelastet. Dass sie nicht voll sind, liegt nur daran, dass das Land uns dieses Jahr eine Zeit lang keine weiteren Flüchtlinge zugewiesen hat – denn die Quote hatten wir schon übererfüllt. Aber mit einem Blick auf die Prognosen für die nächsten Monate werden unsere Unterkünfte wohl voll ausgelastet sein. Deswegen sind wir auf der Suche nach weiteren Unterbringungsmöglichkeiten.
Es wird für uns als Stadt aber immer enger, geeigneten Wohnraum zu finden. Gleichzeitig ziehen viele Migranten nach Saarbrücken, die bereits an anderen Orten im Saarland wohnen. Die treffen auf den allgemeinen Wohnungsmarkt, in dem insgesamt schon ein hoher Druck herrscht – gerade, was sozialen Wohnraum angeht.
Wir sind am Rande dessen, was erträglich ist. Uwe Conradt, Oberbürgermeister von Saarbrücken
Bei der Auslastung unserer Schulen und Kitas sind wir am Rande dessen, was erträglich ist. Wir erleben in einem erheblichen Umfang, dass Kinder ohne ausreichende Deutschkenntnisse eingeschult werden. Bei einzelnen Schulen ist es weit über die Hälfte der Kinder. Für die Lehrkräfte ist das eine große Herausforderung. Und wir haben nicht genug Kitaplätze, um das aufzufangen. Leider ist es oft so, dass gerade die Kinder, die vor ihrer Einschulung Deutsch lernen müssten, nicht in die Kita gehen.
Gleichzeitig muss man sich fragen, wie sinnvoll es ist, sich um die Integration von Menschen zu bemühen, bei denen die Aussichten, hier zu bleiben, eher gering sind. Da müssen wir aus den Erfahrungswerten lernen, wer nach einem langwierigen Asylverfahren einige Jahre später abgeschoben wird. Es bräuchte außerdem noch bessere Möglichkeiten, legal nach Deutschland einzureisen.
Es ist klar, dass sich die Stimmung unter den Bürgern aufgrund des erheblichen Migrationsdrucks in den letzten Jahren verändert hat. Auch das Straßenbild hat sich in Teilen unserer Stadt verändert. Die Frage ist, wie man damit umgeht. Ich bekomme tagtäglich den Wunsch zu spüren, dass man als Bürgermeister das, was auf allen Ebenen darüber falsch läuft, richtig rückt.
Irreguläre Migration kann man aber nur zusammen mit Europa angehen. Das Personal, das momentan versucht, die Binnengrenzen zu sichern, wird an den EU-Außengrenzen gebraucht.
Das Original zu diesem Beitrag "„Am Rande dessen, was erträglich ist“: Asylkrise? So ist der Stand in den Bundesländern" stammt von Tagesspiegel.

Belit Onay (Grüne), Oberbürgermeister von Hannover (Niedersachsen)
Als wir im Februar 2022 anfingen, Geflüchtete aus der Ukraine auf dem Messegelände in Hannover unterzubringen, war das wie ein Déjà-vu aus 2015. Weder der Bund noch das Land oder die Stadt waren darauf eingestellt. Mittlerweile bewegen wir uns wieder in normalem Fahrwasser.
Wir sind jetzt organisierter und unsere vorhandenen Kapazitäten an Unterkünften reichen für den aktuellen Bedarf aus. Momentan bringt die Stadt 5426 Personen in Hannover unter. Dazu gehören zwar auch Wohnungslose, aber der Großteil sind Geflüchtete.
Unsere vorhandenen Kapazitäten reichen aus. (Belit Onay, Oberbürgermeister von Hannover)
Die Stadt hat zur Unterbringung auch einige Wohnungen angemietet. Das ist nicht nur kostengünstiger für uns, sondern auch das Beste für die Integration. So wollen wir die Geflüchteten besser auf die Stadt verteilen und eine gesunde Durchmischung erreichen. Um eine wirkliche Teilhabe zu gewährleisten, sind die Rahmenbedingungen aber nicht ideal.
Dadurch, dass viele der ukrainischen Geflüchteten hiergeblieben sind, ist die Nachfrage an Wohnraum gestiegen. In Kitas und Schulen müssen wir zunehmend die deutsche Sprache vermitteln und Fluchterfahrungen aufarbeiten. Auch Sprachkurse für Erwachsene müssten eine Kinderbetreuung anbieten, weil so viele ukrainische Frauen mit ihren Kindern hierhergekommen sind.
In diesen Punkten fühlen sich die Kommunen im Regen stehen gelassen und brauchen die finanzielle Unterstützung der Länder und des Bundes.
Ohne die Hilfe von Ehrenamtlichen wäre die Integration von Geflüchteten für unsere Stadtverwaltung nicht zu schaffen. Die Unterstützungsbereitschaft ist hier weiterhin groß, aber die bundesweiten Debatten gehen an Hannover nicht spurlos vorbei.
Insgesamt würde ich mir eine völlig andere Debattenkultur über Flucht und Migration wünschen. Dass Sicherheits- und Migrationspolitik eins zu eins miteinander vermischt werden, ist schädlich für unsere Gesellschaft. Jedes zweite Kind in Hannover hat eine Migrationsgeschichte – wir müssen den Laden also zusammenhalten.

Tamara Bischof (Freie Wähler), Landrätin des Landkreises Kitzingen (Bayern)
Die Belastungsgrenze in Kitzingen ist bereits seit langem erreicht. Aktuell sind alle vom Landkreis betriebenen dezentralen Unterkünfte und Gemeinschaftsunterkünfte, die von der Regierung von Unterfranken betrieben werden, voll belegt. Insgesamt befinden sich mehr als 900 Personen in Flüchtlingsunterkünften im Landkreis Kitzingen. Sollten uns in nächster Zeit weitere Asylbewerber zugewiesen werden, müssen diese in der Notunterkunft in Mainbernheim untergebracht werden.
Vor einem Jahr noch wurden dem Landkreis Kitzingen wöchentlich 25 Personen von der Erstanlaufstelle für Geflüchtete in Unterfranken zugewiesen. Diese war stark ausgelastet, zu bis zu 150 Prozent. Mittlerweile gibt es diese Zwangszuweisungen nicht mehr. Dennoch ist die Situation im Landkreis sehr angespannt, da mit Blick auf den Winter keine Entspannung in Sicht ist.
EU und Bund müssen den Flüchtlingszustrom für die Landkreise handhabbar machen. Tamara Bischof, Landrätin des Landkreises Kitzingen
EU und Bund müssen begrenzende und steuernde Maßnahmen ergreifen, um den Flüchtlingszustrom für die Landkreise handhabbar zu machen. Der Bund muss sich dafür einsetzen, dass abgelehnte ausreisepflichtige Asylbewerber, die nicht freiwillig ausreisen, konsequent abgeschoben werden. So können wir uns besser auf die konzentrieren, deren Asylverfahren noch laufen oder die anerkannt sind.
Es muss außerdem deutlich zwischen Asyl und Einwanderung unterschieden werden. Das Recht auf Asyl ist ein hohes Gut, das nicht beliebig angewendet werden sollte, sonst geht der Rückhalt in der Bevölkerung verloren.
Es ist deutlich spürbar, dass die Bürgerinnen und Bürger zunehmend skeptischer gegenüber dem Thema Migration werden. Es wird immer schwieriger, Ehrenamtliche zu akquirieren, die sich für die Integration von Geflüchteten engagieren möchten. Auf deren Unterstützung sind wir aber angewiesen. Außerdem ist es vielen Bürgerinnen und Bürgern, die hart für ihren Lebensunterhalt arbeiten, schwer zu vermitteln, dass ukrainische Flüchtlinge sofort Bürgergeld bekommen.
Von Marlene Jacobsen